Arschleder
Das Arschleder[1] oder Arsleder,[2] auch Bergleder,[3] Erzleder, Grubenleder, Rutschleder[4] oder Fahrleder genannt,[5] zählte im Bergbau zur Kleidung des Bergmannes.[6] Es diente als Schutz vor dem Durchwetzen des Hosenbodens[4] sowie gegen Bodennässe und Kälte beim Sitzen.[1] Insbesondere beim Einfahren in tonnlägige Schächte, wenn die Bergleute auf dem Leder die Vertonnung hinabrutschten.[7] Das Arschleder ist ein meist halbrundes Lederstück[8] und wurde am Leibriemen getragen.[7] Die Gestaltung moderner Arschleder ist in der DIN 23307 Gesäßleder für den Bergbau (Arschleder) geregelt.[9]
Grundlagen und Geschichte
Das Arschleder gelangte im 15. Jahrhundert aus der slowakischen Bergbauregion um Schemnitz (Banská Štiavnica) in die deutschen Bergbauregionen. Frühe bildliche Darstellungen finden sich auf dem Titelblatt des „Bergbüchlein“ von Ulrich Rülein von Calw (1505)[10] und auf dem Bergaltar der St. Annenkirche in Annaberg (1521). Georgius Agricola schrieb in seinem Buch De re metallica (1556)[11]:
„So sitzend die Berghäwer auf ihr Arsleder, das um die Lenden gebunden, dahinter herabhanget.“[4]
Das Tragen des Arschleders stand nur Bergleuten,[ANM 1] Hüttenleuten und Bergbeamten zu.[2] Anderen Personen außerhalb des Bergbaus war das Tragen des Arschleders nicht gestattet.[8] In einigen Bergregionen wurde es den Bergleuten sogar unter Strafe verboten, sich freiwillig ohne Arschleder[ANM 2] in der Öffentlichkeit aufzuhalten.[2] Bergleute, die zum Tragen des Bergleder berechtigt waren, wurden als Bergmann vom Leder[ANM 3] bezeichnet.[6] Wurde ein Bergmann aus dem Bergmannsstand ausgestoßen, so nannte man dies das Arschleder abbinden.[12] Er war von diesem Zeitpunkt an nicht mehr zum Tragen[ANM 4] des Arschleders berechtigt.[7] Er wurde praktisch „mit fliegendem Kittel davongejagt“.[4] Das Bergleder wurde auch als besonderes Zeichen gewürdigt, indem man nach der erblichen Vermessung von Ausbeutezechen die hierfür fällige Messgebühr für die Bergbedienten[ANM 5] und Ratspersonen auf einem neuen Bergleder darbot.[2] Dieses als Erbbereitungsleder bezeichnete Bergleder wurde nach der Zeremonie in Stücke zerteilt und zur Erinnerung an die Teilnehmer der Zeremonie weiter gereicht.[4] Oder man schenkte das Leder nach dieser Zeremonie an einen besonders fleißigen Bergknaben weiter.[2] Wenn besonders mutige Bergleute bei einer gefährlichen Arbeit das Risiko auf sich genommen hatten und ihr Leben bei dem Einsatz riskiert hatten, dann erhielten sie für ihren Einsatz ein neues Arschleder.[4] Das Arschleder stellt dadurch analog zu Schlägel und Eisen ein einigendes Symbol des Bergmannsstandes dar.[1] Später wurde es auch außerhalb der Arbeitstätigkeit in schmuckvollen Ausführungen zum Berghabit (Paradeuniform) bei Bergparaden getragen.[13] Das Arschleder war zudem in einigen Bergbauregionen ein Zeichen eines unterschiedlichen Standes, dies spiegelte sich in Farbe und Ausgestaltung des Bergleders des jeweiligen Trägers wider.[2] Bei bergmännischen Brauchtumsveranstaltungen wird dieses Utensil auch für den sogenannten „Ledersprung“ genutzt.[14] Wenn ein Bergmann während der Arbeit von einem Vorgesetzten ständig streng beaufsichtigt wurde, nannte man diesen Vorgang „Jemandem auf dem Arschleder sitzen“.[7]
Aufbau und Trageweise
