Cerne Abbas Giant
Der Cerne Abbas Giant (deutsch Cerne-Abbas-Riese) ist ein Scharrbild auf einer Hügelseite bei Cerne Abbas nördlich von Dorchester in der südwestenglischen Grafschaft Dorset.
Gestalt
Die Figur befindet sich auf einer großen eingezäunten Grasfläche. Ihre 60 cm breiten Umrisslinien sind als Gräben in die Grasnarbe gezogen und mit Kalkschotter ausgestreut.[1]
Der Riese selbst ist 55 Meter groß und hält eine lange Keule über dem Kopf in der rechten Hand, die die Höhe des gesamten Bildes nochmals um 11 Meter vergrößert. Der rechte Arm ist angewinkelt, der linke etwas weiter ausgestreckt. Unter dem linken Unterarm der Figur, vom Ellbogen bis zum Handgelenk, war einst eine Fläche eingezeichnet, die heute nicht mehr sichtbar ist. Die Beine sind zum Gehen geöffnet, die Füße weisen beide nach rechts.
Innerhalb des Umrisses fällt vor allem der über 7 Meter lange Phallus ins Auge, der angesichts seiner immensen Größe als ithyphallisches Glied gilt. Außerdem sind Brustwarzen, Brustmuskeln und drei Rippen dargestellt. Der Kopf ist proportional sehr klein, im Gesicht sind Augenbrauen, Augenlöcher und ein schmaler Mund zu sehen.
Herkunft
Das Alter des Riesen ist unbekannt. Er wird 1694 zum ersten Mal erwähnt, als die Aufzeichnungen eines Kirchenvorstehers die Instandsetzung „of ye Giant“ vermerkten. John Hutchins’ History of Dorset von 1774 gibt an, der Riese sei erst in Lord Holles’ Zeit gegraben worden, also zwischen 1641 und 1666.
Auch die Kelten wurden als Urheber vermutet. Immerhin sprach die Thermolumineszenzdatierung im Falle des White Horse Hill für eine prähistorische Entstehung. Der irische Gott Dagda sowie der gallische Donnergott Taranis hatten eine Keule. Auch Thor wird in dem Riesen gesehen. Eine andere Theorie vermutet, der Riese sei Herkules, geschaffen in römischer Zeit um 200. Die einstige Fläche unter seinem linken Arm wäre dann als Fell des Kithäronischen Löwen ausgemacht.
Gegen diese Annahmen spricht allerdings, dass der Riese in Schriften vor 1694 keine Erwähnung findet, im Gegensatz zu anderen mutmaßlich prähistorischen Scharrbildern wie dem Uffington White Horse. Die monumentale Kreideintarsie mit dem ithyphallischen Glied könnte eine Hommage an den englischen König Wilhelm III. von Oranien sein, der als naturwüchsiger Halbgott gefeiert wird; oder eine Karikatur auf Oliver Cromwell darstellen, der sich selbst als nackter Herkules maßlos überschätzt.
Im Juli 2020 wurden Vorberichte zu einer Auswertung von Bodenproben veröffentlicht, die aus den Füßen und Ellenbogen des Riesen entnommen wurden. In den Proben wurden Überreste der Schneckenart Cernuella virgata gefunden, die erst im 13. oder 14. Jahrhundert nach England eingeschleppt wurde. Dies deutet darauf hin, dass es sich bei dem Scharrbild um ein Werk des Spätmittelalters oder der Frühen Neuzeit handelt.
Weitere Untersuchungen mittels optisch stimulierter Lumineszenz wurden 2020 an den untersten Schichten des Scharrbildes durchgeführt. Die Ergebnisse, die im April 2021 veröffentlicht wurden, deuten auf eine Entstehungszeit zwischen 700 und 1100 n. Chr. hin.[2][3] Dass das auffallende Scharrbild bis 1694 nicht urkundlich erwähnt wird, führt der Archäologe Martin Papworth in einer Arbeitshypothese darauf zurück, dass es nach seiner ersten Anlegung aus unbekannten Grunden vernachlässigt wurde und bis zur Wiederherstellung 1694 in Vergessenheit geriet.[4]
Pflege
Damit die Linien nicht zuwachsen, ist etwa alle 10 Jahre eine Restaurierung erforderlich; die letzte fand im August und September 2019 statt.[5] Aus dem 18. Jahrhundert ist sogar ein Erneuerungszyklus von 7 Jahren überliefert.
Im Laufe der Zeit kann es zu Veränderungen gekommen sein, beispielsweise zeigt der Phallus Spuren einer Vergrößerung.[6] Möglicherweise erlangte der Phallus seine heutige Größe erst durch Zusammenführung mit dem (wie auf älteren Zeichnungen erkennbar) ursprünglich separat dargestellten Bauchnabel.[1]
Rituale
Im modernen Volksglauben ist der Riese ein Fruchtbarkeitsbringer. 1922 schrieb J. S. Udal, in Dorsetshire Folk-Lore, Paare sollten sich auf dem Phallus lieben, auf dass sich ihr Kinderwunsch erfülle. H. S. L. Dewar notierte 1968, dass Frauen den Riesen abliefen, in der Hoffnung, so einen Partner zu finden, Treue zu beschwören oder Kinder bekommen zu können. Wicca-Anhänger veranstalten beim Riesen regelmäßig Fruchtbarkeitsrituale und Beltane-Feiern.
Bildergalerie
- Zeichnung aus dem Jahr 1794 mit Maßen (in Fuß)
- Luftbild von Südwesten
- Anblick vom Erdboden
- Nahaufnahme des linken Schrittbereichs mit Phallus, 2005
- Restaurierung 2008, ebenfalls im Schritt. Der alte Kies wurde bereits entnommen, frischer Kies wird eingebracht.
Literatur
- Jacqueline Simpson, Steve Roud: Cerne Abbas Giant. In: A Dictionary of English Folklore. Oxford University Press, Oxford, 2000.
Weblinks
- Cerne Giant bei dem National Trust
- Infos bei spektrum.de
Einzelnachweise
- Eintrag bei Historic England, aufgerufen am 18. April 2019
- Stefan Trinks: Archäologie einer Kreidefigur: Jünger als gedacht. In: faz.net. 9. Juli 2020. Abgerufen am 10. Juli 2020.
- Rebecca Mead: The Mysterious Origins of the Cerne Abbas Giant. In: The New Yorker. 12. Mai 2021, abgerufen am 13. Mai 2021 (englisch).
- Bericht beim National Trust, abgerufen am 26. Mai 2021
- Richard Hartley-Parkinson: Volunteers polish giant’s erection by hand. In: metro.co.uk. 29. August 2019. Aufgerufen am 8. September 2019.
- Dazu Leslie Grinsell in Antiquity, Nr. 54. 1980. S. 29–33