Comes Illyrici
Ein Comes Illyrici (mitunter auch Comes per Illyricum; wörtlich: „Graf von Illyricum“) wurde im 4. und 5. Jahrhundert n. Chr. im Krisenfall als Befehlshaber der spätrömischen mobilen Eingreiftruppen (Comitatenses) an der oberen und mittleren Donau eingesetzt.
Namentlich bekannte Comites:
- Varronianus (4. Jahrhundert, der Vater des späteren Kaisers Iovian),
- Aegidius (um 364 n. Chr.),
- Vitalian (um 380 n. Chr.),
- Romulus (um 488 n. Chr.)
Der römische Amts- und Ehrentitel Comes bezeichnete in der Spätantike in der Regel die höchste Rangklasse des Adels (vir spectabilis) bzw. Mitglieder des Kronrats am kaiserlichen Hof. Beim Militär wurde dieser Titel in der Regel an die Kommandeure der mobilen Feldarmeen in den Provinzen oder an hohe Offiziere für zeitlich begrenzte Sonderkommandos verliehen.
Sein Verantwortungsbereich (comitativa) erstreckte sich im Wesentlichen auf die Provinzen des sog. "Illyricum occidentale":
Entwicklung
Der Heerführer Decius wurde im Jahre 249 von Kaiser Philippus Arabs als Dux des Illyrischen Heeres (also der pannonischen und mösischen Truppen) gegen die Goten auf der Balkanhalbinsel in Marsch gesetzt, wo er im Sommer desselben Jahres zum Kaiser proklamiert wurde. Nach der Ermordung des Constans (337–350) ließ Constantius II. eine Feldarmee für Illyricum aufstellen. Ihre weitere Entwicklung lässt sich nur anhand von Vergleichen mit den Truppenlisten der östlichen Notitia (entstanden vor 395 n. Chr.) und der weströmischen Auflistung in der distributio numerorum (entstanden um 420 n. Chr.) verfolgen. Als ständige Einrichtung hat das Amt des illyrischen Comes wahrscheinlich nie existiert. In der Notitia Dignitatum Occidentum findet er sich auch nicht in der Auflistung der übrigen Comites der westlichen Armee, sondern scheint nur unter dem Magister Peditum auf. Theodor Mommsen vertrat die Ansicht, dass er von diesem nur bei Bedarf ernannt wurde, z. B. als Spezialkommando für besondere Aufgaben oder in extremen Krisenzeiten. Der Magister Peditum konnte zwar diesen Titel nicht vergeben, sehr wohl aber einen Offizier mit den Befugnissen eines Comes vorübergehend einsetzen. Ammian schreibt,[1] dass im Jahr 364 n. Chr. ein Comes Aegidius das illyrische Aufgebot anführte, später wurde er in den Rang eines magister armorum per Illyricum erhoben.[2] Nach einem Bericht des Zosimos war um 409 n. Chr. ein Mann namens Generidus Befehlshaber der Truppen an der Donau, auch er wird als magister militum bezeichnet.[3]
Für eine temporäre Einrichtung dieses Amtes spricht auch, dass der Comes Illyrici nicht im Index der anderen Comites limitium in der Notitia Dignitatum aufscheint und es in ihr – wie sonst üblich – keine Abbildungen von Städten oder Kastellen gibt die er kontrollierte. Außerdem scheint er über keinen eigenen Verwaltungsstab verfügt zu haben. Es sind keine Hinweise vorhanden, dass ein Comes über einen längeren Zeitraum mobile Truppen in Illyricum befehligte. Die Forschung glaubt, dass dies ein Indiz dafür sein könnte, dass die illyrische Feldarmee erst später, um 420, unter Flavius Constantius aufgestellt worden ist (Illyricum war im Übrigen noch vor 399 Teil des östlichen Imperiums und in dieser Zeit u. a. auch von den gotischen Föderaten des Alarich besetzt).
