Bodhisattva-Gelübde
Das Bodhisattva-Gelübde (auch: Vier bedeutsame Gelübde) ist ein häufig rezitierter Text im chinesischen und japanischen Buddhismus, insbesondere im Zen. Im tibetischen Buddhismus ist das Bodhisattva-Gelübde Grundlage für die Mahayana-Praxis. Es ist Ausdruck und Bestärkung des Bodhisattva-Geistes (bodhicitta) und motiviert zur täglichen Praxis von Mitgefühl und Weisheit, zur praktischen Umsetzung im Alltag zum Wohle aller fühlenden Wesen.
Überlieferung der Gelübde
Die Bodhisattva-Gelübde wurden über die letzten Jahrtausende hinweg größtenteils mündlich, teils aber auch schriftlich, von buddhistischen Meistern an ihre Schüler übermittelt und zur Verbreitung auch an andere buddhistische Schulen und Klöster weitergeleitet.
Bodhisattva-Gelübde im chinesisch-japanischen Mahayana
Sino-japanisch | Deutsch | Chinesisch (Pinyin) | Chinesisch (Langzeichen) |
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Shi gu sei gan
Shu jo mu hen sei gan do Bon no mu jin sei gan dan Ho mon mu ryo sei gan gaku Butsu do mu jo sei gan jo |
Die Vier Großen Gelübde
Die Zahl der Wesen ist unendlich; ich gelobe, sie alle zu erlösen Gier, Hass und Unwissenheit entstehen unaufhörlich; ich gelobe, sie zu überwinden Die Tore des Dharma sind zahllos; ich gelobe, sie alle zu durchschreiten Der Weg des Buddha ist unvergleichlich; ich gelobe, ihn zu verwirklichen |
Sì hóngshìyuàn
Zhòngshēng wúbiān shìyuàn dù Fánnǎo wújìn shìyuàn duàn Fǎmén wúliàng shìyuàn xué Fódào wúshàng shìyuàn chéng |
四弘誓願
眾生無邊誓願度 煩惱無盡誓願斷 法門無量誓願學 佛道無上誓願成 |
Die Gelübde des Amitābha
Die 48 Gelübde des Amitabha bilden die Grundlage des Amitabha-Buddhismus. Gemäß der Überlieferung verließ ein König nach dem Hören der Lehre des Buddha seinen Thron. Unter dem Namen Dharmakara wurde er Mönch. Er legte 48 Gelübde ab und wurde zum Buddha Amitābha. Im Vertrauen auf seine Gelübde gelangen alle, die das Nirvana aus eigener Kraft nicht erreichen können, ins Reine Land des Buddha Amitābha. Es genügt, seinen Namen vertrauensvoll zu rufen (Nembutsu).
Gelübde der Bodhisattvas im Mahayana
Das Bodhisattva-Gelübde umfasst in erster Linie, das Versprechen, alles zu tun, um die fühlenden Wesen aus dem Kreislauf bedingten Seins (Samsara) zu befreien. Die Motivation ist bei diesem Gelübde weit entscheidender als das Einhalten konkreter Regeln, weswegen Gampopa in seinem Grundlagenwerk Der kostbare Schmuck der Befreiung sogar gänzlich darauf verzichtet, die unten aufgeführten Haupt- und Nebengelübde aufzuzählen.[1] Das Bodhisattva-Gelübde wird in zwei Traditionen weitergegeben: Der Linie des Tiefgründigen Weges (Nagarjuna) und die Linie des Weiten Weges (Asanga). Das Mahayana kennt eine detaillierte Aufzählung von Handlungen, die aufgrund ihrer unheilsamen Wirkungen von einem Bodhisattva aufgegeben werden.
Die 18 Hauptgelübde des Bodhisattva
Folgende Handlungen sind aufzugeben:
- Aus Verlangen nach Profit und Respekt uns selbst loben und andere tadeln/herabsetzen.
- Aus Anhaftung den Besitz nicht mit den Bedürftigen teilen oder aus Geiz den Dharma nicht lehren, wenn darum auf angemessene Art gebeten wird.
- Nicht zuhören, wenn jemand sich entschuldigt, sondern dem Gedanken der Wut folgen und ihn schlagen.