Das Arschleder besteht aus zugerichtetem und geschwärztem Kalbleder[13] oder dickem Rindsleder[15] aber auch aus Corduan.[13] Damit es auch passt, wird es zuvor in die passende,[2] in der Regel halbrunde Form geschnitten.[5] Zur Öffnung hin läuft es in eine Gürtelform aus und wird durch ein Koppelschloss am Körper festgeschnallt.[15] Es gab auch Variationen bei denen mit einem separater Gürtel, der mit einer Tscherpertasche versehen war, das Arschleder am Körper getragen wurde.[3] Es gibt für die verschiedenen Anlässe unterschiedliche Arschleder, die unterteilt werden in Anfahr-, Alltags- und Paradeleder.[8] Für die Bergoffizianten gab es für offizielle Anlässe spezielle Arschleder,[6] die mit Silber[2] oder Gold eingefasst waren.[6] Hierfür wurde das ungefütterte Paradeleder mit einer silbernen oder goldenen Rundschnur eingefasst.[2] Besonders hochgestellte und vornehme Bergbeamte ließen sich ihr Arschleder mit seidenem Stoff ausfüttern.[13] Die Bergleute trugen ihr Arschleder um die Hüfte geschnallt nach hinten gedreht.[6] Von Hüttenarbeitern wurde das Arschleder nach vorne, ähnlich einer Schürze getragen.[13]
Eingang in Volkskunst, Musik und Sonstigem
Das Arschleder des Bergmannes ist in die Gestaltung von Räuchermännchen und Nussknackern aus dem Erzgebirge eingeflossen. Es hat auch seinen Eingang ins bergmännische Liedgut gefunden. So heißt es in der letzten Strophe der im Ruhrgebiet, an der Saar und anderen Bergbauregionen gesungenen Fassung des Steigerlieds:
„Bergleut, Bergleut sein kreuzbrave Leut’
denn wir tragen das Leder vor dem Arsch bei der Nacht
denn wir tragen das Leder vor dem Arsch bei der Nacht
und saufen Schnaps, und saufen Schnaps.“[16]
Außerdem wurde das Arschleder in einem bergmännischen Schalkslied aus dem 17. Jahrhundert besungen.
„Ich hab ein Arschleder, es hat kein gut Fell,
es war ein alter Hund, er kunnt nit mehr belln,
und wenn ich ihm nicht hätt das Fell abgezogen
so wär damit der Schneider betrogen“[1]
Letztendlich wurde das Arschleder auch bei Kundgebungen genutzt, indem man es an eine lange Stange band, die dann hochgehalten wurde[ANM 6] und so den Zug der Bergleute anführte.[4]
Weitere Verwendungen
Im Lenkdrachensport kommt das Arschleder insbesondere beim Powerkiting mit zugkräftigen Drachen zum Einsatz. Der Pilot setzt sich auf den durch das Arschleder geschützten Hosenboden und lässt sich vom Drachen über geeigneten Untergrund (Wiese) ziehen.[17]
Literatur
- Walter Schellhas: Das Arschleder des Bergmanns. In: Sächsische Heimatblätter Heft 6/1987, S. 280–281
Einzelnachweise
- Corinna Schaffer, Gerhard Sperl: Nicht das Arschleder macht den Bergmann aus. Bergmännische Brauchtum in Mitteleuropa - eine Dokumentation, Verein Steirische Eisenstraße, S. 54, 55.
- C. W. F. Schmid: Aufsatz von dem Rechte des Bergleders. Mit Barthelischen Schriften, Freyberg 1774, S. 3–10.
- Stephan Schmidt-Brücken: Das Bergamtschor in der Kirche zu Scheibenberg. In: Bergglöckchen. Zeitschrift des Sächsischen Landesverbandes der Bergmanns-, Hütten- und Knappenvereine e. V. (Hrsg.), Heft 1 / 2007, S. 8.
- Reinhard Suchomel: Die deutsche Minderheit in Ostböhmen. Sonderfall Schatzlar. Dissertation an der Universität Wien, Wien 2017, S. 229, 230.
- Julius Dannenberg, Werner Adolf Franck (Hrsg.) Bergmännisches Wörterbuch. Verzeichnis und Erklärung der bei Bergbau - Salinenbetrieb und Aufbereitung vorkommenden technischen Ausdrücke, nach dem neuesten Stand der Wissenschaft - Technik und Gesetzgebung bearbeitet, F. U. Brockhaus, Leipzig 1882.
- Ernst Schneider: Bergwörterbücher als volkskundliche Quelle. In: Verein für Volkskunde in Wien. Leopold Schmidt, Hans Koren, Franz Lipp, Oskar Moser, Josef Ringler: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde. Band 70, Im Selbstverlag des Vereines für Volkskunde, Wien 1967, S. 26, 27.
- Heinrich Veith: Deutsches Bergwörterbuch mit Belegen. Verlag von Wilhelm Gottlieb Korn, Breslau 1871.
- Carl Friedrich Richter: Neuestes Berg-und Hütten-Lexikon. Oder alphabetische Erklärung aller bei dem Berg- und Hüttenwesen vorkommenden Arbeiten, Werkzeuge und Kunstwörter; Aus dem vorzüglichen mineralogischen und hüttenmännischen Schriften gesammelt und aufgestellt, Erster Band, A - L, in der Kleefeldschen Buchhandlung, Leipzig 1805.