Die Aufstellung der illyrischen Armee war wohl die Reaktion auf den endgültigen Zusammenbruch der Grenzsicherung am oberen und mittleren Donaulimes. Flavius Constantius musste um 420 n. Chr. alle noch verfügbaren Truppen zusammenziehen, um so die schweren Verluste des weströmischen Heeres auszugleichen, die es in den Kämpfen nach den Barbareneinfällen von 406 erlitten hatte. Da aus Geldmangel keine neuen Soldaten angeworben werden konnten, zog man die meisten dafür benötigten Einheiten aus den Limitanei heraus und beförderte sie kurzerhand zu Comitatenses. In den Reihen der neuen Feldarmee befanden sich u. a. zwei Einheiten Lanzenwerfer, die zuvor in Lauriacum und Comagena stationiert waren. Trotz der späteren Abtretung der pannonischen Provinzen an Attila durch Aetius hat das Amt des Comes Illyrici wohl auch noch in der Mitte des 5. Jahrhunderts bestanden. Beim antiken Chronisten Priscos wird ein Mann namens Romulus aus Poetovio genannt, der als Mitglied einer Delegation hochrangiger Würdenträger 448 n. Chr., im Auftrag des Aetius, zu Verhandlungen an den Hof des Hunnenkönigs entsandt wird. Da Priscus auch erwähnt, dass Gesandtschaften überwiegend von den Heerführern der an das Hunnenreich angrenzenden Regionen standen, begleitet wurden, ist es möglich, dass Romulus das Amt des illyrischen Comes bekleidet hat.[4]
Unter Theodosius I. entsprach die Organisation der Armee nicht mehr dem althergebrachten System des Diokletian. Die meisten Heermeisterämter sowie die einzelnen Abschnittskommandos der Palast- und der mobilen Feldarmeen verschwanden, so vielleicht auch das Amt des Comes Illyrici. Als Sicherungsmaßnahme für das von den Hunnen abgeschnittene Dalmatia richtete Aetius (neben einer vielleicht noch eine Zeit lang fortbestehenden comititiva illyrici) das Amt eines comes Dalmatiarum ein, das zuerst sein Vertrauter Marcellinus bekleidete. Einer seiner Nachfolger war später der gotischstämmige Truppenführer der Provinz Dalmatia, ein „comes primi ordinis“ im Rang eines vir illustris. Namentlich bekannt ist ein Mann namens Oswin dem unter Athanarich 526 n. Chr. u. a. die Truppen der Provinz Savia unterstanden. Zusätzlich weiß man von einem gewissen Comes Colosseus, ein Romane der in der Pannonia Sirmienses in Personalunion die Militär- und Zivilverwaltung leitete.
Truppen
Insgesamt 22 Einheiten werden in der Notitia Dignitatum unter dem Kommando des Comes aufgelistet, die wiederum unter dem Oberkommando des Magister Peditum standen.
