Digital Detox
Digital Detox (dɪdʒ.ɪ.təl ˈdiː.tɒks), wörtlich als „digitale Entgiftung“ ins Deutsche zu übersetzen, bezeichnet die psychisch-mentale Entgiftung eines Menschen vom exzessiven Gebrauch digitaler Geräte und Medien. Der Begriff steht für Bemühungen der Reduktion und des Entzuges des Gebrauchs ebendieser. Innerhalb einer bestimmten Zeitspanne wollen die von einem exzessiven Digital Lifestyle Betroffenen auf die Nutzung elektronischer Geräte wie Smartphones, Tablets oder Computer und auch des Fernsehens und des Internets vollständig verzichten. Die Menschen entziehen sich dadurch bewusst der Vernetzung und Erreichbarkeit, wollen Stress reduzieren und sich wieder vorrangig dem Real Life (RL) widmen bzw. einen Bezug zur Natur suchen.
Begriff und Verbreitung
Der Begriff Detox (von englisch detoxification ‚Entgiftung‘) wurde bislang im deutschen Sprachraum vor allem im Zusammenhang mit Diät, Entschlackung und Entgiftung verwendet.[1] Die Entzugstherapie folgt einem klaren Plan, der sich über mehrere Tage oder Wochen erstreckt und strikt eingehalten werden muss, mit spezieller Ernährung, Gruppengesprächen, Yoga, Körperbehandlungen etc.
Digital Detox wurde als Begriff sowohl im Cambridge Dictionary als auch im Oxford English Dictionary aufgenommen.[2]
Computerisierung, Informationszeitalter und Social Media, allesamt Erfindungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, haben zu suchtähnlicher Nutzung von Computern, Tablets und Handys geführt. Dieses oft als „Internetabhängigkeit“ bezeichnete Phänomen geht mit den analogen Entzugserscheinungen einher, wenn diese Geräte oder das Internet plötzlich nicht mehr zur Verfügung stehen. Die extensive Nutzung beeinträchtigt in fortgeschrittenen Stadien auch die Arbeitsfähigkeit und soziale Kompetenzen.
Die reflektierte Nutzung digitaler Medien ist auch im beruflichen Kontext ein relevantes Thema.[3]
Ob Digital Natives einen selbstverständlicheren Umgang mit den Medien und dem Netz haben, wurde noch nicht untersucht.
Extensive Nutzung
Untersuchungen zeigen, dass der durchschnittliche Nutzer im Schnitt alle 12 Minuten zum Mobiltelefon greift und rund 80 Mal am Tag sein Handy entsperrt. Dabei ist ein achtstündiges Zeitfenster als Schlafphase berücksichtigt. Der Informatiker Alexander Markowetz von der Universität Bonn wertete die Nutzungsdaten von insgesamt 60.000 Menschen aus. Laut seinen Ergebnissen verbrachten die Probanden durchschnittlich zweieinhalb Stunden täglich am Handy.[4] Analog zur gesteigerten Nutzung elektronischer Geräte sinkt die Konzentrationsfähigkeit der Nutzer stark, sie beträgt vielfach nur mehr acht Sekunden pro Sujet.
Eine generelle Verweigerung der Errungenschaften der Digitalen Revolution wird zunehmend verunmöglicht. Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen oder auch nur die Generierung überlebensnotwendiger Informationen (beispielsweise über Notrufe, Öffnungszeiten und diensthabende Apotheken) wird ohne Internet zunehmend schwierig, fallweise sogar unmöglich. Das Konzept Bring your own device (BYOD) setzt den Besitz von elektronischen Geräten und die Fähigkeit zu ihrer Bedienung voraus. Ansonsten ist die Teilnahme an bestimmten Kursen, Seminaren oder Studien nicht möglich. Die extensive Nutzung von Handys und Internet-Plattformen war von Anbeginn seitens der Internet-Konzerne beabsichtigt. Sean Parker, US-amerikanischer Internet-Unternehmer, Mitbegründer von Napster, Plaxo und Causes, Berater der Meta Platforms (vormals Facebook Inc.), gab unverblümt bekannt: „Die Motivation bei der Entwicklung der frühen Applikationen – und Facebook war die erste – war: Wie können wir so viel Zeit und Aufmerksamkeit der Nutzer wie möglich bekommen.“[4] Ebenso wurden im Fernsehen spezielle Formate entwickelt, die die Zuseher bei der Stange halten und möglichst hohe Quoten erzielen sollen.
