Arbeiterviertel
Unter Arbeiterviertel (engl. working class quarter) versteht man ein Stadtviertel, häufig in Nähe von Fabriken oder größeren Bahnhöfen, in dem hauptsächlich Arbeiterfamilien wohnen. In Arbeitervierteln befinden sich vornehmlich Wohnungen niederen Standards, mit sozial schwachen Menschen. Es handelte sich besonders in der Vergangenheit meist um arme, heruntergekommene Areale. Durch tiefgreifende wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen der westlichen Welt gibt es hier immer weniger Arbeiterviertel im wörtlichen Sinn. Nachdem viele dieser Viertel besonders in Deutschland in neuerer Zeit durch Sanierungen baulich aufgewertet wurden, spricht man heute eher von Altbaugebieten oder zeitbezogen von Gründerzeitquartieren. Arbeiterviertel sind nicht zu verwechseln mit Arbeitersiedlungen, die auf Initiative gemeinnütziger Gesellschaften oder von Unternehmern planmäßig und teilweise in einem Zuge auf der grünen Wiese errichtet wurden.
Geschichte
Arbeiterviertel entwickelten sich im 19. Jahrhundert oft auf Arealen von Dörfern oder Gutshöfen, die am nächsten an historischen, größeren Städten und zudem nahe an den neu errichteten Eisenbahnlinien lagen, wo auch die Industrie entstand. Deshalb tragen Arbeiterviertel häufig Namen einstiger, selbständiger Orte oder beispielsweise in Nürnberg die Endsilbe ...hof. Die historischen Ortskerne bestehen manchmal heute noch als ländliche Inseln, so wie mehrfach in Frankfurt am Main, beispielsweise in Unterliederbach.
Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Schaffung von Arbeiterwohnungen zur Kernfrage. In der Anfangsphase der Industriellen Revolution entsprachen die Wohnverhältnisse der Arbeiter nicht den hygienischen Anforderungen. Zudem konnten sich die wenigsten eine angemessene Wohnung finanzieren, wodurch man vielerorts auf engstem Raum in teilweise weit überbelegten Mietskasernen hauste, die zum Symbol der Arbeiterviertel wurden. Durch solidarische Selbsthilfe, werkseigene Arbeitersiedlungen und Wohnungsbaugenossenschaften versuchte man dieser Probleme Herr zu werden.
In der westlichen Welt erfuhren viele dieser Viertel seit den 1960er Jahren durch Deindustrialisierung, Abwanderung und demografisch bedingter Einwohnerabnahme bei gleichzeitigem Zuzug von Migranten in die frei gewordenen Wohnungen einen nahezu kompletten Bevölkerungsaustausch (Segregation). In den USA verfielen durch enorme Deindustrialisierung, insbesondere im Rostgürtel, viele Arbeiterviertel vollständig oder wurden gar von der Natur zurückerobert.
Politik
In Arbeitervierteln waren im 19. Jahrhundert häufig Keimzellen der Arbeiterbewegung. Über den Berliner Wahlkreis VI, zudem der Arbeiterbezirk Wedding gehörte, begann maßgeblich seit 1877 der Aufstieg der SPD. Der große Pariser Arbeitervorort St. Denis wurde zu einer der ersten Hochburgen der französischen Arbeiterbewegung und der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF), die bis heute den Bürgermeister stellt.
Heutige Lage
Heute erleichtert der Staat durch Sozialen Wohnungsbau und die Vergabe von Wohngeld das Wohnen für einkommensschwache Familien. Diese Aufgabe wird von der jeweiligen Kommune durchgeführt.
Wohnungen sind in vielen deutschen Großstädten knapp. Die Nachfrage übersteigt in vielen Orten das Angebot. Deshalb werden die meist innenstadtnahen (einstigen) Arbeiterviertel zunehmend interessant und erfahren öfters Stadtumbau und Aufwertung. Manche dieser Viertel erleben eine weitere Aufwertung, in Folge Gentrifizierung, mit stark ansteigenden Mieten und Verdrängung der angestammten Bevölkerung.
Beispiele für Arbeiterviertel
Bekannte, große Arbeiterviertel, bzw. Vororte sind der Berliner Wedding oder die Pariser Vorort St. Denis. Weitere deutsche Beispiele sind Ostheim in Stuttgart, Oberhausen in Augsburg, Südstadt und Gibitzenhof in Nürnberg, das Bergl in Schweinfurt oder die Zellerau in Würzburg.
- Bau von Mietskasernen in Berlin
(Fr. Kaiser: Tempo der Gründerzeit)
um 1875 - Wedding,
Meyers Hof
um 1910 - Restaurierte
Dimitroffstraße
1985 - St. Denis,
Quartier Gare Confluence
2010
Weblinks
- Bauart der Arbeiterviertel – Höfe und Hintergassen aus: Friedrich Engels: Die Lage der arbeitenden Klasse in England, 1845. online auf www.textlog.de
Quellen
- Brockhaus Enzyklopädie, Zweiter Band, F. A. Brockhaus-Verlag Mannheim, 19. Auflage, 1987, ISBN 3-7653-1100-6