- Die Lehren des Mahayana verwerfen und eine eigene oder die Fälschung eines anderen als erhabenen Mahayana-Dharma lehren.
- Sich Gaben an die Drei Juwelen der Zuflucht durch Hinterlist, Raub oder üble Machenschaften aneignen.
- Die drei Lehrkörbe (Skt. Tripitaka) verachten und behaupten, dass diese Texte nicht Lehren des Buddha seien.
- Mönche aus dem Kloster oder der Mönchsgemeinschaft (Skt. Sangha) ausschließen – auch wenn sie ihre Gelübde gebrochen haben –, weil man ihnen nicht vergibt.
- Eines der fünf abscheulichen Verbrechen begehen: die Mutter, den Vater oder einen Arhat töten; mutwillig das Blut eines Buddhas vergießen; Zwietracht in der Mönchsgemeinschaft (Skt. Sangha) säen, indem man abweichende und falsche Ansichten unterstützt und verbreitet.
- Anschauungen hegen, die mit den Belehrungen des Buddhas im Widerspruch stehen, wie Sektierertum, Unglaube in Bezug auf die Drei Juwelen der Zuflucht, das Gesetz von Ursache und Wirkung usw.
- Einen buddhistischen Tempel vollständig durch Feuer, Bomben, Verunreinigung oder schwarze Magie zerstören.
- Die Leerheit (Skt. Sunyata) denen lehren, die noch nicht bereit sind, sie zu verstehen.
- Menschen davon abhalten, nach der vollständigen Erleuchtung der Buddhaschaft zu streben, und sie ermutigen, nur ihre eigene Befreiung vom Leiden anzustreben.
- Menschen ermutigen, die Gelübde der moralischen Disziplin, die sie abgelegt haben, aufzugeben.
- Andere dazu bringen, deine eigenen falschen Ansichten über das Hinayana – die du vielleicht hast – zu teilen sowie die Belehrungen des Hinayana herabzusetzen, und sagen, dass seine Praxis nicht zum Nirvana führt.
- Falsch zu behaupten, das Tiefgründige (Leerheit) realisiert zu haben.
- Das Eigentum der Drei Juwelen beschlagnahmen.
- Unfaire Verhaltensstrukturen aufbauen, indem man einer Person, die sich in Konzentration schult, Ressourcen wegnimmt und sie einer Person gibt, die Texte rezitiert.
- Bodhichitta aufgeben.
Gemäß Asanga sind die ersten vier der 18 Hauptgelübde die vier „Ursachen der Niederlage“, ähnlich wie die Vier Wurzelfehltritte des Pratimokhsha. Der Verlust der Bodhisattva-Gelübde tritt aber erst bei heftiger Verwicklung in ein solches Verhalten ein: Das heißt, wenn der Fehler unbereut bleibt; regelmäßig angewandt wird; der Bodhisattva dabei ohne Schamgefühl oder Verlegenheit ist; dies mit Freude und Befriedigung ausübt mit der Überzeugung, dass dieses Verhalten gut sei.
Die zweite Ursache für den Verlust der Bodhisattva-Gelübde ist die vollständige Aufgabe des Wunsches nach voller Erleuchtung. Bewahrt er die Ethik diesbezüglich, hält er die Bodhisattva-Gelübde auch in den folgenden Leben, selbst wenn er sich nicht an sie erinnert. Im Gegensatz zu den Pratimokhsha-Regeln können die Bodhisattva-Gelübde aber auch in derselben Lebenszeit – auch nach vollständigem Verlust – wiederaufgenommen werden.
Die 46 Nebengelübde des Aufgebens folgender Handlungen
- Quelle: "https://kalachakranet.org/text_german_bodhisattva_geluebde.html"
- Es unterlassen, täglich den Drei Juwelen der Zuflucht mit Körper, Rede und Geist Opfergaben anzubieten, indem man die Verbeugungen ausübt, Lobpreisungen darbringt und ihre guten Eigenschaften betrachtet, um Glaube und Vertrauen in sie zu entwickeln.
- Unserem verlangenden Geist nachgeben.
- Älteren Bodhisattvas keinen Respekt entgegenbringen.
