Die Jüdin von Toledo (Roman)
Die Jüdin von Toledo ist ein 1955 veröffentlichter historischer Roman von Lion Feuchtwanger, der in Deutschland auch unter dem Titel Spanische Ballade vertrieben wurde. Feuchtwanger beschreibt darin das Schicksal des jüdischen Kaufmannes Jehuda Ibn Esra und seiner schönen Tochter Raquel im Spanien des 12. Jahrhunderts, als König Alfonso VIII. von Kastilien die Mauren bekriegte, die damals noch weite Teile der Iberischen Halbinsel südlich des Tajo beherrschten.
Handlung
Viele Juden Andalusiens mussten im 12. Jahrhundert moslemischen Glauben annehmen, wenn sie nicht auswandern wollten; so auch Ibrahim, ein reicher Kaufmann aus Sevilla. Als sich ihm endlich im Alter von 55 Jahren Gelegenheit bietet, zum alten Glauben zurückzukehren, verlässt er seine gesicherte Position als Ratgeber des Emirs, bricht alle Brücken hinter sich ab und tritt unter dem Namen seiner Väter als Jehuda Ibn Esra in die Dienste des kastilischen Königs Alfonso, der zwar durch Verträge zu einem Waffenstillstand gezwungen ist, aber dennoch den Krieg gegen den Emir vorbereitet.
Jehuda glaubt, als Geldbeschaffer und Kronrat dämpfend auf Alfonsos Kriegsgelüste wirken zu können. Er erwirbt das verfallene Castillo seiner Vorfahren in Toledo, dessen sich vor Jahren die einflussreichen Ritter de Castro bemächtigt hatten. Diese waren von Alfonso zwar aus Toledo vertrieben worden, stoßen aber immer wieder frech nach Kastilien vor, da sie sich unter dem Schutz des Nachbarreiches Aragon sicher wähnen. Bei einem Scharmützel kommt einer der beiden Castro-Brüder ums Leben; der Krieg gegen das verwandte Aragon kann nur mühsam verhindert werden.
Inzwischen kommt die Wirtschaft des Landes, die seit der letzten Niederlage Alfonsos gegen den Emir von Sevilla darniederlag, durch Jehudas umsichtiges Walten wieder in Blüte. Alfonso lässt sein Lustschloss Galiana im maurischen Stil restaurieren. Bei der abschließenden Besichtigung mit Jehuda befiehlt er, dass Raquel, Jehudas überaus schöne Tochter, dort künftig als seine Nebenfrau wohnen soll. Jehuda steht vor der Wahl, entweder dem Verlangen des Königs zu entsprechen oder mit seiner Familie zu fliehen. Raquel bestärkt ihn in seiner Entscheidung, zu bleiben.
In der folgenden Zeit wird König Alfonso vollkommen von der Jüdin, die im Volk den Namen Fermosa, die Schöne, trägt, verzaubert. Er lebt mit ihr zurückgezogen in der Galiana und vergisst über diesem Liebesabenteuer seine Ehefrau Eleonor. Diese, eine Tochter des englischen Königs Heinrich II., würde ihren Gatten lieber im Felde sehen, damit er die Jüdin vergesse. Sie verspricht dem jungen König Pedro von Aragon eine Militärallianz mit Kastilien und deutet an, dass eine Art Buße für den getöteten Castro denkbar wäre, vielleicht sogar in Form einer Rückgabe des Castillo an dessen hinterbliebenen Bruder.
Kurz nachdem Raquel einem Sohn Alfonsos das Leben geschenkt hat, trifft Nachricht vom plötzlichen Tode Heinrichs II. ein, durch dessen kluge Politik ein Feldzug bisher verhindert wurde. Wenn nun sein Sohn Richard mit einem Kreuzfahrerheer aufbricht, ist jeglicher Vorwand der hispanischen Fürsten, gegen die Mauren noch länger stillzuhalten, entfallen. Alfonso eilt zu Kriegsvorbereitungen mit Aragon nach Burgos und Jehuda muss ihm schwören, dass Alfonsos Sohn in der Zeit seiner Abwesenheit auf keinen Fall beschnitten werde. In den in Burgos geschlossenen Verträgen verpflichtet sich Alfonso, mit Kriegshandlungen gegen die Moslems abzuwarten, bis er von Aragon zu Hilfe gerufen wird, denn seinen Waffenstillstand mit dem Emir darf er nicht brechen, um nicht die Heere des mächtigen Kalifen Jakúb Almansúr auf den Plan zu rufen.
