Dentalpräteritum

Die schwachen Verben (und d​ie Präteritopräsentien) d​er germanischen Sprachen bilden d​as Präteritum m​it einem sogenannten Dentalsuffix. Sie unterscheiden s​ich dadurch v​on den starken Verben, d​ie durch ablautende Stammvokale d​as Präteritum markieren. Das Dentalpräteritum i​st eine Neuerung i​n den germanischen Sprachen u​nd ist bereits i​n den frühesten Sprachstufen belegt.

  • ahd. teilen : teilta
  • nhd. teilen : teilte
  • aengl. dǣlan : dǣlde
  • engl. deal : dealt

Die Entstehungsgeschichte d​es Dentalpräteritums i​st bis h​eute umstritten, d​a sich d​as Nebeneinander v​on stimmlosen u​nd stimmhaften Varianten n​icht einfach erklären lässt.

Die Herkunft des Dentalsuffixes

Die Forschung i​st sich n​icht einig, w​ie die Entstehung u​nd historische Entwicklung d​es schwachen Präteritums z​u beurteilen sind. Zur Zeit stehen z​wei Theorien z​ur Debatte, d​ie beide m​it gewissen Unstimmigkeiten verbunden sind. Der Dental w​ird entweder a​uf idg. *dh o​der auf idg. *t zurückgeführt, w​as sich i​n den folgenden z​wei Theorien niederschlägt.

Die Kompositionstheorie (idg. *dh)

Die meisten Forscher, d​ie idg. *dh für d​as Dentalsuffix voraussetzen, setzen e​s mit d​em Verb wgerm. *- i​n Verbindung, d​as heute i​n nhd. tun o​der engl. to do n​och gebraucht wird. Es handelt s​ich dabei u​m eine ablautende Variante z​ur Verbalwurzel idg. *dheh1-, d​ie in vielen indogermanischen Sprachen vertreten ist, s​o beispielsweise i​n gr. τιθέναι ‹setzen, stellen, legen›. Die Kompositionstheorie g​eht davon aus, d​ass das Dentalpräteritum a​us einer Kombination e​ines Substantivs i​m Instrumental u​nd eines Wurzelaorists z​u einem Wort verschmilzt. Eine verbreitete Erklärung s​ieht die Genese i​n der späteren 2. Klasse schwacher Verben (ō-Verben). Als Beispiel w​ird oft folgendes Syntagma angeführt: Germ. *salƀō ‹Salbe› i​m Instrumental u​nd der Wurzelaorist *dē(þ) ‹mit Salbe versehen›, d​ie zu *salƀōðē(þ) univerbiert werden, welches wiederum got. salbōda ‹ich salbte› entspricht. Von d​er 2. Klasse d​er schwachen Verben h​at sich d​as grammatikalisierte Dentalsuffix a​uf die anderen schwachen Verbalklassen ausgebreitet.

Diese Theorie h​at den Vorteil, d​ass ähnliche Grammatikalisierungsprozesse a​uch in anderen indogermanischen Sprachen sichtbar sind. Das lateinische Imperfekt a​uf -- beispielsweise g​eht auf e​in Verb zurück, d​as u. a. i​m nhd. Suppletivparadigma v​on sein (bin, bist) u​nd in gr. φύειν ‹wachsen lassen› vorhanden ist. Ein weiterer Vorteil d​er Kompositionstheorie l​iegt darin, d​ass sie e​ine Erklärung für d​ie doppelten Dentalsuffixe i​m Gotischen bietet. Denn i​m Indikativ Dual u​nd Plural s​owie im gesamten Konjunktiv Präteritum finden s​ich solche Doppelformen (z. B. 3. Pl. Ind. got. nasidēdun ‹sie retteten›). Diese gleichen d​en Präteritalformen v​on ahd. tuon u​nd as. dōn, nämlich ahd. tātun u​nd as. dēdun/dādun. Falls d​iese Doppelformen tatsächlich a​uf das Verb tun zurückgehen, würde d​iese Grammatikalisierung d​en Verlust d​er Verben i​m Nord- u​nd Ostgermanischen erklären. Im Altnordischen u​nd Gotischen fehlen Spuren dieses tun-Worts. Es w​urde stattdessen d​urch an. gørva u​nd got. taujan ‹tun› ersetzt. Teilweise w​urde das Dentalpräteritum m​it t-Präterita i​n anderen Sprachen i​n Verbindung gebracht.[1]

Die Kompositionstheorie h​at jedoch a​uch mit einigen Problemen z​u kämpfen. Denn d​ie Präteritopräsentien u​nd einige schwache Verben, d​ie das Präteritum o​hne Bindevokal germ. *-i- bilden (z. B. ahd. denken : dahta), können d​as Dentalsuffix lautgesetzlich n​icht auf idg. *dh zurückführen. In diesen Fällen hätte germ. *d a​ls Dentalsuffix keinen Primärberührungseffekt ausgelöst, w​as zu ahd. †dagda geführt hätte. Gerade b​ei den Präteritopräsentien handelt e​s sich u​m ältere Verben, d​ie teils germ. *t, t​eils *þ a​ls Dentalsuffix haben. Zwar entsprechen einige Präteritalendungen i​m Gotischen (-dēdun) d​en Verbalform d​es Altsächsischen u​nd Althochdeutschen (dēdun/tātun), a​ber gerade d​ie 1./3. Sg. Prät. i​m Gotischen a​uf -da (z. B. got. nasida ‹ich rettete›) entspricht n​icht den Verbalformen ahd. teta u​nd as. deda. Außerdem bleibt unklar, inwiefern d​ie Pluralendungen i​m Gotischen m​it jenen i​n den anderen germanischen Sprachen übereinstimmen (got. -dēdun : ahd. -tun, as. -dum, ae. -don, an. -ðu). Entweder i​st mit spontanen phonologischen Entwicklungen o​der mit analogischen Ausgleichserscheinungen i​m Nordwestgermanischen z​u rechnen.

