Abolitionismus (Prostitution)
Als Abolitionismus (von englisch abolition von lateinisch abolitio ‚Abschaffung‘, ‚Aufhebung‘) wird in der Geschichte der Frauenbewegung eine soziale Bewegung bezeichnet, die auf die Abschaffung der staatlich kontrollierten Prostitution hinarbeitete. Die abolitionistische Bewegung von heute wird vor allem mit der Forderung zur Einführung des Nordischen Modells wahrgenommen. Demnach sollen das Angebot von Prostitution entkriminalisiert, die Nachfrage nach Prostitution kriminalisiert und umfangreiche Präventions- und Ausstiegsmaßnahmen eingesetzt werden.
Geschichte
Als Gründerin der abolitionistischen Bewegung wird die englische Frauenrechtlerin Josephine Butler genannt, die sich in einer leidenschaftlichen und langjährigen Kampagne gegen die Contagious Diseases Acts wendete. Diese Erlasse verfügten, dass Prostituierte sich medizinischen Zwangsuntersuchungen zu unterziehen hätten, und hatten zum Ziel, auf diese Weise die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten zu verhindern. Die männlichen Kunden der Prostituierten blieben dagegen unbehelligt. Viele Frauen sahen in diesen Erlassen sowie ähnlichen Gesetzgebungen in anderen Ländern die bestehende sexuelle Doppelmoral zementiert, die Männern einen anderen Handlungsfreiraum als Frauen zubilligte.
Der Name „Abolitionismus“ ist eine bewusste Anlehnung an die US-amerikanische Anti-Sklaverei-Bewegung: Butler wandte sich gegen die rechtliche und sexuelle Versklavung der Frauen, die ihrer Ansicht nach in der Prostitution und dem „weißen Sklavinnenhandel“ (Frauenhandel) ihren Höhepunkt fand.[1]
Ausgeblendet blieben in dieser Debatte im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert jedoch Formen sexualisierter Gewalt in und außerhalb der Prostitution, die nicht-weiße Frauen betrafen – sei es nun in den USA oder in kolonialen Gebieten. Die Debatten und politischen Ansätze waren durch rassistische Annahmen über die Hypersexualität schwarzer Frauen und ihrer angeblich ‚natürlichen‘ Neigung zur Prostitution einerseits und die Konstruktion weiblicher Unschuld weißer Frauen andererseits geprägt.[1]
Inspiriert von Josephine Butler und der von ihr geleiteten Ladies’ National Organisation entstanden auch in vielen anderen Ländern so genannte Sittlichkeitsvereine. Während Josephine Butler jedoch libertinäre Ansichten vertrat und der Meinung war, dass eine Frau sich dafür entscheiden könne, körperliche Dienstleistungen zu verkaufen, unterstützten diese Organisationen die Beibehaltung der Strafbarkeit der Prostitution, vertraten überwiegend einen sehr strengen Moralkodex und forderten ein für beide Geschlechter gleichermaßen geltendes Keuschheitsgebot.
Das Ziel abolitionistischer Aktivisten war der Rückgang der in ihren Augen künstlichen Nachfrage nach kommerzialisierter Sexualität. Aus ihrer Sicht würde es ohne staatlich lizenzierte Bordelle, polizeilich registrierte Prostituierte und ohne die bereits erwähnten gynäkologischen Pflichtuntersuchungen der weiblichen Prostituierten auch keine Prostitution geben. In diesem Sinne kann die Verabschiedung der Konvention zur Unterbindung des Menschenhandels und zur Ausnutzung anderer durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 2. Dezember 1949 unter anderem als Ergebnis transnationaler Bemühungen der Abolitionisten seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert betrachtet werden. Das Ziel der Konvention war es gewesen, den internationalen Menschenhandel zum Zwecke der Prostitution sowie sexuelle Arbeit im Allgemeinen möglichst weitgehend zu unterbinden.
1988 wurde die Coalition Against Trafficking in Women (CATW) als Ergebnis einer Konferenz mit dem Titel First Global Conference Against Trafficking in Women gegründet.
CATW war die erste internationale Nichtregierungsorganisation (NGO), die Prostitution in jeglicher Form als Menschenhandel einstufte. 1989 erhielt sie den beratenden Status beim ECOSOC (UN). Mitgründerin war Kathleen Barry. Sie ist eine US-amerikanische Soziologin und Feministin und erweckte mit ihrem 1979 erschienenen Buch Female Sexual Slavery internationale Aufmerksamkeit.
Aktuelle Entwicklungen
1999 wurde in Schweden im Zuge eines Gesetzespakets gegen Gewalt an Frauen das Nordische Modell eingeführt, welches u. a. die Nachfrage nach Prostitution unter Strafe stellt (Kvinnofrid-Gesetz). Weltweit übernahmen abolitionistische Aktivisten diese Forderung und kämpfen für entsprechende Gesetzesinitiativen.
