Charles Leconte de Lisle
Charles Marie René Leconte de Lisle (eigentlich Charles Marie Leconte; * 22. Oktober 1818 in Saint-Paul, Réunion; † 18. Juli 1894 in Voisins / Louveciennes) war ein französischer Schriftsteller.
Leben und Schaffen
Er wurde auf der Île Bourbon – heute La Réunion – im Indischen Ozean geboren, wo sein Vater, ein ehemaliger napoleonischer Feldarzt, nach 1815 eine Zuckerrohr-Plantage übernommen hatte. Seine Kindheit verbrachte er ab dem Alter von vier Jahren in Nantes, seine Jugendzeit wieder auf La Réunion. Nach lustlosem Jurastudium in Rennes und ersten Versuchen als Journalist (1837–1843) lebte er nochmals kurz auf der Insel. Ab 1845 blieb er endgültig in Frankreich, meist in Paris, und schlug sich mühsam als Journalist und Literat durch. Schon während seiner Studienzeit war er mit dem socialisme évangélique von Félicité de Lamennais, eines der Begründer der katholischen Soziallehre, in Berührung gekommen; in der Zeit der starken Politisierung und Polarisierung der französischen Gesellschaft gegen Ende der Juli-Monarchie schloss er sich dem radikaleren Fourierismus an. Während der Februarrevolution 1848 war er aktiver linker Republikaner.
Nach der blutigen Niederschlagung der Revolte der Pariser Arbeiter im Juni 1848 und gänzlich nach dem Staatsstreich Louis-Napoléon Bonapartes im Dezember 1851 war er, wie viele linke Literaten der Zeit, desillusioniert. Er wurde unpolitisch und lebte nur noch der Literatur, insbesondere der Lyrik. Hierbei legte er sich den Künstlernamen Leconte de Lisle zu (den er ohne Vornamen benutzte), einem Homonym von le comte de l’île, d. h. „der Graf von der Insel“.
Leconte de Lisles Ideal war eine poésie objective. Diese sollte keine romantischen Gefühlsergüsse eines lyrischen Ichs in Verse fassen, sondern weitgehend deskriptiv ästhetisch schöne, belebte und unbelebte Sujets aus Gegenwart und Vergangenheit präsentieren, aber auch alte und neue mythologische und kosmologische Vorstellungen bedichten. Seine Gedichte publizierte er, wie üblich, in Zeitschriften und von Zeit zu Zeit in Sammelbänden. So erschienen 1852 die Poèmes antiques, 1862 die Poèmes barbares, 1873 Les Érinnyes, 1884 die Poèmes tragiques. Seine formvollendet ziselierten, gewollt eher kühlen Gedichte brachten ihm schließlich bei Literaturkritikern und -kennern Bewunderung ein, und seine bescheidene Pariser Wohnung wurde zum Zentrum der Dichterschule der „Parnassiens“.
In den 1860er-Jahren machte Leconte de Lisle seinen Frieden mit dem Regime von Napoleon Bonaparte, dem Zweiten Kaiserreich, und erhielt seit 1864 eine kleine staatliche Pension. Die 1871 beginnende Dritte Republik bedachte ihn 1873 mit einer pro forma-Bibliothekarsstelle, d. h. dem entsprechenden Gehalt. 1886 erhielt er einen Sitz in der Académie française.
Obwohl seine Gedichte viele Jahrzehnte zur obligatorischen Schullektüre gehörten, ist Leconte de Lisle heute kaum mehr bekannt. Für deutsche Leser von speziellem Interesse ist sein Gedicht Le Rêve du jaguar (deutsch „Der Traum des Jaguars“), das Rainer Maria Rilke zu seinem Panther inspiriert haben könnte.
Vertonungen
1877 vertonte César Franck das Gedicht Les Éolides aus der Sammlung Poèmes antiques zu einer sinfonischen Dichtung.[1]
Benjamin Godard vertonte das Gedicht Les Élephants aus der Sammlung Poèmes barbare im 1. Satz seiner Symphonie orientale, op. 84
In jüngster Zeit vertonte Klaus Miehling mehrere Werke von Leconte de Lisle: Fünf Chorlieder nach Baghavat für achtstimmigen Chor, Streichquartett (oder Streichorchester) und Harfe, op. 91 (2002); Zwei Chorlieder nach Leconte de Lisle für fünfstimmigen Chor und Klavier, op. 93 (2002); Trois Chansons Écossaises, op. 114 (2005); Ekhidna für Alt und Klavier / Alt und Orchester, op. 170 / 170a (2009 / 2013).
Literatur
- Christophe Carrère: Leconte de Lisle ou la passion du beau. Fayard, Paris 2009, ISBN 978-2-213-63451-7.
Weblinks
- Literatur von und über Charles Leconte de Lisle im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Kurzbiografie und Werkliste der Académie française (französisch)
- Artikel in „Namen, Titel und Daten der französischen Literatur“ (Quelle)