Eisenbahnunfall von Luzern
Am 13. Dezember 1932 stiess der Personenzug 554 Luzern–Immensee–Arth-Goldau mit dem internationalen Schnellzug 264 Stuttgart–Zürich–Luzern im Gütschtunnel bei Luzern zusammen.
Bahnhofszufahrt Luzern im Jahr 1932 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Ausgangslage
Die damals zweigleisige Linie Fluhmühle–Luzern durch den Gütsch- und Schönheimtunnel ist die einzige normalspurige Zufahrt zum Bahnhof Luzern. Die Strecke wurde als unechte Doppelspur betrieben. Die Züge von und nach Rotkreuz–Zürich und Immensee–Arth-Goldau benutzten das östliche Gleis. Die Züge von und nach Olten und Bern verkehrten auf dem westlichen Gleis.[1]
Unfallverlauf
Ein aus Zürich kommender Schnellzug mit planmässiger Ankunft in Luzern um 15.02 Uhr wartete bei Sentimatt den um 14.52 Uhr abgefahrenen Personenzug nach Arth-Goldau nicht ab.[2] Der Schnellzug hatte vor dem Gütschtunnel ein geschlossenes Signal überfahren, schnitt in der Blockstation Sentimatt die auf Ablenkung gestellte Weiche des Gegenzuges auf und kollidierte im Tunnel frontal mit dem Personenzug. Dabei wurden sechs Personen getötet und 20 Fahrgäste teilweise schwer verletzt.[3] Unter den Toten befanden sich die beiden Lokomotivführer, der Zugführer des Personenzugs und drei Passagiere des Schnellzuges.[2]
Der Zusammenprall erfolgte unweit des Tunnelausgangs. Die Hilfeleistungen erwiesen sich als schwierig, da der stockfinstere Tunnel vollständig mit Trümmern gefüllt war. Nach Einrichtung einer Beleuchtung konzentrierte sich die Hilfe zunächst auf den am meisten zerstörten Zweitklasswagen des Schnellzugs. Zur Bergung der Opfer wurde dessen Längswand aufgeschnitten. Obwohl der Postwagen dieses Zuges durch die Wucht des Aufpralls vollständig zertrümmert wurde, blieben darin zwei Postbeamte praktisch unverletzt.[4] Da der Zug nach Arth-Goldau einige Wagen mit Vieh mitführte, musste auch dieses geborgen werden. Dessen Gebrüll vermischte sich mit den Schreien der eingeklemmten Verunglückten, die zum Teil bis zweieinhalb Stunden auf ihre Rettung warten mussten.[4]
Bei den Aufräumungsarbeiten kamen über 200 Arbeiter[5] und je ein Hilfswagen aus Zürich und Olten zum Einsatz. Der Bahnverkehr in Luzern war mit Ausnahme der schmalspurigen Brünigbahn praktisch lahmgelegt.[2] Am 15. Dezember konnte der Verkehr wieder aufgenommen werden.[5]
Unfallursache
Die Ergebnisse der Unfalluntersuchungen bestätigen, dass die Kollision durch Überfahren des Halt zeigenden Signals verursacht wurde. Das Missachten des Signals konnte nicht auf Bewusstlosigkeit des Lokomotivführers zurückgeführt werden, denn er hatte den Zug 264 von 73 km/h vorschriftsgemäss auf die für das Befahren der Sentimattbrücke vorgeschriebenen 65 km verzögert. 150 m vor der Unglücksstelle hatte er die Bremse wieder gelöst.[3] Der Personenzug aus Luzern hatte zum Zeitpunkt der Kollision eine Geschwindigkeit von etwa 40 km/h. Der Lokomotivführer versuchte, den Zug noch zu bremsen.[5]
Dichter Nebel[4] und Rauch einer Dampflokomotive schränkten die Sicht des Lokomotivführers des aus Zürich kommenden Schnellzuges auf das Vorsignal ein. Er wurde wahrscheinlich durch einen entgegenkommenden Güterzug mit Lademassüberschreitung abgelenkt, der im Bereich des Vorsignals kreuzte. Weil dieser Zug ein grosses, stellenweise über das Lichtraumprofil hinausragendes Rohr mit sich führte, wurde die Fahrleitung des Oltner Gleises ausgeschaltet und der Transport mit einer Dampflokomotive bewerkstelligt.[6][7][8]
Folgen
Nach dem Unfall beanstandeten Gewerkschaften die einmännige Führung von Triebfahrzeugen. Ein Führergehilfe hätte den Lokomotivführer auf das geschlossene Signal aufmerksam machen können.[9] Die SBB und andere Bahnen bestritten jedoch, dass durch die Einführung des Einmannbetriebs vermehrt Halt zeigende Signale missachtet worden wären.[3][10] Die Presse kritisierte die SBB, dass dieser Unfall mit einer Zugsicherung, wie es sie in anderen Ländern schon gab, hätte verhindert werden können. Am 1. Dezember 1933 beschlossen die SBB, die Zugsicherung Integra-Signum flächendeckend einzuführen.[11]
Der Luzerner Stadtrat forderte einen Ausbau der überlasteten Zufahrt zum Luzerner Kopfbahnhof.[4] Am 6. Juni 1939 wurde ein drittes Streckengleis in Betrieb genommen.[1]
Die beiden durch den Unfall beschädigten Lokomotiven, die Ae 3/6 I 10645 des Schnellzugs aus Zürich und die Be 4/6 12335 des Personenzuges, wurden wieder aufgebaut.[12]
Einzelnachweise und Anmerkungen
- Die dreigeleisige Einfahrt in den Bahnhof Luzern. (PDF; 12,1 MB) Schweizerische Bauzeitung, Band 114 (1939), Heft 24, S. 284–286, abgerufen am 23. November 2013.
