Ambrogio Lorenzetti
Ambrogio Lorenzetti (* um 1290 in Siena; † um 1348 ebenda; lateinisch auch Ambrosius Laurentius) war ein italienischer Maler. Ambrogio und sein Bruder Pietro Lorenzetti waren wichtige Vertreter der Schule von Siena.
Berühmt ist er für seinen Freskenzyklus im Palazzo Pubblico von Siena, der heute gemeinhin als Allegorie und Auswirkungen der Guten und der Schlechten Regierung (Allegoria ed effetti del Buono e del Cattivo Governo) bezeichnet wird.
Biografie
Über Ambrogios persönliches Leben ist nur wenig bekannt. Sein frühestes datiertes Werk, die sogenannte Madonna von Vico l’Abate von 1319, legt ein Geburtsdatum in den 1290er Jahren nahe.[1]
Er malte hauptsächlich Altargemälde und Fresken. Zu seinen bedeutendsten Werken gehören mehrere große Maestàs, darunter der spektakuläre Altar für Massa Marittima, dessen Entstehungszeit auf etwa 1335 geschätzt wird (Abb. oben),[2] sowie zwei weitere in Freskotechnik in der Cappella di Montesiepi in Galgano und in der Kirche Sant’Agostino in Siena.[3] Die zuletzt genannte ist das einzige noch existierende Fragment eines großen Katharinenzyklus, der einst zu den bedeutendsten Meisterwerken Ambrogios gehörte, ebenso wie ein nur bruchstückhaft erhaltener Freskenzyklus in Kreuzgang und Kapitelsaal der Kirche San Francesco (Siena). Beide wurden von dem berühmten Bildhauer und Kunsttheoretiker Lorenzo Ghiberti hoch gelobt, genau beschrieben und bewundert, im Gegensatz zu den heute berühmten allegorischen Fresken im Palazzo Pubblico, die Ghiberti nur relativ beiläufig erwähnt.[4]
Verloren sind auch Fresken eines Marienlebens an der Fassade des Hospitals von Santa Maria della Scala in Siena, die Ambrogio zusammen mit seinem Bruder Pietro malte und die der einzige Beweis für die Tatsache waren, dass es sich bei den beiden Lorenzettis um Brüder handelte.[5]
Neben der erwähnten Madonna von Vico l’Abate sind nur zwei Spätwerke datiert: die Darbringung im Tempel von 1342 für eine Kapelle der Kathedrale von Siena (heute: Uffizien, Florenz) und die Verkündigung von 1344, die ursprünglich für den Palazzo Pubblico in Siena bestimmt war (heute: Pinacoteca Nazionale, Siena).[1]
Am 9. Juni 1348 machte Ambrogio sein Testament, für den Fall, dass er, seine Frau und drei Töchter die zu der Zeit grassierende Pestepidemie nicht überleben sollten, und vermachte all seine Güter der Compagnia della Vergine Maria von Siena. Da diese noch im selben Jahr verschiedene Besitztümer von Ambrogio veräußerte, geht man davon aus, dass tatsächlich seine ganze Familie von der Seuche ausgelöscht wurde.[1]
Werke
- Madonna von Vico l’Abate (1319), urspr. für die Kirche Sant'Angelo in Vico Abate, heute im Museo Arcivescovile del Cestello, Florenz
- Madonna del latte, Palazzo Arcivescovile, Siena
- Madonna mit Kind und den Heiligen Magdalena und Dorothea (Teile eines Polyptychons der Hl. Maria Magdalena ?), Pinacoteca Nazionale, Siena
- Triptychon des Hl. Proklos (1332 ?), Uffizien, Florenz
- Maestà (um 1335), Palazzo Communale, Massa Marittima
- Maestà und andere Fresken in der Cappella (oder Rotonda) von Montesiepi (1334–36)
- Das Martyrium des Franziskus bei Bombay (um 1336), Fresko in San Francesco, Siena
- Maestà (um 1338), Fresko in Sant'Agostino, Siena (Teil eines verlorenen Katharinenzyklus)
- Freskenreihe in der Sala d ei Nove im Palazzo Pubblico, Siena (1338–1339)
- Allegoria del Cattivo Governo
