Bummer und Lazarus
Bummer und Lazarus waren zwei herumstreunende Hunde, die während der 1860er-Jahre in San Francisco lebten. Aufgrund ihrer beiderseitigen Anhänglichkeit sowie ihrer außergewöhnlichen Fähigkeiten bei der Rattenjagd erlangten sie schnell allgemeine öffentliche Bekanntheit. Heute sind sie Bestandteil der Kulturgeschichte Kaliforniens.
Leben
Vorgeschichte
Bummer („Rumtreiber“) war ein Neufundländermischling, der ab 1860 im Umfeld von Martin & Horton's Saloon in der Montgomery Street (Financial District), einem beliebten Journalistentreff, lebte und schnell als Rattenkiller bekannt wurde. Diese Fähigkeit bewahrte ihn vor dem Schicksal seines Vorgängers in diesem Territorium, Bruno, der mit Strychnin vergiftet worden war.[1][2] Zeitungsartikeln der 1890er-Jahre zufolge wurde Bummer vom Journalisten Ned Knight von einem Aufenthalt in Petaluma nach San Francisco mitgebracht. Auch der Name „Bummer“ soll von ihm stammen. So war Bummer bereits seit seiner Ankunft den meisten Journalisten San Franciscos bekannt. Nach ein paar Tagen soll der Hund aber die Freiheit den Kneipenbesuchen mit seinem Herrchen vorgezogen haben.[2][3] 1861 rettete Bummer eine Promenadenmischung, die von einem größeren Hund angegriffen und am Bein schwer verletzt worden war.[1] Der Überlieferung nach teilte Bummer sein Essen mit dem Tier und wärmte es in der Nacht, sodass sich der Hund schnell von seinen Verletzungen erholte und daher den Namen Lazarus erhielt. Von da an begleitete Lazarus Bummer ständig und erwies sich bald ebenfalls als exzellenter Rattenjäger.[4][5] Einmal sollen die beiden in nur zwanzig Minuten 85 Ratten erlegt haben.[6]
„Karriere“
Die örtliche Presse wurde schnell auf das Pärchen aufmerksam und berichtete regelmäßig über die Aktivitäten der beiden Tiere. Bummer wurde dabei meist als „Gentleman“ mit beinahe tragischem Hintergrund dargestellt – vom Glück verlassen, aber hoffnungsvoll in die Zukunft blickend; Lazarus dagegen wurde die Rolle des verschlagenen und unzuverlässigen Freundes zugeteilt, der im Zweifelsfall nur an sich selbst denkt. Diese vermenschlichte Rollenzuweisung schien sich zu bestätigen, als Bummer einige Monate später durch einen Schuss ins Bein verletzt wurde und Lazarus ihn daraufhin mit einem anderen Hund verließ. Dass Lazarus nach Bummers Genesung zu ihm zurückkehrte, änderte nichts an dieser Einschätzung.[4][5]
Im Sommer 1861 halfen die Hunde einem Polizeibeamten bei der Festnahme eines gewalttätigen Schlägers. Und Ende Juni 1862 berichteten die Zeitungen, die beiden Hunde hätten ein durchgegangenes Pferd gestoppt.[7]
Entgegen ihrer öffentlichen Reputation konnten die beiden Hunde aber durchaus auch aggressiv auftreten. Bummer galt einer frühen Darstellung nach als Schafskiller und war in zahlreiche Beißereien mit anderen Hunden verwickelt, bei denen ihn Lazarus unterstützte.[8] Beide waren auch dafür bekannt, unbemerkt in örtliche Geschäfte einzudringen, diese auf der Suche nach Fressbarem oder einem Schlafplatz zu verwüsten und sich bei Entdeckung heftig zur Wehr zu setzen.[9] Im Juni 1862 wurde Lazarus von einem neu eingestellten Hundefänger aufgegriffen, woraufhin eine aufgebrachte Menschenmenge seine Freilassung forderte. Die Stadtverwaltung kam dieser Forderung nach und erklärte öffentlich, Bummer und Lazarus seien von nun an von der städtischen Verordnung zur Bekämpfung herumstreunender Hunde befreit.[2][10]
Kaiser Norton I.