- DIN 23307 Gesäßleder für den Bergbau (Arschleder). Beuth Verlag. Berlin 2009.
- Ulrich Rülein von Calw: Ein nützlich Bergbüchlein. Freiberg um 1500, Deckblatt.
- Georg Agricola: Zwölf Bücher vom Berg- und Hüttenwesen. In denen die Ämter, Instrumente, Maschinen und alle Dinge, die zum Berg- und Hüttenwesen gehören, nicht nur aufs deutlichste beschrieben, sondern auch durch Abbildungen, die am gehörigen Orte eingefügt sind, unter Angabe der lateinischen und deutschen Bezeichnungen aufs klarste vor Augen gestellt werden. Sowie sein Buch von den Lebewesen unter Tage, in neuer deutscher Übersetzung bearbeitet von Carl Schiffner, unter Mitwirkung von Ernst Darmstaedter. VDI-Verlag GmbH u. a., Berlin u. a. 1928 (Unveränderter Nachdruck: Marix, Wiesbaden 2006, ISBN 3-86539-097-8), Sechstes Buch von den Werkzeugen, Geräten und Maschinen, S. 182.
- Th. Imme: Sprachliche Erläuterungen zu bekannten Ausdrücken der deutschen Bergmannssprache. (Schluß). In: Glückauf, Berg- und Hüttenmännische Zeitschrift. Verein für die bergbaulichen Interessen im Oberbergamtsbezirk Dortmund (Hrsg.), Nr. 23, 46. Jahrgang, 11. Juni 1910, S. 847.
- Johann Christoph Stößel (Hrsg.): Bergmännisches Wörterbuch, darinnen die deutschen Benennungen und Redensarten erkläret und zugleich die in Schriftstellern befindlichen lateinischen und französischen angezeiget werden. Chemnitz 1778.
- Georg Schreiber: Der Bergbau in Geschichte, Ethos und Sakralkultur. In: Wissenschaftliche Abhandlungen der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Band 21, im Auftrag des Ministerpräsident herausgegeben, Springer Fachmedien GmbH, Wiesbaden 1962, ISBN 978-3-663-00242-0, S. 240.
- Wilfried Ließmann: Historischer Bergbau im Harz. 3. Auflage, Springer Verlag, Berlin und Heidelberg 2010, ISBN 978-3-540-31327-4, S. 44, 45.
- Gesellschaft der Leobener Bergbaustudenten (Hrsg.): Liederbuch für Bergleute. 1. Auflage, Leoben 2008, S. 9.
- Arschleder auf der Homepage eines Lenkdrachenherstellers (abgerufen per Archive org. am 23. April 2021)
Anmerkungen
- In Sachsen zählten die Vitriolsieder, die Schwefelbrenner, die Blaufarbenwerksarbeiter und die Bergmanufakturisten zu den Bergleuten, jedoch trugen sie kein Arschleder, sondern nur eine buntfarbige Schürze. (Quelle: Carl Friedrich Richter: Neuestes Berg-und Hütten-Lexikon.)
- Die Strafe wurde damit begründet, dass der Bergmann dadurch die Achtung und die Abhängigkeit von standesmäßig höheren Personen verletzte. Zudem würde er ohne das getragene Bergleder den nötigen Anstand nicht wahren. (Quelle: C. W. F. Schmid: Aufsatz von dem Rechte des Bergleders.)
- Als Bergmann vom Leder oder Bergmann nach dem Leder bezeichnet man einen praktisch ausgebildeten Bergmann. Zu ihnen zählten auch die praktisch tätigen Bergbeamten wie der Bergmeister, der Steiger und die Reviergeschworenen. (Quelle: Heinrich Veith: Deutsches Bergwörterbuch mit Belegen.)
- Diese in älteren Zeiten verhängte Strafe bedeutete für den Bergmann Verlust der Arbeit und Ehrlosigkeit. Er durfte von nun an auf keiner der Gruben des jeweiligen Bergreviers mehr arbeiten. (Quelle: Heinrich Veith: Deutsches Bergwörterbuch mit Belegen.)
- Als Bergbediente bezeichnete man die bei den Bergwerken tätigen Beamten wie den Steiger und den Schichtmeister. (Quelle: Lorenz Pieper: Die Lage der Bergarbeiter im Ruhrrevier.)
- Ein so zur Fahne hochgerecktes und getragenes Arschleder galt als Zeichen des Aufruhrs. Dieser Akt wurde als Missbrauch des Leders gewertet und galt als Beschmutzung des bergmännischen Charakters. (Quelle: Reinhard Suchomel: Die deutsche Minderheit in Ostböhmen. Sonderfall Schatzlar. )