Die Begriffe Handyabhängigkeit und Internetabhängigkeit umschreiben die suchtartige Nutzung von Smartphones und des Internets. Seit Juni 2018 wird Onlinespiel-Sucht von der WHO als Krankheit geführt, diese stellt aber nur einen relativ kleinen Sektor des Überbegriffs dar. Internetabhängigkeit wird allgemein als pathologische bzw. zwanghafte Nutzung des Internets definiert. In der Fachwelt wird heftig darüber diskutiert, ob es sich um eine eigenständige Erkrankung handelt oder die Symptomatik von einer anderen Grunderkrankung herrührt, ob es sich um eine Störung der Impulskontrolle, eine Zwangsstörung oder doch eine substanzungebundene Abhängigkeit handelt. Die fehlende Definition und Standardisierung war bislang das Haupthindernis zur Bildung eines neuen Krankheitsbegriffes samt der begleitenden Behandlungsnotwendigkeit und der Bereitstellung der Ressourcen.
Reduktion des Konsums
Die im November 2017 von der Süddeutschen Zeitung und vom Tages-Anzeiger veröffentlichten Sieben Tipps zur digitalen Entgiftung wurden oftmals zitiert und werden von Fachleuten als praktikabel eingestuft:
- Dienste auslagern, beispielsweise Uhr, Wecker, Taschenlampe, Landkarte
- Weniger Apps, mehr Browser, denn Apps erwecken mit Push-Nachrichten fortwährend Aufmerksamkeit
- Digital-Detox-Apps, als erster Schritt zur Selbstkontrolle, informieren über die tägliche Nutzungsdauer
- Soziale Normen ansprechen, nicht umgehend auf Fragen antworten und die Verhaltensänderung auch kommunizieren
- Smartphone-freie Zeit, als erster Bruch mit dem Prinzip der ständigen Erreichbarkeit
- Smartphone-freie Räume, besonders wichtig in Familien mit Kleinkindern, um permanente Ablenkung zu unterbinden
- Flugmodus, Ausschalten, der Flugmodus verkompliziert die Smartphone-Nutzung; während Autofahrens sollte prinzipiell ausgeschaltet werden, schon wegen der massiv erhöhten Unfallgefahr.
Professionelle Hilfe
Zahlreiche Coaches, Psychologen und Psychotherapeuten haben spezifische Angebote entwickelt, die jedoch einerseits Problembewusstsein voraussetzen, andererseits den Wunsch der Veränderung.[5] David Greenfield gründete das Center for Internet and Technology Addiction in West Hartford, Connecticut.
Kalter Entzug
Für all jene, die trotz Digital Detox schreiben wollen oder müssen, gibt es ein eigenes Programm, welches aus dem Laptop eine Schreibmaschine macht. Cold Turkey Writer eliminiert alles, was ablenkt. Chats, Mails und Programm-Icons verschwinden. Es bleiben nur weiße Seiten zum Beschreiben.[6]
Reisen als Ausstiegshilfe
Bereits im Jahr 2010 wurde erstmals der National Day of Unplugging (Nationale Tag des Abschalten) eingeführt. Er wird Anfang März begangen.
Ortsveränderung und ein geschlossenes Setting, insbesondere durch Reisen, sind zur Unterstützung des Entzugs bei Digital Detox – wie bei nahezu allen Suchterkrankungen – erfolgversprechende Angebote. Reisebuchverlage wie der Reisedepeschen Verlag setzten gezielt auf Publikationen, die bewusstes und nachhaltiges Reisen ohne Smartphone ermöglichen. Deutschland im Winter und Der Inselguide Thailand, die ersten Publikationen dieses Verlages konnten durch eine erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne realisiert werden.