Deutschland
Wichtige Aktivistinnen des frühen Abolitionismus
Heutiger Abolitionismus
Abolitionistische Bewegungen und Forderungen sind im Rahmen der Entwicklungen nach der Legalisierung der Prostitution in Deutschland 2002 wieder stärker geworden. 2014 gründete sich ein Bündnis aus Menschen verschiedener gesellschaftlicher Bereiche, die für eine Beendigung des Systems Prostitution eintreten.[2]
Kampagnen
In Stuttgart wurde 2016 eine Kampagne durchgeführt, die sich dem Kampf gegen Zwangs- und Armutsprostitution verschrieben hat. Dabei bediente man sich provakanter Slogans wie: „Die Würde des Menschen ist auch beim Ficken unantastbar“.[3]
2017 startete in Marburg die deutschlandweit geplante Kampagne #RotlichtAus welche mit ihren im Neon-Look gestalteten Motiven nach eigenen Angaben zum Nachdenken anregen und einen Beitrag zur Einführung eines Sexkaufverbots leisten möchte.[4][5]
2018 wurde unter dem Motto: Not for Sale eine Kampagne gegen Mädchenhandel in Friedrichshafen durchgeführt und in verschiedenen Städten wiederholt.[6]
Haltungen der Parteien
Die Politiker Magdalena Breymaier und Karl Lauterbach aus der SPD und die Politiker Frank Heinrich und Hermann Gröhe aus der CDU starteten im Jahre 2020 mit 12 weiteren[7] schwarz-roten Parteimitgliedern des Bundestags einen parteiübergreifenden Appell für die Einführung des Sexkaufverbots[8] nach skandinavischem[9] Vorbild. Durch diesen Appell nahmen die inneren parteilichen Diskussionen in den Parteien CDU und SPD über die Umsetzung des Sexkaufverbots zu.
Die folgenden Parteien sprechen sich explizit für das vollständige Sexkaufverbot aus:
- Bündnis C – Christen für Deutschland[10][11]
- Feministische Partei Die Frauen[12][13]
- Ökologisch Demokratische Partei[14]
Im Gegensatz dazu sprechen sich die nachfolgenden Parteien für die Beibehaltung der Erlaubnis der Prostitution aus:
Österreich
Wichtige Aktivistinnen des frühen Abolitionismus
Schweiz
1875 wurde in Genf die Fédération abolitionniste internationale (FAI) gegründet.
Abolitionistische Verbände der Schweiz
Wichtige Aktivistinnen
Vereinte Nationen
Literatur
- Petra Schmackpfeffer: 3. Kapitel. Das Verhältnis der alten deutschen Frauenbewegung zur Prostitution. In: Dies.: Frauenbewegung und Prostitution. Über das Verhältnis der alten und neuen deutschen Frauenbewegung zur Prostitution. Oldenburg 1989.
- Bettina Kretzschmar: Bahn frei für den aufwühlenden Pflug der Kritik. Der Beginn der abolitionistischen Bewegung in Deutschland. in: Ariadne 55 (2009) 55, S. 6–11.
- Bettina Kretzschmar: Gleiche Moral und gleiches Recht für Mann und Frau. Der deutsche Zweig der Internationalen abolitionistischen Bewegung (1899–1933)., Sulzbach/Taunus: Ulrike Helmer Verlag, 2014, ISBN 978-3-89741-359-7.
- Sonja Dolinsek: Konvention zur Unterbindung des Menschenhandels (1949) und Erklärung über Prostitution und Menschenrechte (1986), in: Quellen zur Geschichte der Menschenrechte, herausgegeben vom Arbeitskreis Menschenrechte im 20. Jahrhundert, September 2016, abgerufen am 11. Januar 2017.
Einzelnachweise
- Sonja Dolinsek: Konvention zur Unterbindung des Menschenhandels (1949) und Erklärung über Prostitution und Menschenrechte (1986). (Nicht mehr online verfügbar.) In: Quellen zur Geschichte der Menschenrechte. Arbeitskreis Menschenrechte im 20. Jahrhundert, September 2016, archiviert vom Original am 11. Januar 2017; abgerufen am 2. Mai 2019.
- Abolition 2014 – Positionen und Forderungen. Abgerufen am 21. Februar 2020.
- "Stuttgart sagt Stopp": Die Kampagne gegen Prostitution. In: W&V. Werben & Verkaufen, 25. April 2016, abgerufen am 5. März 2021.
- #RotlichtAus – die Kampagne. Abgerufen am 5. März 2021 (deutsch).
- Start der Umsetzung der Kampagne #RotlichtAus in Marburg. In: #ROTLICHTAUS. 15. September 2017, abgerufen am 5. März 2021 (deutsch).
- Lena Reiner: not for sale. Abgerufen am 9. März 2021.
- Redaktion: Diese 16 Abgeordneten fordern ein generelles Prostitutionsverbot. In: Bayern Reporter. Abgerufen am 25. Oktober 2021 (deutsch).
- Deutscher Ärzteverlag GmbH, Redaktion Deutsches Ärzteblatt: Bundestagsabgeordnete für generelles Sexkaufverbot. 19. Mai 2020, abgerufen am 25. Oktober 2021.
- Julia Becker: Wehr: Die Übergabe des Gustav-Struve-Huts an Leni Breymaier war ein Abend der starken Frauen. 27. Februar 2020, abgerufen am 25. Oktober 2021.
- Bundestagswahl: Diese Parteien stehen in NRW zur Wahl. 26. August 2021, abgerufen am 25. Oktober 2021.
- Bündnis C: Wahlprogramm. Abgerufen am 25. Oktober 2021 (deutsch).
- StopSexkauf. 23. November 2019, abgerufen am 25. Oktober 2021.
- Nastassja Wachsmuth: TERRE DES FEMMES - Menschenrechte für die Frau e.V. - TERRE DES FEMMES und über 30 weitere Institutionen starten bundesweites „Bündnis Nordisches Modell“. Abgerufen am 25. Oktober 2021 (deutsch).
- ÖDP für Nordisches Modell - Besserer Schutz vor Zwangsprostitution. Abgerufen am 25. Oktober 2021.
- Unser Programm für die Bundestagswahl. Abgerufen am 25. Oktober 2021 (deutsch).
- Piratenpartei fordert Selbstbestimmung auch im Sexgewerbe. 16. Dezember 2019, abgerufen am 25. Oktober 2021 (deutsch).
- Neuseelands Liberalisierung der Sexarbeit – ein Erfolg? 9. April 2019, abgerufen am 25. Oktober 2021 (deutsch).