- Fragen, die du beantworten kannst, nicht beantworten.
- Aus folgenden Gründen Einladungen nicht annehmen:
- Aus Wut, mit der Absicht, den anderen zu verletzen;
- Aus Stolz, indem du denkst, du seist zu hochstehend, um mit geringeren Leuten zusammenzukommen;
- Aus Eifersucht, wobei du denkst, höherstehende Leute werden auf dich herabschauen, wenn du mit geringeren Leuten gesehen wirst.
- Aus Wut, Stolz oder Eifersucht Geldgeschenke usw. von anderen nicht annehmen.
- Diejenigen den Dharma nicht lehren, die den Wunsch haben, ihn zu lernen.
- Diejenigen abweisen, die die Disziplin der moralischen Selbstkontrolle gebrochen haben, ihnen nicht vergeben und nicht beistehen.
- Das ethische Training nicht bewahren, sodass andere Vertrauen entwickeln.
- Wenig für den Nutzen der Wesen zu tun.
- Nicht eine der sieben schlechten Handlungen von Körper und Rede mit einer Bodhicitta-Motivation ausüben, wenn es von den Umständen her als notwendig erscheint, indem man sagt, dass ein solches Handeln gegen die versprochenen Regeln des moralischen Verhaltens verstoßen würde.
- Unseren Lebensunterhalt durch falschen Lebenserwerb verdienen.
- Vornehmlich an unbedeutenden Handlungen interessiert sein wie Unterhaltung, Sportveranstaltungen, Trinken, Blödeleien usw., Tätigkeiten, die deinen Geist zerstreuen und zu grenzenloser Zeitverschwendung führen, währenddem du diese Zeit aufbauend für Dharma-Praxis verwenden könntest.
- Nur daran zu denken, in Samsara zu wandern.
- Uns nicht von einem Verhalten zu befreien, das verursacht, dass wir in einen schlechten Ruf fallen.
- Nicht diejenigen korrigieren, die mit störenden Emotionen oder Einstellungen handeln.
- Auf Beschimpfung mit Beschimpfung reagieren, auf Schelte mit Schelte, auf Wut mit Wut, auf Schlagen mit Schlagen, auf Kritik mit Kritik.
- Diejenigen ignorieren, die wütend auf uns sind.
- Jemandes Entschuldigungen nicht annehmen, der zugibt, dir Unrecht getan zu haben.
- Gefühlen der Wut nachgeben und danach handeln.
- Einen Kreis von Schülern und Nachfolgern um dich sammeln mit dem Ziel, Gewinn, Lob, Liebe und Sicherheit von ihnen zu erhalten.
- Nicht zu versuchen, Faulheit usw. zu vertreiben.
- Sich aus Verlangen sinnlosem Geschwätz hinzugeben.
- Nicht nach den Mitteln zu suchen, ruhiges Verweilen zu erlangen.
- Uns nicht von den Hindernissen befreien, die geistige Stabilität verhindern.
- Die freudvollen, guten Gefühle und andere Gewinne, die du aus der Meditation ziehst, als Selbstzweck ansehen und daran anhaften.
- Es vernachlässigen, die Hinayana-Belehrungen zu studieren.
- Sich angestrengt in ihm (dem Hinayanasystem) bemühen, während wir unsere eigenen Methoden (Mahayana) haben.
- Alle Zeit und Energie darauf verwenden, nicht-buddhistische Lehren zu studieren – was zwar erlaubt und sogar nützlich dafür ist, andere zu verstehen und ihnen zu helfen, aber nicht soweit verfolgt werden soll, dass dadurch das Studium des Dharma vernachlässigt würde.
- Beim bloßen Lesen von nicht-buddhistischen Lehren diese vorziehen und sich an diese anhaften.
- Die Mahayana-Belehrungen verwerfen.
- Allgemein dich selber loben und andere herabsetzen aus Stolz und Wut.
- Nicht dem Dharma zuliebe Unterweisungen geben.
- Den Lama geringschätzen und sich auf den Buchstaben verlassen.
- Denen, die Hilfe brauchen, nicht helfen.
- Dich nicht um kranke Personen kümmern.
- Dich nicht dafür einsetzen, körperliches Leiden von anderen zu lindern.