Seit 2013 werden in den USA, seit 2015 auch in Deutschland Ferienlager für Erwachsene angeboten.[7] Das Wall Street Journal prägte den Begriff Digital Detox Camps. Mittels Gemeinschaftsspielen, Tanzabenden, Workshops, Nachtwanderungen und Talentshows, aber auch mittels Entspannungstechniken, Yoga und gesunder Ernährung soll der Entzug von technischen Geräten erleichtert werden.[8] Inzwischen gibt es bereits Reisebüros, die sich auf diesen Bereich spezialisieren und eine breite Palette von Kuren – von den Alpen bis Madeira – anbieten. Als Erfinder der DD-Kuren gelten die US-Amerikaner Levi Felix und Brooke Dean, beide aus dem Silicon Valley.[9]
Auch in der Wellness-Branche findet Digital Detox eine immer größere Beachtung. Hier geht die Entwicklung von smartphonefreien Spa-Bereichen bis hin zu spezialisierten Digital Detox Packages in Wellnesshotels.[10] Dies lässt sich auch mit der großen Nachfrage der Urlauber erklären, da eine Mehrheit der Gäste angibt, im Wellnesshotel keine mobilen Endgeräte nutzen zu wollen.[11]
Literatur
- Daniela Otto: Digital Detox. Wie Sie entspannt mit Handy & Co. leben. Springer (Heidelberg) 2016.
- Cal Newport: Digital Minimalism. Choosing a Focused Life in a Noisy World, Penguin 2019
Weblinks
- Sieben Tipps zur digitalen Entgiftung, Süddeutsche Zeitung (München) vom 28. November 2017
- Digital Detox: Der letzte Klick, Artikel von Wenke Husmann, Die Zeit (Hamburg) vom 31. Dezember 2018
- SRF: Immer online – Wege aus der ständigen Erreichbarkeit, Digital Detox
- Sean Parker: Facebook Exploits Human Vulnerability (We Are Dopamine Addicts) (engl.)
- Jaron Lanier: On how social media ruins your life (engl.)
- Cold Turkey, Entzugsprogramm
Einzelnachweise
- Theodora Sutton: View of Disconnect to reconnect: The food/technology metaphor in digital detoxing. First Monday, 23. Mai 2017, abgerufen am 25. April 2021.
- Birgit Fingerle: digital detox. In: ZBW Mediatalk vom 24. Juni 2015.
- Leonie Bieckmann: Zwischen „Always Online“ und „Digital Detox“ Strategien von Unternehmen und Beschäftigten, die Nutzung digitaler Medien zur Stressreduktion einzugrenzen. Corporate Communications Journal, Jahrgang 5, Nummer 1, 2020, abgerufen am 24. April 2021.
- Der Standard (Wien): Kurz vor dem digitalen Burnout? Der neue Trend „Digital Detox“ könnte helfen, 14. März 2019
- Dave Asprey: Digital Detox: How to disconnect, and why it’s goof for you, abgerufen am 13. Oktober 2019
- Uniglobale: Digital Detox – 20 Tipps zur digitalen Entgiftung, abgerufen am 13. Oktober 2019
- Sara Ashley O’Brien: Levi Felix, Digital Detox cofounder, dies at 32. In: CNNMoney. (cnn.com [abgerufen am 3. Juli 2019]).
- SOMMERJUNG – Das Ferienlager für Erwachsene. Abgerufen am 3. Juli 2019 (deutsch).
- FitReisen: Digital Detox: Entgiften Sie Ihren Körper digital von Stress und Strahlungen, abgerufen am 3. Juli 2019
- Stefan Fischer: Urlaub fürs Immunsystem. Abgerufen am 6. Januar 2021.
- Wellness-Trends 2020 – beauty24. Abgerufen am 6. Januar 2021.