- Allegoria del Buon Governo
- Effetti del Buon Governo in città e in campagna
- Santa Petronilla, Altarwerk (1340)
- Die kleine Maestà (um 1340), Pinacoteca Nazionale, Siena
- Darbringung im Tempel (1342), Uffizien, Florenz
- Verkündigung (1344), urspr. im Palazzo Pubblico, jetzt in der Pinacoteca Nazionale, Siena
Freskenzyklus in der Sala dei Nove des Palazzo Pubblico von Siena
Die Fresken entstanden in den Jahren 1338 und 1339 auf drei Wänden der "Sala dei Nove" im "Palazzo Pubblico di Siena". Auf der Wand, die der Fensterseite gegenüberliegt, sieht man eine Allegorie der guten Regierung, auf der Wand links vom Betrachter eine Allegorie der schlechten Regierung, und auf der rechten Wand werden die Auswirkungen der guten Regierung auf Stadt und Land dargestellt. Im Deutschen wird "governo" gelegentlich[6] auch mit "Regiment" übersetzt.
Der etwas umständliche, heute gebräuchliche Titel des Freskenzyklus ist nicht die ursprüngliche Bezeichnung. Über Jahrhunderte hinweg, etwa bei Lorenzo Ghiberti[7] um die Mitte des 15. Jahrhunderts und bei Giorgio Vasari in seinen Künstlerbiographien hundert Jahre später werden diese Bilder schlicht als Darstellungen des Friedens und des Krieges bezeichnet.[8] Die 'modernen' Bildtitel, so schreibt die italienische Kunsthistorikerin Giulietta Chelazzi Dini[9] gehen auf den italienischen Kunsthistoriker Luigi Lanzi zurück, der 1792[10] den Freskenzyklus zutreffend als eine 'Dichtung zur moralischen Erziehung' bezeichnete. Eine detaillierte Geschichte der Rezeption und der Namengebung von Lorenzettis Zyklus findet sich 1980 bei Edna C. Southard[11]. Die beste und detailreichste Wiedergabe (108 cm × 23 cm) der Bilder des Freskenzyklus liefert Giulietta Chelazzi Dini[12]. Eine sehr überzeugende Interpretation der Bilder, bei der nicht nur Bezüge zur Göttlichen Komödie Dantes hergestellt werden, sondern auch das republikanische Selbstbewusstsein der Regierung der Nove[13] in Siena vor dem Hintergrund der (verklärten) Römischen Republik entwickelt und in dem Freskenzyklus Lorenzettis wiederentdeckt wird, liefert Dagmar Schmidt in ihrer Dissertation aus dem Jahre 2003[14]
Jacob Burckhardt assoziiert bei der Betrachtung dieser Fresken Lorenzettis thematische Bezüge zu der „Ekphrasis“, der Beschreibung eines (fiktiven) Bildes in der Ilias Homers, nämlich zu der Darstellung der Welt auf dem von Hephaistos geschmiedeten Schild des Achill im XVIII. Gesang. Damit beweist Jacob Burckhardt seine umfassende Bildung, gibt aber keinen Hinweis auf eine mögliche Quelle der Bildvorlagen des Malers und will ihn auch gar nicht geben. Denn Burckhardt betont ausdrücklich, dass Ambrogio Lorenzetti sicherlich nicht irgend eine auch nur mittelbare Kunde von Homer gehabt habe.[15] Die moderne Kulturwissenschaft hält es ebenfalls für eine „falsche Spur“, eine detaillierte Kenntnis der Inhalte der Ilias bei den Malern des Trecento zu vermuten, auch nicht in den stark verkürzten lateinischen Versionen.[16] Eine intensive bildnerische Auseinandersetzung mit Szenen aus Homers Werken findet in der europäischen Malerei wohl frühestens mehr als 100 Jahre später, in der Renaissance, und dann vor allem im Barock statt[17], und auch die Dichter des Trecento wie Petrarca und Boccaccio haben die Ilias genauer wohl erst in der lateinischen Übersetzung von Leontius Pilatus nach 1362 kennenlernen können.