In der Erinnerung werden Bummer und Lazarus mit einem weiteren Original von San Francisco, dem selbsternannten „Kaiser der Vereinigten Staaten“ Joshua Norton in Verbindung gebracht, dem sie stets gefolgt seien. So schrieb der Magazinautor Samuel Dickson 1947:
- „Bummer, Lazarus und Kaiser Norton waren unzertrennlich. Bei jeder Theaterpremiere waren in der ersten Reihe der Loge drei Sitze für den Kaiser und seine Hunde reserviert, natürlich kostenlos.“[5]
Dafür gibt es allerdings keinen zeitgenössischen Beweis. Basis dieser Legende ist aller Wahrscheinlichkeit nach einer zeitgenössischen Zeichnung von Edward Jump mit dem Titel "Three Bummers", das Norton, Bummer und Lazarus gemeinsam vor einem Buffet zeigt. Das Bild wurde damals öffentlich ausgestellt und allgemein bewundert. Norton selbst war von der Darstellung aber alles andere als angetan: Er sah darin „eine Verunglimpfung der kaiserlichen Würde“.[11]
Der Tod von Lazarus
Älteren Darstellungen zufolge wurde Lazarus im Oktober 1863 vergiftet,[2] nachdem er einen Jungen gebissen haben soll. Auch die von Bürgern San Franciscos ausgesetzte Belohnung von 50 $ führte nicht zur Ermittlung des Täters. Samuel Dickson dagegen berichtet, Lazarus sei von einem Wagen der Freiwilligen Feuerwehr überfahren worden.[5] In der Zeitung Daily Evening Bulletin erschien unter dem Titel „Klagelied für Lazarus“ ein ausführlicher Nachruf, in dem es hieß: „Zwei Hunde mit nur einem Bellen, zwei Schwänze, die wie einer wackelten.“[12]
Lazarus wurde ausgestopft[13] und fand seinen Platz hinter dem Tresen in Martins Saloon. Die Legende, Lazarus sei von zahllosen Bürgern San Franciscos zu Grabe getragen und neben namhaften Größen der Stadt beerdigt worden,[5] ist dagegen nachweisbar falsch. Aller Wahrscheinlichkeit beruht diese Vorstellung ebenfalls auf einer zeitgenössischen Zeichnung von Edward Jump mit dem Titel „Die Beerdigung von Lazarus“, auf der ein Leichenzug mit zahlreichen bekannten Persönlichkeiten San Franciscos abgebildet ist. Auf dem Bild hält Kaiser Norton die Leichenrede, während Frederick Coombs, der sich für die Reinkarnation von George Washington hielt und damit der erbitterte Rivale von Norton war, die Grube aushebt.
Bummers Tod
Bummer ging schnell eine neue Partnerschaft mit einem jungen Bullterrier ein, der Lazarus Jr. genannt wurde.[14] Aber langsam geriet das alt gewordene Tier in Vergessenheit. Im Oktober 1865 erkrankte Bummer und sein geschwächter Körper schwoll stark an.[15] Er starb nach einem Tritt durch einen Betrunkenen, der daraufhin verhaftet und wegen Tierquälerei zu einer Strafe von 25 $ verurteilt wurde.[2] Die Zeitung Daily Alta California veröffentlichte eine „Elegie auf Bummer“: „Der noble Bummer schläft“.[16] Auch Mark Twain verfasste unter dem Titel „Exit 'Bummer'“ einen Nachruf. Darin betont er, Bummer sei im Kreise seiner Freunde gestorben, die ihm „das Kissen aufschüttelten und den Todesschweiß von der Stirn wischten“. Twain war der Meinung, Bummer habe sich selbst überlebt, die Zeit sei über ihn hinweggegangen. „Er starb reich an Jahren und Ehrungen, voll mit Infekten und Insekten.“[17] Bummer wurde ebenfalls ausgestopft und fand seinen Platz zunächst neben Lazarus.[18]
Rezeption
1906 wurden die beiden ausgestopften Hunde von einem privaten Sammler dem Golden Gate Park Museum gestiftet und dort ausgestellt. Zwei Monate später wurde das Museum beim großen Erdbeben von 1906 schwer zerstört.[19] 1910 wurden die Tierkörper vernichtet.[10] 1992 wurde für die beiden Hunde in der Montgomery Street eine Gedenkplakette an der Transamerica Pyramid, dem höchsten Wolkenkratzer der Stadt, angebracht.
