Biblioteca dei Girolamini
Die staatliche Biblioteca dei Girolamini (offizielle Bezeichnung: Biblioteca Statale Oratoriana del Monumento Nazionale dei Girolamini) ist die älteste Bibliothek Neapels. Sie beherbergt eine bedeutende historische Buchsammlung und wurde im Jahr 2012 Opfer eines Bücherdiebstahls.
Geschichte
Die Bibliothek gehört zum Complesso dei Girolamini, dem Kloster der Oratorianer, in Neapel. Sie wurde gegen Ende des 16. Jahrhunderts nach dem Vorbild der Biblioteca Vallicelliana in Rom von den Oratorianern Francesco Maria Tarugi (1525–1608), Borla, Talna und Giovanni Giovenale Ancina (1545–1604) gegründet, die schon in Rom als "Gerolamini" bezeichnet wurden[1] – in Neapel hielt sich dieser Beiname –, und im Jahre 1586 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Im 17. und 18. Jahrhundert nutzte der neapolitanische Philosoph Giambattista Vico die Bibliothek. Er wurde in der angrenzenden Kirche der Girolamini beigesetzt. Das Bibliotheksgebäude wurde im 18. Jahrhundert durch den neapolitanischen Maler, Ingenieur und Architekten Arcangelo Guglielmelli (1648–1723) und seinen Sohn umgestaltet und von Pietro Bardellino mit Fresken ausgestaltet.[2]
Nach dem Anschluss Süditaliens an das Königreich Italien wurden auf Grund des Gesetzes vom 7. Juli 1866 die Bibliothek und der gesamte Gebäudekomplex verstaatlicht, ihre Leitung blieb jedoch weiter den Oratorianern anvertraut.
Bestände
Die Bibliothek beherbergt etwa 170.000 Titel. Darunter befinden sich 120 Inkunabeln, ungefähr 5.000 Titel aus dem 16. Jahrhundert, zahlreiche Manuskripte und etwa 6.500 musikalische Werke aus dem 16. bis 19. Jahrhundert.[3] Die Schwerpunkte der Bibliothek bilden Philosophie, christliche Theologie, Kirchengeschichte und die Geschichte Europas. Dem Philosophen Giambattista Vico, der seine eigenen Werke dem dortigen Kloster überließ, ist ein eigener Raum gewidmet.[4]
Schließung, Instandsetzung und Raub
Die Bibliothek wurde in den 1980er Jahren wegen der durch das Erdbeben von 1980 verursachten Schäden für die Öffentlichkeit geschlossen und nicht mehr hinreichend in Stand gehalten. Nach Restaurierungs- und Konservierungsmaßnahmen sollte die Bibliothek unter dem neuen Direktor Marino Massimo De Caro (im Amt seit Dezember 2011) im Jahr 2012 wieder für das Publikum geöffnet werden.