- Den Rücksichtslosen nicht in Einklang mit ihrem Charakter zu lehren.
- Die Güte immaterieller Natur, die andere dir erwiesen haben, nicht zurückzahlen.
- Den Kummer anderer nicht vertreiben.
- Armen und Bedürftigen keine materielle Hilfe zukommen lassen.
- Uns nicht um die Bedürfnisse derer, die uns folgen, kümmern.
- Nicht in Einklang mit den Neigungen von anderen handeln.
- Nicht in lobenden Worten über die Talente oder guten Qualitäten anderer sprechen.
- Diejenigen, die im Allgemeinen schädliche Handlungen ausüben, und insbesondere diejenigen, die eine Bedrohung für den Dharma sind, nicht mit den entsprechenden Mitteln von ihren Handlungen abhalten.
- Falls du übersinnliche Kräfte hast, diese – wenn sie benötigt werden – nicht zu guten Zwecken anwenden.
Diese Gelübde werden von einem Bodhisattva zusammen mit den 6 Vollkommenheiten, oder Paramitas, praktiziert. Die Handlungen 1–7 werden aufgegeben, da sie die Vollkommenheit des Gebens oder Freigiebigkeit behindern. Die Handlungen 8–16 werden aufgegeben, da sie die Vollkommenheit der moralischen Disziplin oder Ethik behindern. Die Handlungen 17–20 werden aufgegeben, da sie die Vollkommenheit der Geduld behindern. Die Handlungen 21–23 werden aufgegeben, da sie die Vollkommenheit des Bemühens oder Eifers behindern. Die Handlungen 24–26 werden aufgegeben, da sie die Vollkommenheit der Konzentration oder geistigen Stabilisierung behindern. Die Handlungen 27–34 werden aufgegeben, da sie die Vollkommenheit der Weisheit behindern. Die Handlungen 35–46 werden aufgegeben, da sie die Vollkommenheit der moralischen Disziplin oder Ethik, anderen zu nutzen, behindern.[2]
Asangas Rat zu den Gelübden
In Asangas Urtext zur Mahayana Ethik ist folgendes zu finden:
Für alle Bodhisattva-Regeln gilt: Man ist relativ ohne Fehler, wenn der eigene Geist verzweifelt ist, man durch Gefühle des Leids schwer unter Druck ist oder die Bodhisattva-Ethik nicht genommen hat. Nichts im Bodhisattva-Weg ist von vorneherein ein Fehler.
Asanga zitiert Buddha: „Wisse, dass sich die Fehler eines Bodhisattvas am meisten aus Abneigung heraus entwickeln, nicht aus verlangender Anhaftung.“
Ist der Bodhisattva durch Liebe und Mitgefühl motiviert, ist alles die Handlung eines Bodhisattva – trägt er aber Hass in sich gegenüber den Wesen, kann er weder für sich noch für andere Gutes tun. Asanga summiert: Dies (Hass in sich zu haben) sei nicht die Übung eines Bodhisattvas; wenn er ihm folgt, wird der Bodhisattva tun, was er nicht tun sollte, und daraus kommt letztlich der Fehler in der Ethik.
Die Gelübde des Ambedkar
Bei seiner Konversion zum Buddhismus 1956, mit der er den sogenannten Dalit-Buddhismus oder Neo-Buddhismus in Indien begründete, formulierte Bhimrao Ramji Ambedkar seine 22 Gelübde, die neben der Zuflucht zu den Drei Juwelen und den Fünf Sila zur verbindlichen Grundlage für alle Anhänger dieser Richtung gehören.
Literatur
- Jan Jakob Maria de Groot: Le code du Mahâyâna en Chine; son influence sur la vie monacale et sur le monde laique. Müller, Amsterdam 1893; archive.org.
- Eunsu Cho: Fanwang jing. In: Robert E. Buswell (Hrsg.): Encyclopedia of Buddhism. Macmillan Reference, 2004, ISBN 0-02-865718-7, S. 281–282
Einzelnachweise
- Djetsün Gampopa: Der kostbare Schmuck der Befreiung. Norbu-Verlag, 2007, S. 116 ff.
- Führer ins Dakiniland, Geshe Kelsang Gyatso