Während der Abwesenheit des Königs lassen Jehuda und Raquel den Knaben von einem Freund heimlich aus der Galiana weg und in Sicherheit bringen. Damit ist der Eid nicht gebrochen, eine christliche Taufe, wie von Alfonso gewünscht, aber unmöglich. Alfonso rast bei seiner Rückkehr vor Wut, er verlässt Raquel im Zorn und lässt die moslemischen Gesandten in Toledo, welche noch friedlich vermitteln wollen, grob abfertigen. Übermütig fordert er den Kalifen heraus, der von Fez mit einem riesigen Heer nach Sevilla aufbricht. In der Schlacht bei Alarcos unterliegen die christlichen Ritter dem muslimischen Heer. Toledo wird von Flüchtlingen überschwemmt. Alsbald gehen Gerüchte um, die Juden hätten den Moslems die christlichen Kriegspläne verraten. Jehuda lebt nun bei Raquel in der Galiana; sie glauben, im Schloss des Königs vor Verfolgern sicherer zu sein. Die Wut des Pöbels richtet sich zunächst gegen Jehudas Castillo, das vollkommen verwüstet wird. Castro erhält von der listigen Königin Eleonor den Auftrag, die Juden zu schützen, er soll aber lieber einzelne preisgeben, als alle zu gefährden. Castro interpretiert dies als Aufforderung, gegen Jehuda vorzugehen, dringt mit seinen Leuten in der Galiana ein und erschlägt Jehuda. Auch Raquel wird ermordet.
Durch die schmerzhafte Niederlage, die sein Land an den Rand des Abgrunds bringt, und den Verlust der Geliebten wandelt sich König Alfonso und führt im Alter sein Land ganz im Sinne Jehudas zu neuer Blüte. Die Wiedereroberung der südlichen iberischen Halbinsel bleibt aber weiterhin sein Ziel.
Hintergrund
Feuchtwanger stellt seinen Roman in den Kontext der Reconquista, der Wiedereroberung der Iberischen Halbinsel, wobei die geschichtlichen Hintergründe im Großen und Ganzen richtig wiedergegeben werden (zur Titelfigur, vgl. Rahel la Fermosa). Die teilweise hochkomplizierten und undurchsichtigen verwandtschaftlichen und militärischen Beziehungen zwischen den iberischen Königshäusern werden von ihm aber verständlicherweise großzügig verarbeitet. So sind z. B. einige Szenen, die den jungen „König Pedro von Aragon“ betreffen, eindeutig dem Sohn und Erben Ferdinands II. von Leon, Alfonso IX., zuzuschreiben.
Der Stoff wurde bereits in der Vergangenheit literarisch behandelt: Als wichtigste Beispiele wären hier Franz Grillparzers historisches Bühnenstück Die Jüdin von Toledo (1855) und Lope de Vegas Las paces de los Reyos y Judía de Toledo (1617), an das sich Grillparzers Stück anlehnt, sowie Luis de Ulloas Dichtung Raquel (1650) zu nennen.
Rezension
Die Jüdin von Toledo war Feuchtwangers vorletzter Roman und führte ihn thematisch zu der bewegten Geschichte des Judentums zurück, deren jüngste Ereignisse er als deutscher Jude am eigenen Leib erfahren hatte. So gibt es zwischen den Figuren der Raquel, der Fermosa, aber vor allem ihres Vaters, des Kaufmannes Jehuda Ibn Esra, und der Figur des Joseph Süß Oppenheimer aus Feuchtwangers Roman Jud Süß zahlreiche Parallelen. Auch gibt es Schnittpunkte zur Figur des Flavius Josephus, des Protagonisten von Feuchtwangers Josephus-Trilogie.