Am 19. April 2012, am Tag der Öffnung des Vico-Saales, wurde die Bibliothek von der Polizei beschlagnahmt, nachdem der Direktor den Diebstahl „tausender antiker Bücher zur Anzeige gebracht“ hatte.[5] Der Direktor sowie vier weitere externe Mitarbeiter wurden im Mai 2012 verhaftet; gegen den Kurator der Bibliothek und eine Sekretärin des Kulturministers wurde ebenfalls ermittelt unter dem Verdacht, die Bibliothek um wertvolle Bände bestohlen zu haben.[6] Zahlreiche Werke konnten in der Nähe von Verona und in Deutschland aufgefunden werden; von gut 250 Bänden fehlte Anfang Juni 2012 jede Spur.[7] 543 Bücher waren im Mai 2012 bei einem Auktionshaus in München sichergestellt worden.[8] Eine Reihe von Exemplaren aus dem Diebstahl, unterdessen als „Raub“ und „Plünderung“ bezeichnet, waren über den internationalen Antiquariatshandel ins Ausland verkauft worden. Der als Direktor entlassene Marino Massimo De Caro wurde von der italienischen Ermittlungsbehörde als Hochstapler entlarvt und als Drahtzieher der Büchermafia zu sieben Jahren Haft verurteilt.[9][10][11]
Rückgabe
Im Februar 2015 wurden 613 gestohlene Bücher von Deutschland an den italienischen Staat zurückgegeben. Sie stammten aus mehreren italienischen Bibliotheken, darunter viele aus Neapel, und kamen zunächst zwecks Restaurierung nach Rom, da die Kunstdiebe sie teils stark beschädigt hatten.[12][13] Die 543 Bücher aus Neapel hatten einen Wert von mindestens 2,5 Millionen Euro.[14]
Am 11. Oktober 2015 wurde die Bibliothek im Rahmen einer Aktion des MIBACT für einen Tag ausnahmsweise für das Publikum geöffnet, um den Willen zu einer Änderung der Verhältnisse zu demonstrieren.[15]
Literatur
- Giulia Bologna: Manoscritti e miniature. Il libro prima di Gutenberg. Editoriale Giorgio Mondadori, Milano 1988, ISBN 88-374-1021-2, S. 175.
Weblinks
- Eintrag in Biblioteche pubbliche statali des Ministero per i Beni e le Attività Culturali
- Digitalisierte Musikalien der Biblioteca dei Girolamini im Portal Internet Culturale. Cataloghi e collezioni digitali delle biblioteche italiane, das vom Istituto centrale per il catalogo unico delle biblioteche italiane (ICCU) betreut wird.
Einzelnachweise
- Die Anfänge der Kongregation sind mit der Casa di San Girolamo verbunden, in der Filippo Neri bis 1583 wohnte.
- Biblioteca statale Oratoriana des Monumento nazionale dei Girolamini - Napoli (italienisch)
- Musica Sacra dell'Oratorio dei Girolamini (italienisch)
- Biblioteca statale Oratoriana del Monumento nazionale dei Girolamini - Napoli (italienisch)
- Neapel: Girolamini-Bibliothek beschlagnahmt. Bei: Südtirol News, 19. April 2012 (Memento vom 3. Juli 2012 im Internet Archive); siehe auch: Sigilli alla biblioteca dei Girolamini i pm indagano sui furti dei volumi. In: La Repubblica, 19. April 2012 (italienisch); Massive Thefts from the Girolamini Library in Naples; Auction Aborted (April 19, 2012). Bei: historyofinformation.com (englisch)
- Napoli, traffico di libri antichi ai „Girolamini“: cinque arresti. Bei: EoloPress.it, 24. Mai 2012 (italienisch)
- Biblioteca dei Girolamini: scandaloso furto alla cultura. Bei: La Rosa Nera, 29. Mai 2012 (italienisch)
- Christian Rost: Die Büchermafia und ihr bayerischer Arm. Süddeutsche.de, 11. Februar 2015, abgerufen am 13. Februar 2015.
- Henning Klüver: Bock und Bibliothekar; bei: sueddeutsche.de, 17. August 2012 (abgerufen am 21. August 2012)
- Elisabetta Povoledo: At Root of Italy Library’s Plunder, a Tale of Entrenched Practices. The New York Times, 11. August 2012 (zusammenfassende Darstellung der Ereignisse um die Buchdiebstähle; abgerufen am 21. August 2012)
- Süddeutsche Zeitung Nr. 35, 12. Februar 2015, S. 26.
- Martin Bernstein: Gestohlen, beschädigt, gerettet. Süddeutsche.de, 13. Februar 2015, abgerufen am 14. Februar 2015.
- Die Rückkehr der Bücher in FAZ vom 21. Februar 2015, Seite 15; siehe auch bei faz.net, 25. Februar 2015
- Süddeutsche Zeitung Nr. 35, 12. Februar 2015, S. 26.
- Bericht von Jundra Elce auf den Seiten Bibliothek.