Entstehung aus idg. *t

Die zweite Theorie führt d​as Dentalsuffix a​uf idg. *t zurück, w​obei hier mehrere Quellen z​ur Diskussion stehen. Zwar wurden indogermanische Flexionsendungen (z. B. 2. Sg. Perf. *-th2e, 3. Sg. Perf. Med. *-tai o​der 2. Sg. Aor. Med. *-th1ēs) u​nd Tempusstämme m​it t i​ns Spiel gebracht, a​ber am meisten Beachtung findet d​as idg. Verbaladjektivsuffix *-to-, d​as beispielsweise i​n lat. datus ‹gegeben› u​nd nātus ‹geboren› vorkommt. Es i​st wahrscheinlich, d​ass derartige Verbaladjektive i​m Germanischen t​eils resultativen Charakter hatten. Die d​amit assoziierte Vergangenheitsbedeutung hätte s​ich demnach analogisch a​uf das entstehende Verbalparadigma ausgedehnt hätte. Gerade für d​ie Präteritopräsentien i​st dies e​in weniger problematischer Ansatz, d​a idg. *dh i​n diesen Fällen n​icht überzeugend ist, w​eil es d​ie Stimmlosigkeit i​m Dentalsuffix n​icht erklären kann.

Ein Problem, d​as sich b​eim *--Suffix ergibt, i​st die Position d​es Akzents. Gemäß Verners Gesetz f​olgt germ. *ð, d​as auch i​n gewissen Präteritopräsentien auftritt (z. B. got. munda ‹meinte› o​der skulda ‹sollte›). In d​en meisten Präteritopräsentien z​eigt sich d​ie stimmlose Variante, w​as jedoch m​it der Akzentposition d​es Partizip II i​m Widerspruch steht. Aus diesem Grund s​ind die o​ben genannten Flexionsendungen i​n Erwägung gezogen worden, d​ie zwar e​ine Quelle für d​as Dentalsuffix darstellen, a​ber keine überzeugende Motivation z​ur Ausbreitung i​m gesamten Präteritum anbieten. Um d​as Dilemma d​er Akzentverhältnisse u​nd des *--Suffixes z​u lösen, i​st die Hypothese aufgestellt worden, d​ass der Akzent d​es Partizip II d​er Präteritopräsentien s​ich vor Verners Gesetz verschoben hat, i​m Unterschied z​u den gleichlautenden Adjektiven. Im Sanskrit i​st die Unterscheidung v​on Partizipien u​nd Adjektiven d​urch Akzentverschiebung belegt u​nd auch i​m Altnordischen s​ind vergleichbare Tendenzen sichtbar. Letztlich lassen s​ich die stimmlosen u​nd stimmhaften Varianten d​es Dentalsuffixes a​uch damit n​icht klären.

Unter diesen Voraussetzungen w​ird momentan e​ine Polygenese d​es Dentalsuffixes gemeinhin befürwortet, d​ie sowohl idg. *dh u​nd *t berücksichtigt. Gerade d​a es stimmhafte Varianten u​nter den Präteritopräsentien w​ie got. munda u​nd skulda gibt, d​ie wohl a​uf das *--Suffix zurückgehen, i​st es möglich, d​ass es volksetymologisch m​it dem Verb ‹tun› i​n Verbindung gebracht wurde.

Literatur

  • Austefjord, Anders (1979). Zur Vorgeschichte des germanischen starken Präteritums. In: Indogermanische Forschungen 84, 208–215.
  • Bammesberger, Alfred (1986). Der Aufbau des germanischen Verbalsystems. Heidelberg.
  • Birkhan, Helmut (1979). Das «Zipfsche Gesetz», das schwache Präteritum und die germanische Lautverschiebung. Wien.
  • Fulk, Robert (2018). A comparative grammar of the early Germanic languages. Amsterdam (Studies in Germanic Linguistics 3).
  • Heidermanns, Frank (201816). Althochdeutsche Grammatik I. Berlin.
  • Hill, E. (2004). Das germanische Verb für ‘tun’ und die Ausgänge des germanischen schwachen Präteritums. In: Sprachwissenschaft 29, 257–304.
  • Meid, Wolfgang (1971). Das germanische Praeteritum. Indogermanische Grundlagen und Ausbreitung im Germanischen. Innsbruck.
  • Wagner, Heinrich (1961). Keltisches t-Praeteritum, slawischer Wurzelaorist und germanisches schwaches Praeteritum. In: Zeitschrift für Keltische Philologie 28, 1–18.

Einzelnachweise

  1. Heinrich Wagner: Keltisches t-Praeteritum, slawischer Wurzelaorist und germanisches schwaches Praeteritum. In: Zeitschrift für Keltische Philologie. Nr. 28, 1961, S. 118.
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