Die Gemeinsamkeit dieser Figuren ist ihre Gratwanderung zwischen religiöser Tradition und kosmopolitischem Aufbruch sowie ihrem jüdischen Kulturkreis in der Diaspora und einer latent oder offen judenfeindlichen Gesellschaft, die sie umgibt. Zudem treibt die Protagonisten die philosophische Frage um, wie sich der Mensch in der Welt verhalten solle: aktiv handelnd oder kontemplativ verzichtend.
Die daraus entstehenden Konflikte werden auf verschiedenen Ebenen ausgetragen. Zum einen die inneren Konflikte der Protagonisten, die sich in einem ständigen Zwiespalt befinden und ihr Handeln und Wirken stets kritisch bemessen. Zum anderen die Konflikte mit Freunden, Feinden und Freundfeinden. Und zuletzt die äußeren, unbeeinflussbaren Vorgänge, die maßgeblich zu Aufstieg und Fall der Protagonisten beitragen.
Jehuda Ibn Esra wird als jüdischer Kaufmann zum Schatzmeister des christlich-kastilischen Königs Alfonso, obschon ihm bewusst ist, dass die Juden sowohl religiös als auch politisch im christlichen Spanien geächtet sind. Auch ist ihm bewusst, dass er als Zielscheibe judenfeindlicher Christen auch seine Familie gefährdet. So ambivalent und doch verwoben der Respekt und die Abneigung Alfonsos für den geschäftstüchtigen Ibn Esra sind, so sind es auch die Beweggründe Jehudas, die sich anscheinend widersprechen und doch untrennbar voneinander sind. Sein Tatendrang, seine Ruhmsucht und seine selbstlose, jeder Gefahr trotzende Hilfe für Glaubensgenossen sind ihm gleichermaßen Antrieb. Das Bewusstsein einer herannahenden Katastrophe lässt Jehuda immer wieder zweifeln, doch letztendlich entscheidet er sich für die Tat. Er geht den Weg bis zum vorhergesehenen Ende.
Von einem ähnlichen Charakter ist die Liebesbeziehung zwischen Raquel und Alfonso. Hin- und hergerissen zwischen brennender Liebe und Fremdheit, Zuneigung und Ablehnung, gehen die Liebenden immer wieder den Weg des Verneinten und nicht Geduldeten, und damit sehenden Auges ins Verderben. Wie auch in den anderen vergleichbaren Romanen Feuchtwangers resümieren die Protagonisten, Jehuda und Raquel, vor ihrem Ende ihr Wirken und Handeln ohne die Überzeugung, alles richtig gemacht zu haben, aber auch ohne Reue. Die Frage nach der Richtigkeit ihres Handelns rückt in den Hintergrund, das Widersprüchliche wird als menschlich akzeptiert.
Adaptionen
An der Deutschen Oper am Rhein wurde 2008 eine Ballett-Bearbeitung des Stückes von Youri Vàmos aufgeführt. Die Musik hierzu wurde von Irmin Schmidt komponiert.
An der Landesbühne Niedersachsen Nord wurde 2012 eine Theater-Bearbeitung des Romans von Kristo Šagor uraufgeführt.[1] Die Regie führte Alexander Schilling.
Ausgaben
- Spanische Ballade. Roman. Rowohlt, Hamburg 1955.
- Die Jüdin von Toledo. Aufbau, Berlin 1955.
- Aufbau-Taschenbuch: 11. Aufl. 2008, ISBN 978-3-7466-5638-0
Weblinks
Einzelnachweise
- Kritik von Jens Fischer (7. Mai 2012): Jugendliches Mittelalterstück. In: Die Deutsche Bühne (http://www.die-deutsche-buehne.de/Kurzkritiken/Schauspiel/Sagor+Juedin+von+Toledo/Jugendliches+Mittelalterstueck)