Distributio Numerorum
Laut der ND Occ. standen dem Comes möglicherweise folgende Einheiten zur Verfügung:[5]
Einheiten | Bemerkung | Abbildung |
---|---|---|
Palasttruppen (Auxilia palatini) | ||
Sagittarii Tungri | ||
Iovii iuniores | ||
Sequani | ||
Raeti | Diese Einheit dürfte die Reste mehrerer mittelkaiserzeitlicher rätischer Grenzeinheiten gewesen und schließlich als Cohors Raetorum unter einem Befehlshaber zusammengefasst worden sein. | |
Sagittarii venatores | ||
Latini | Die Truppe stammt wohl aus Britannien. In der Liste des Comes litoris Saxonici per Britanniam findet sich ein Praepositus militum Tungrecanorum in Dubris (Dover). Sie scheint die gleiche Einheit wie eine britische Kohorte zu sein die als equitata millaria civium Latinorum neben der cohors II Tungrorum genannt wird. Dessen letzte datierbare Erwähnung stammt aus dem Jahr 241 und gibt als Stationierungsort das am Hadrianswall gelegene Kastell Castleheads (Camboglana) an. Es sieht ganz danach aus, dass die Latini ebenfalls nach Illyricum versetzt und dort bald in den Palatinaestatus befördert wurden. Auch der Zusatz "civium Latinorum" ist ungewöhnlich; die übliche Bezeichnung für Kohorten römischer Bürger lautet civium Romanorum. | |
Valentinianenses felices | Bei ihnen handelt es sich wohl um die Valentinianenses iuniores, eine Einheit der auxilia Palatina (Garde). Andere Vexillationen der Valentinianenses werden auch noch unter dem Magister Equitum in Gallien verzeichnet, von denen angenommen wird, dass sie ebenfalls aus den Valentinianenses iuniores hervorgegangen sind. Ihre Position in der Liste lässt einen Rang als Pseudocomitatenses an oder eine völlig neu aufgestellte Einheit denken die damals gerade in die Armee eingegliedert worden war. Bei einem Status als Palatinii wäre es allerdings eher unwahrscheinlich, dass sie ursprünglich von den Limitanei abkommandiert wurden. In diesem Fall müsste dies eine Neuerung sein, die erst nach dem Tod Valentinian III. eingeführt wurde. | |
Honoriani victores | Vermutlich ident mit den Honoriani victores iuniores. | |
Seguntienses | Die Einheit stammt ursprünglich aus Segontium (Caernarvon in Wales, Großbritannien), sie wird aber in der Endfassung der Notitia nicht mehr in der Liste des Dux Britanniarum angegeben. Es gibt archäologische Beweise für die Belegung dieses walisischen Kastells bis um 390. | |
Tungri | Diese Einheit stammt höchstwahrscheinlich ebenfalls aus Britannien. In der Truppenliste des Dux Britanniarum wird ein Tribunus Tungrorum cohortis primae angegeben, stationiert bei Borcovicio (auch Vercovicium, heute Housesteads am Hadrianswall). In den vorangegangenen Jahrhunderten wurde sie noch als cohors millaria (1000 Mann stark) bezeichnet. In der Folge scheint sie unter dem illyrischen Comes auf den Status von Palatinae (Garde) angehoben worden zu sein. Es ist, nebenbei bemerkt, auch eine Auffälligkeit in der Notitia, dass bei den Comitatenses keine Auxilia-Einheiten angegeben werden. Sie werden dort entweder als Pseudocomitatenses oder Palatinae geführt. Wenn diese Truppe in der Zeit nach dem Tod Stilichos nach Illyricum versetzt wurde, würde es auch reichlich Zeit für sie gegeben haben, sich im Kampf zu bewehren und dafür in den Status von Palatinae befördert zu werden. Sie wurden dadurch auch ein Teil der italischen Feldarmee die als die kampfkräftigste dieser Dekade gilt. | |
Mauri Honoriani seniores | ||
Mattiarii Honoriani Gallicani | ||
Legiones Comitatenses | ||
Tertiani | Diese Truppe ist offensichtlich eine Vexillation der Legio III Italica unter dem Dux Raetiae. | |
Tertia Herculea | ||