- Schweres Eisenbahn-Unglück bei Luzern. (PDF; 350 kB) In: Liechtensteiner Volksblatt. 15. Dezember 1932, S. 2, abgerufen am 20. November 2013.
- Der Zugzusammenstoss im Gütschtunnel bei Luzern. (PDF; 0,9 MB) Schweizerische Bauzeitung, Band 101 (1933), Heft 5, S. 63, abgerufen am 21. Dezember 2013.
- Schwere Eisenbahnkatastrophe bei Luzern. (PDF; 278 kB) In: Liechtensteiner Nachrichten. 17. Dezember 1932, S. 1, abgerufen am 20. November 2013.
- Zur Zugskatastrophe bei Luzern. (PDF; 278 kB) In: Liechtensteiner Volksblatt. 17. Dezember 1932, S. 7, abgerufen am 20. November 2013.
- Die bahnamtliche Untersuchung über das Luzerner Eisenbahnunglück. (PDF; 301 kB) In: Liechtensteiner Volksblatt. 7. Januar 1933, S. 3, abgerufen am 20. November 2013.
- Les résultats de l’enquête sur la catastrophe ferroviaire de Lucerne. (Le Temps – archives historiques) (Nicht mehr online verfügbar.) Journal de Genève, 7. Januar 1933, S. 3, archiviert vom Original am 2. Dezember 2013; abgerufen am 20. November 2013 (französisch). Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Ascanio Schneider und Armin Masé schreiben in Katastrophen auf Schienen (Orell Füssli Verlag, Zürich 1968), dass nach der Durchfahrt eines Dampfzuges die Sicht im Tunnel beschränkt gewesen sei, worauf ein Lokomotivführer ein geschlossenes Signal überfahren habe. Laut amtlichen Untersuchungsbericht ist jedoch nicht Dampf im Tunnel die Ursache des Unfalls gewesen, sondern dass ein Richtung Olten fahrender Zug, der mit einer Dampflokomotive bespannt war, dem aus Zürich kommenden Zug zum Zeitpunkt der Vorbeifahrt am missachteten Vorsignal begegnete und die Sicht behinderte (vgl. die beiden vorangegangenen Einzelnachweise). Zur Vermeidung der Kollision hätte der Zug aus Zürich vor dem nördlichen Einfahrsignal der Dienststation Sentimatt die Vorbeifahrt des nach Arth-Goldau fahrenden Personenzuges abwarten müssen. Zwischen Sentimatt und der Verzweigung der Oltner von der Zürcher Linie hat sich (gemäss Hans G. Wägli: Schienennetz Schweiz und Bahnprofil Schweiz CH+. AS Verlag, Zürich 2010, ISBN 978-3-909111-74-9.) nie ein Tunnel befunden.
- Nochmals die Einmann-Besetzung. (PDF; 2,6 MB) In: Organ der internationalen Transportarbeiterföderation. April 1933, S. 4, abgerufen am 20. November 2013.
- Wachsende Zuversicht. (PDF; 344 kB) In: Liechtensteiner Volksblatt. 12. Januar 1933, S. 4, abgerufen am 20. November 2013.
- Fritz Steiner: Sicherungsmassnahmen gegen das Ueberfahren geschlossener Eisenbahnsignale. (PDF; 2,8 MB) Schluss. Schweizerische Bauzeitung, Band 103 (1934), Heft 25, S. 295, abgerufen am 21. Dezember 2013.
- Hans Schneeberger: Die elektrischen und Dieseltriebfahrzeuge der SBB, Band I: Baujahre 1904–1955. Minirex AG, Luzern 1995, ISBN 3-907014-07-3, S. 57 und 92.