Auch künstlerisch wurde die Geschichte der beiden Herumtreiber verarbeitet, wobei die als exemplarisch gewertete Tierfreundschaft oder ihr legendenhaftes Verhältnis zu Kaiser Norton im Mittelpunkt stand. Bereits in den 1860er-Jahren wurden die Hunde im San Francisco-Metropolitan Theatre in der Burleske Life in San Francisco dargestellt.[20] 1938 wurde innerhalb der Radioserie Death Valley Days die Folge Lazarus And Bummer gesendet.[21] Im 1956 erschienenen Spielfilm In 80 Tagen um die Welt sieht man in einer San Francisco-Szene kurz Kaiser Norton, der von den beiden Hunden begleitet wird. 2007 hatte das Musical Emperor Norton, the Musical Premiere, in dem Bummer und Lazarus von zwei Schauspielern dargestellt werden.[22]
Samuel White Baker veröffentlichte 1884 die Erzählung Bummer and His Poor Acquaintances.[23] Die Autorin Grace Hibbard schrieb Anfang der 1890er-Jahre die Kurzgeschichte Bummer and Lazarus, die angeblich auch ins Deutsche übersetzt wurde.[24] Eine Art Cameo-Auftritt hatten Bummer, Lazarus und Kaiser Norton in dem 1985 erstmals erschienenen Star-Trek-Roman Ishmael von Barbara Hambly (deutsch 1990). Die drei sind auch Figuren in bislang vier in der Jetztzeit spielenden Büchern von Christopher Moore[25], ebenso in Ellen Wights Roman Tales of the Express (New York 2008).
Literatur
- Anne Bancroft: The Memorable Lives of Bummer & Lazarus (Citizens of San Francisco). Los Angeles: Ward Ritchie Press, 1939.
- Malcolm E. Barker: Bummer & Lazarus. San Francisco's Famous Dogs. San Francisco: Londonborn Publications, 1984. ISBN 0-93023-507-X
- Samuel Dickson: Tales of San Francisco. Stanford CA: University of Stanford Press, 1992 (zuerst 1947). ISBN 0-80472-097-5
Weblinks
- Malcolm E. Barker: Bummer and Lazarus in der Encyclopedia of San Francisco 2003.
Einzelnachweise
- San Francisco Dogs. In: Daily Alta California v. 18 Januar 1861.
- Bummer and Lazarus. In: The Morning Call v. 3. Juli 1892.
- The Remarkable Story of Two Dogs. In: San Francisco Call v. 6. Juni 1897.
- An Instance Of Gross Ingratitude. In: Daily Alta California v. 12. April 1861.
- Samuel Dickson: Bummer and Lazarus, in: Ders.: Tales of San Francisco. Stanford CA 1992, S. 338–348 (zuerst 1947).
- California Magazine 10 (1985), S. 117; Mark Derr: A Dog's History of America. New York 2004, S. 147f.
- Arrest By Dogs. In: Daily Alta California v. 10. August 1861; Dogs Stopping A Runaway Team. In: Daily Alta California v. 24 Juni 1862.
- A Good Sheep Dog. In: Sacramento Daily Union v. 16. November 1860; The Street Dogs. In: Daily Alta California v. 12. September 1861.
- Canine Burglars. In: Daily Alta California v. 3. Oktober 1862; Damages By A City Guest. In: Daily Alta California v. 13. Juli 1863.
- Malcolm E. Barker: Bummer and Lazarus (Memento des Originals vom 8. August 2007 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. in der Encyclopedia of San Francisco 2003.
- A Vacant Throne. In: Daily Alta California v. 9. Januar 1880.
- Robert E. Cowan u. a.: The Forgotten Characters of Old San Francisco. Los Angeles 1964, S. 77.
- As Natural As Life. In: Daily Alta California v. 27. Oktober 1863.
- Formed A New Partnership. In: Daily Alta California v. 12. Januar 1864.
- Canines. In: Sacramento Daily Union v. 27 Oktober 1865.
- Bummer is Dead. In: Daily Alta California v. 5. November 1865.
- Mark Twain: Early Tales and Sketches. Vol. 2: 1864-1865. Berkeley/Los Angeles 1981, S. 325.
- When Bummer Died. In: The Morning Call v. 4. November 1865.
- Bummer and Lazarus in the Park Museum. In: San Francisco Call v. 2. Februar 1906; Havoc at Park Museum. In: San Francisco Chronicle v. 29. April 1906.
- Lawrence Estavan: Theatre Buildings. (San Francisco Theatre Research, XV.) Teil 1. San Francisco 1940, S. 160f.
- Catalog of Copyright Entries. Part 1. [C] Group 3. Dramatic Composition and Motion Pictures. New Series 11: Index 1938. Washington 1939, S. 7514.
- s. Website (Memento des Originals vom 18. September 2017 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. .
- Samuel White Baker: True tales for my grandsons. New York 1884, S. 1–32.
- s. Magazine of Poetry 5 (1893), S. 315.
- Bloodsucking Fiends. A Love Story (1995; deutsch 1996 als Lange Zähne), A Dirty Job (2006; deutsch 2006 als Ein todsicherer Job), You Suck. A Love Story (2007; deutsch 2008 als Liebe auf den ersten Biss), Bite Me. A Love Story (2010; deutsch 2011 als Ein Biss sagt mehr als tausend Worte).