Ambrogios Fresko Allegorie der Guten Regierung enthält auch die vermutlich erste Darstellung[18] einer Sanduhr in der Hand der Temperantia, einer der Kardinaltugenden, die in dieser Form wohl erst bei einer „Restauration“ des Freskos durch Andrea Vanni in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts ergänzt wurde[19]
- Allegoria del Cattivo Governo
- Allegoria del Buon Governo
- Effetti del Buon Governo in città, ca. 300 × 700 cm
- Effetti del Buon Governo in campagna, ca. 14 m Breite
Literatur
- Jacob Burckhardt: Die Kunst der Renaissance. Band I. Die Malerei nach Inhalt und Aufgaben. Aus dem Nachlaß herausgegeben von Marizio Ghelardi u. a. C. H. Beck. München. Schwabe.Basel. 2006, S. 351 (= Jacob Burckhardt: Werke. Kritische Gesamtausgabe. Band 16)
- Michela Becchis: Lorenzetti, Ambrogio. In: Mario Caravale (Hrsg.): Dizionario Biografico degli Italiani (DBI). Band 65: Levis–Lorenzetti. Istituto della Enciclopedia Italiana, Rom 2005.
- C. De Benedictis: Lorenzetti, Ambrogio. In: Dizionario dell'Arte medievale Band 7, Rom 1996, S. 878–884 (Onlineversion bei treccani.it)
- Enzo Carli: Ambrogio Lorenzetti. Fresken aus dem Palazzo Pubblico in Siena. Woldemar Klein Verlag, Baden-Baden 1956
- Chiara Frugoni: Pietro and Ambrogio Lorenzetti. Scala Books, New York 1988, ISBN 0-935748-80-6.
- Michael Kühr: Ambrogio Lorenzetti. Gute und schlechte Regierung. Eine Friedensvision. Bilder und Gedanken von Homer bis Dante. Ein Freskenzyklus im Palazzo Pubblico in Siena, A.D. 1338/1339. Studio buk, Mandelbachtal 2002, ISBN 3-00-010833-5; 2. Aufl. 2012 ISSN 2193-4487 (Eigenverlag, 60 Seiten)
- Dagmar Schmidt: Der Freskenzyklus von Ambrogio Lorenzetti über die gute und die schlechte Regierung. Eine danteske Vision im Palazzo Pubblico von Siena. Interdisziplinäre Diss. Universität St. Gallen 2003 (Online; PDF; 1,6 MB).
- Uta Feldges-Henning: The pictorial program of the Sala della Pace: A new interpretation. In: Journal of Warburg and Courtauld Institutes, Vol. 25, 1972, S. 145–162.
- Patrick Boucheron: Gebannte Angst. Siena 1338. Essay über die politische Kraft der Bilder. Übers. Sarah Heurtier, Sebastian Wilde. Wolff, Berlin 2017, 2. Aufl. 2018 (Conjurer la peur. Sienne 1338. Essai sur la force politique des images. Seuil, Paris 2013, TB 2015)
Weblinks
- Literatur von und über Ambrogio Lorenzetti im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Veröffentlichungen über Ambrogio Lorenzetti im Opac der Regesta Imperii
- Werke von Ambrogio Lorenzetti bei Zeno.org
- Ambrogio Lorenzetti bei artcyclopedia.com
- Werkauswahl bei Polo Museale della città di Firenze, Florenz (ital., engl.)
