Blattschraube (Holzblasinstrument)
Als Blattschraube, besser Blatthalter wird bei Holzblasinstrumenten mit einfachem Rohrblatt eine Befestigungseinheit benannt mit der Bestimmung, das Blatt auf dem Mundstück zu fixieren. Im englisch- und französischsprachigen Raum wird der Begriff ligature benutzt. In der deutschsprachigen Literatur und in Prospekten wird gelegentlich der Begriff Ligatur verwendet.
Das Blatt wird zwischen den Spielzyklen separat aufbewahrt und vor jedem Einsatz auf das Mundstück positioniert. Mit der Blattschraube wird es dann verschiebesicher am vorbestimmten Platz geklemmt. Darüber hinaus darf das Festhaltesystem das Blatt als das aktive und variable Teil des Instruments in seinem Schwingungsverhalten nicht behindern oder verfälschen.
Anwendungsbereich
Zu diesen Instrumenten gehört heute in der westlichen Welt im Wesentlichen die gesamte Saxophon- und Klarinettenfamilie. Nach der Lage der Grundtonreihe innerhalb des Tonsystems wird die Baugröße des entsprechenden Typs bestimmt. Jeder Baugröße ist eine Mundstück-Klassifikation zugeordnet. Seine Formgestaltung ist gemäß den Vorstellungen der Hersteller hinsichtlich Klang und Musikrichtung weltweit verschieden. Die Konstruktion des Blatthalters hat dieser Variationsbreite Rechnung zu tragen.
Geschichte
Klarinette
Die ersten hundert Jahre nach Erfindung der Klarinette gab es nur die Blattschnur als Blattbefestigung (Abbildung 1). Mit der eng gewickelten Schnur wird nahezu die gesamte dem Rücken des Blattes gegenüberliegende flache Seite einigermaßen gleichmäßig auf den Teller des Mundstücks gedrückt. Der vordere Teil des Blattes kann frei schwingen. Vor oder während des Wickelns bringt der Spieler das Blatt in die von ihm gewünschte Position. Wenn die Wicklung nicht zu straff ist, sind auch anschließend noch Feinkorrekturen möglich. Die Wicklung verhindert zuverlässig ein Verrutschen des Blattes während des Spielens. Insgesamt eine sehr gute Methode der Blattbefestigung, die nach wie vor auf historischen Instrumenten und Nachbauten ausschließlich angewandt wird, die aber in Deutschland eine gewisse Anzahl von Solo- und Orchesterklarinettisten auch auf modernen Instrumenten benutzen. Die Blattschnur benötigt allerdings ein Mundstück mit einem schmalen Wulst am Ende der Bahn, damit sie am Anfang einen Halt hat.
Anfang des 19. Jahrhunderts wurde von mehreren Klarinettisten unabhängig voneinander, u. a. von dem berühmten Klarinettisten und Klarinettenentwickler Iwan Müller die Blattschraube erfunden, einen mit Schrauben verstellbarer Metallring, der einfacher zu handhaben schien als die Schnur. Eine derartige Blattschraube zeigt die Abbildung 2, einmal von der Blattseite, das andere Mal von der gegenüber liegenden Seite. Rechts sieht man, dass das Metallband auf der Rückseite durchbrochen ist. Links zeigt sich, dass die Ligatur selbst und zugleich das Blatt mit zwei Schrauben auf dem Mundstück befestigt wird.
Kritik: Die auf das Blatt wirkende Kraft ist nur schwer einschätzbar. Kontaktstellen zwischen Blech und Rücken des Blattes sind unkontrolliert verteilt und bei wiederholter Aufspannung desselben Blatts verschieden platziert. Dieses Befestigungsmittel führt zu ungleichmäßiger Druckverteilung zwischen Blättchen und Tisch, kann zu abgehobenen (kontaktlosen) Stellen führen und den Schaft des Blättchens nachhaltig verformen. Fazit: Diese Befestigung mag einfacher zu handhaben sein, ist aber für eine funktionsgerechte Arbeitsweise des Blattes weniger gut geeignet als die Schnur. Dennoch setzte sich die Blattschraube weltweit durch.
Saxophon
Am 21. März 1846 hat Adolphe Sax einen französischen Patentantrag über ein neues System von Blasinstrumenten, genannt Saxophone, eingereicht. Die Blattschraube wird nicht ausdrücklich erwähnt. In den Zeichnungen kann man sie jedoch deutlich erkennen. Der in Brüssel am Konservatorium lehrende Beeckmann schreibt in seiner um 1870 erschienenen Schule für das Baritonsaxophon: „Zur Befestigung des Blattes auf dem Tisch dient der Blatthalter; er besteht aus einem Metallband, verbunden durch zwei Schrauben, ...“.