Pacatianenses | Vermutlich die Soldaten unter dem Praefectus numeri Pacensium in der Liste des Dux Britanniarum. Sie dürften lange Zeit in Britannien gestanden haben, bevor sie schließlich an den Comes Illyrici abgegeben wurden. | |
Mauri cetrati | ||
Propugnatores iuniores | ||
Pseudocomitatenses | ||
Lanciarii Lauriacenses | Die Lanzenwerfer aus Lauriacum (heute Enns in Oberösterreich) waren wohl ursprünglich Angehörige der Legio II Italica, stationiert in der Provinz Noricum ripense. Diese Einheit wurde vermutlich zwischen 395 und 420 in die illyrische Feldarmee eingereiht.[6] Der Titel lanciarii (oder lancearii) wurde ab dem späten 3. Jahrhundert an Eliteeinheiten vergeben. Auf der Grabinschrift des Soldaten Gaius Aurelius wird dieser als "ippeus lankiaris" bezeichnet.[7] In der Notitia werden eine Reihe von Lanciariieinheiten angeführt, einige sind offensichtlich solche Eliteeinheiten, während andere, wie die Lanciarii Lauriacenses, nicht als solche geführt werden. | |
Lanciarii Comaginenses | Die Lanzenwerfer aus Comagena (heute Tulln an der Donau/NÖ) war vermutlich eine Vexillation der legio I Noricorum, stationiert in der Provinz Noricum ripense.[8] | |
Secunda Iulia | Ident mit der Secunda Iulia Alpina. Eine Legion die ursprünglich aus den Bergvölkern im italienischen Teil der Westalpen ausgehoben wurde. Ihr Weiterbestehen wird in der Notitia durch eine Kapitelüberschrift der Italienarmee des Magister Peditum[9] belegt. Das Kapitel gibt zwar den Befehlsbereich aber weder Offiziere, Kastelle noch Städte an. | |
Catarienses | Wahrscheinlich eine Einheit der Pseudocomitatenses. Sie erlangten vermutlich ebenfalls erst im 5. Jahrhundert diesen Status. Sie ist mit ziemlicher Sicherheit dieselbe Einheit, die von einem Tribunus cohortis Caratensis unter dem Dux Pannoniae Primae et Norici Ripensis befehligt wurde. |
Literatur
- Theodor Mommsen: Das römische Militärwesen seit Diocletian. In: Hermes, Band 24 (1889), S. 195–279, ISSN 0018-0777 (online, zum comes Illyrici S. 264).[10]
- Völkerverschiebungen im Ostalpen-Mitteldonau-Raum zwischen Antike und Mittelalter (375–600). In: Reallexikon der germanischen Altertumskunde. Band 39, Walter de Gruyter, 2003, ISBN 3-11-017855-9, S. 10, 17, 18 und 28.
- Robert Grosse: Römische Militärgeschichte von Gallienus bis zum Beginn der byzantinischen Themenverfassung Weidmann, Berlin 1920; Nachdruck Ayer Publishing, 1975, ISBN 0-405-07083-7, S. 170–171,
- Arnold Hugh Martin Jones: The Later Roman Empire. 284–602. A social, economic and administrative survey. Johns-Hopkins-Univ. Pr., Baltimore, Md. 1986 (2 Bände)
- 1986, ISBN 0-8018-3353-1
- 1986, ISBN 0-8018-3354-X
- Peter J. Heather: The fall of the Roman Empire. Macmillan, London 2005, ISBN 0-333-98914-7.
- deutsch: Der Untergang des Römischen Weltreiches. Rowohlt TB Verlag, Reinbek b. Hamburg 2011, ISBN 978-3-499-62665-4.
- Michael S. DuBois: Auxillae: A Compendium of Non-Legionary Units of the Roman Empire. Lulu Press 2015, ISBN 978-1-329-63758-0.
- Klaus Wachtel: Ein Meilenstein des Decius aus latrus (Moesia inferior). In: Jahrbuch des Oberösterreichischen Musealvereines. Jahrgang 149, Linz 2004, S. 141–147 (zobodat.at [PDF]).
Anmerkungen
- 26, 5, 3.
- Amm. 29, 6, 3.
- Klaus Wachtel S. 146.
- Peter Heather: Der Untergang des Weströmischen Reiches. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2011, ISBN 978-3-499-62665-4, S. 472.
- sub dispositione
- Peter Heather: 2011, S. 570 Anm. 48
- AE 1981, 777
- ND Occ.V 109, 110; 259; VII 58, 59
- VII. Qui numeri ex praedictis per infrascriptas provincias habeantur/Intra Italiam
- Nachdruck in: Gesammelte Schriften. Teil 6, Band 3. 1910; 3. Auflage (Nachdruck) Olms, Hildesheim, 1994, ISBN 3-615-14646-8, S. 206–283 (S. 270).