Einzelnachweise
- Chiara Frugoni: Pietro e Ambrogio Lorenzetti (italienisch), Scala, Cinisello Balsamo (Mailand), 1988, S. 36.
- Chiara Frugoni: Pietro e Ambrogio Lorenzetti (italienisch), Scala, Cinisello Balsamo (Mailand), 1988, S. 47–48.
- Chiara Frugoni: Pietro e Ambrogio Lorenzetti (italienisch), Scala, Cinisello Balsamo (Mailand), 1988, S. 41–47.
- Chiara Frugoni: Pietro e Ambrogio Lorenzetti (italienisch), Scala, Cinisello Balsamo (Mailand), 1988, S. 36, 41 und 59–62
- Dies wurde 1649 von Ugurgieri Azzolini in Pompe senese überliefert, kurz vor der Zerstörung dieser Fresken. Chiara Frugoni: Pietro e Ambrogio Lorenzetti (italienisch), Scala, Cinisello Balsamo (Mailand), 1988, S. 3.
- Jacob Burckhardt: Die Kunst der Renaissance. Band I. Die Malerei nach Inhalt und Aufgaben. Aus dem Nachlaß herausgegeben von Marizio Ghelardi u. a. C. H. Beck. München. Schwabe.Basel. 2006, S. 351 (= Jacob Burckhardt: Werke. Kritische Gesamtausgabe. Band 16)
- Julius von Schlosser (Herausgeber): Lorenzo Ghibertis Denkwürdigkeiten (I Commentarii). Zum ersten Male nach der Handschrift der Biblioteca Nazionale in Florenz herausgegeben und erläutert von Julius von Schlosser. Im Verlag von Julius Bard. Berlin 1912. https://resources.warburg.sas.ac.uk/pdf/cnh955b2403138.pdf; hier Seite 41. Siehe auch die folgende Anmerkung.
- “Nel palagio di Siena è dipinto di sua mano la pace e‘lla guerra” – Im Palast von Siena ist der Frieden und der Krieg von seiner Hand gemalt.
- Giulietta Chelazzi Dini, Alessandro Angelini, Bernardino Sani: Sienesische Malerei. DuMont. Köln. 1997, S. 165
- In einer späteren Auflage: Luigi Antonio Lanzi: Storia pittorica della Italia: dal risorgimento delle belle arti fin presso al fine del XVIII secolo. Volume 1. Milano.1824, S. 382. https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/lanzi1824bd1/0407
- Edna Carter Southard: Ambrogio Lorenzetti's Frescoes in the Sala della Pace: A Change of Names. Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz 24. Bd., H. 3 (1980), pp. 361–365
- Giulietta Chelazzi Dini, Alessandro Angelini, Bernardino Sani: Sienesische Malerei. DuMont. Köln. 1997., S. 157 – S. 171
- https://it.wiki.li/Governo_dei_Nove
- Dagmar Schmidt. Der Freskenzyklus von Ambrogio Lorenzetti über die gute und die schlechte Regierung. Eine danteske Vision im Palazzo Pubblico von Siena. St. Gallen. 2003. https://docplayer.org/79295838-Der-freskenzyklus-von-ambrogio-lorenzetti-ueber-die-gute-und-die-schlechte-regierung.html.
- Jacob Burckhardt: Die Kunst der Renaissance. Band I. Die Malerei nach Inhalt und Aufgaben. Aus dem Nachlaß herausgegeben von Marizio Ghelardi u. a. C. H. Beck. München. Schwabe. Basel. 2006, S. 351 (= Jacob Burckhardt: Werke. Kritische Gesamtausgabe. Band 16)
- Patrick Boucheron: Gebannte Angst. Siena 1338. Wolff Verlag Berlin. Deutsch 2017, S. 196.
- archiv.ub.uni-heidelberg.de
- Chiara Frugoni: Pietro et Ambrogio Lorenzetti. S. 83.
- L. Bellosi: Buffalmacco e il trionfo della morte. Turin. 1974, S. 53–54.