Weitere Entwicklung
Im der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts kamen Blattschrauben aus Leder und Textil auf den Markt (Abbildung 3). Dabei sind die Schrauben nicht auf der Unter- sondern der Oberseite des Mundstücks platziert; von dort läuft ein Leder- bzw. Textilband über den Blattrücken, ähnlich wie bei der Blattschnur. Bei der Lederausführung ist jedoch dort, wo sie auf das Blatt trifft, ein Metallstück mit zwei Wellen eingearbeitet, die auf der gesamten Länge der Ligatur rechts und links des Scheitels des Blattrückens das Blatt andrücken. Bei anderen Ausführungen ist es eine leicht gewölbte Platte. Die Ausführungen solcher Ligaturen ohne Einarbeitungen in das Band kommen der Blattschnur im Schwingungsverhalten am nächsten. Die anderen Ausführungen mögen Vorteile im Hinblick auf die Fixierung des Blattes haben, im Übrigen gelten auch für sie die oben genannten Kritikpunkte.
In einer Patentschrift aus dem Jahr 2005 mit dem Titel „Professioneller Blatthalter“, europäische Patentnummer EP2111614,[1] sind angabegemäß zum ersten Mal eindeutige Aufspannrichtlinien vorgestellt. Danach soll das Blatt mit seiner gesamten dem Rücken des Blattes gegenüber liegenden flachen Seite auf der dafür vorgesehenen Ebene des Mundstücks, dem Tisch, aufliegen, mit kontrollierter minimaler direkt auf das Blatt wirkender Druckkraft verdreh- und verschiebesicher aufgespannt sein und von der Aufspannvorrichtung so fixiert werden, dass es während des Schwingungsvorganges nicht gedämpft, gequetscht oder nachhaltig verformt wird und während des Spiels des Bläsers ohne Korrektur der Aufspannung zuverlässig arbeitet. Zudem soll das Blatt bei wiederholter Aufspannung unter den gleichen Bedingungen arbeiten.
Bei der zum Patent angemeldeten Blattschraube ist der Spannbereich auf verschiedene Bahnlängen der Mundstücke sowie unterschiedliche Ausstichtiefe des Blattes einstellbar. Außerdem sind die Befestigungen der Blattschraube auf dem Mundstück, von dem sie nur zu Reinigungszwecken abgenommen wird, und der des Blattes voneinander getrennt, was sonst bei keinem anderen Blatthalter der Fall ist.
Obwohl das Patent schon 2009 erteilt wurde, sind bis heute (September 2021) keine in dieser Art gefertigten Blattschrauben auf dem Markt. Führende Hersteller, z. B. die US-amerikanische Firma Silverstein, bieten im obersten Preisbereich eigene innovative und ebenfalls patentierte Weiterentwicklungen an.[2] Die Silverstein-Blattbefestigung geht dabei „back to the roots“, indem sie in einer High-Tech-Konstruktion die Blattschnur durch 6 spannbare Gummibänder ersetzt.
Eine andere Neuerung kommt dagegen ohne Schraube aus und besticht durch ihre Einfachheit. Sie besteht aus einem inwendig konischen 25 mm breiten Ring aus leicht elastischem Hartgummi, der einfach über das aufgelegte Blatt geschoben wird. Nach dessen Feinausrichtung wird dieses durch einen leichten Schub des Rings in Richtung Birne fixiert: (Abbildung 4). Eine ähnliche Befestigung gibt es auch als Ledermanschette.
Was noch zu beachten ist: Der Blatthalter hat, wie jeder Teil der Klarinette oder des Saxophons Auswirkungen auf den Klang des Instruments. Professionelle Spieler haben in der Regel mehrere unterschiedliche Ligaturen mit unterschiedlichem Klangcharakter, genau so, wie sie mehrere unterschiedliche Mundstücke besitzen, Klarinettisten zudem unterschiedliche Birnen und Becher. Wenn es um die Klangvorstellung für eine bestimmte Art von Stücken oder Konzerten geht, wählen sie die Kombination von Teilen, mit der sie ihre diesbezügliche Klangvorstellung am besten realisieren können.
Die Art der Blattbefestigung kann auch Einfluss auf das Staccato-Spiel haben. So wird z. B. Haltern, bei denen der Blattrücken von einem vergoldeten Teil angedrückt wird, nachgesagt, dem Spieler ein leichteres Staccato zu ermöglichen.
Siehe auch
Literaturliste
- Die Saxophone. Verlag Erwin Bochinsky, Frankfurt am Main 1994, ISBN 3-923639-98-8.
- Jürgen Bachmann: Vom Körper zum Ton. Chili Notes Musikverlag, Frankfurt am Main 2001, DNB 965452395.
- Kurt Birsak: Die Klarinette. Verlag Obermayer, Buchloe 1992, ISBN 3-9800919-8-8.
- Jack Brymer: Die Klarinette. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1983, ISBN 3-596-22986-3.
- Patent EP2111614: Professioneller Blatthalter. Veröffentlicht am 28. Oktober 2009.
- Patent DE89067: Vorrichtung zum Festlegen des Blattes bei Clarinetten. Veröffentlicht am 26. Februar 1896.
Weblinks
Einzelnachweise
- Patent EP2111614: Professioneller Blatthalter. Veröffentlicht am 28. Oktober 2009.
- Space Explorer