Ölsoldaten
Als Ölsoldaten wurden die Schweizer Wehrmänner bekannt, die 1940 durch mit Trikresylphosphat versetztes Mineralöl zur Maschinengewehrkühlung vergiftet wurden, das irrtümlich zum Braten von Käseschnitten verwendet worden war.
Hergang
Am 29. Juli 1940 wurde irrtümlich Maschinengewehrkühlöl dem Erdnussöl für Speisen bei einer Kompanie (Mitr Kp IV/52) in Ramiswil auf dem bäuerlichen Anwesen von Walter Lisser-Schmid zugemischt und damit Käseschnitten produziert.[1] Dies geschah, weil nach einer Übung das Kühlöl in Speiseöl-Kanistern aufbewahrt wurde, der Gefahrstoff nicht ausreichend gekennzeichnet war und sich das Kühlöl geschmacklich und optisch nicht vom Speiseöl unterscheiden liess.[2]
Darauf erkrankten 74 Wehrmänner und 10–12 Zivilisten[3] an einer Trikresylphosphat-Vergiftung mit teilweise schweren und irreversiblen Lähmungen der Beine.[3] Da einige der Soldaten ihre Rationen etwa mit Kindern teilten, wurden auch Zivilisten geschädigt. 32 Fälle wurden als «schwer» registriert, davon 20 «totalinvalid».[3] Später im selben Jahr ereignete sich noch ein ähnlicher Unfall bei der Schwyzer Gebirgsmitrailleurkompanie IV/72. Mindestens 17 Soldaten erlitten dabei bleibende Schäden, als eine Salatsauce mit dem Kühlöl zubereitet wurde.[4]
Auswirkungen
Die „Ölsoldaten“ und ihre Lebensmittelvergiftung wurden in der ganzen Schweiz bekannt und bewegten die Nation. Im Oktober 1947 fand die erste gesamtschweizerische Glückskette statt, um für die geschädigten Wehrmänner Geld zu sammeln.[5][6] Auch eine extra eingerichtete Stiftung (Stiftung Vergiftungspatienten) sollte den invalidisierten Soldaten zu Hilfe kommen.[7]
Die Unfälle bildeten den wesentlichen Anstoss zur Revision des Militärversicherungsgesetzes während des Krieges. Die Militärversicherung zahlte bis 2015 insgesamt 46,1 Millionen Franken an die Ölsoldaten.[2] Juristisch galt das Ereignis als Unfall; verurteilt wurde nur der Bataillonsarzt, der die Soldaten am Abend nach der Mahlzeit auch nach wiederholter Aufforderung nicht aufgesucht hatte, da er ihre Beschwerden für harmlos hielt.[2] Das Strafmass für den Arzt betrug 45 Tage Gefängnis wegen Verletzung der Dienstpflicht.[2]
Als letzter der Ölsoldaten starb Christoph von Blarer am 8. April 2014 im Alter von 98 Jahren in Aesch.[8]
Ähnliche Fälle durch mit TKP versetzten Torpedo-Ölen gab es in Eckernförde 1941/42 (rund 70 Fälle) und 1949 sowie in Kiel 1944/45 („Eckernförder Krankheit“).
Literatur
- Fritz Tschopp-Tschopp (1918–2001): Waldenburg/ Niederdorf (Gritt), Obmann der «Mitr.Kp. IV/52-Veteranen», Verfasser der Broschüre «So erlebe ich meine Krankheit».[9]
- Bruno Manser: Die Oelsoldaten. Ihre Geschichte und der Wandel ihrer Beziehungen zur eidg. Militärversicherung zwischen 1940 und 2000, Lizentiatsarbeit, Historisches Seminar, Basel 2001/2002.
- Oelsoldaten von Dr. Franziska Gebel, Chefärztin Militärversicherung und Alois Fässler, Leiter Militärversicherungsstatistik in: Statistik der Militärversicherung 2016, Seiten 53–59, Suva, Militärversicherung. Ausführlicher Schlussbericht. Online als PDF
Weblinks
- Balz Ruchti: Das Gift von 1940. In: Der Beobachter, 16. Dezember 2011
- Georg Kreis: Im Aktivdienst vergiftet. In: Neue Zürcher Zeitung vom 29. Juli 2019
Einzelnachweise
- Ölsoldaten: Das Gift von 1940. In: Beobachter. 22. Dezember 2011, Beobachter 26, ISSN 1661-7444 (beobachter.ch [abgerufen am 25. Mai 2019]).
- 46 Millionen Franken wegen vergifteter Kaeseschnitten. Suva. 21. Juni 2016. Abgerufen am 26. Mai 2019.
- Datenbank Alexandria zum Vorfall
- Franziska Gebel, Alois Fässler: Ölsoldaten. In: Statistik der Militärversicherung. Band 2016, S. 53–59, hier S. 53 (Online [PDF; 971 kB; abgerufen am 28. August 2021]).
- Schweizer Solidaritäts- und Sammelplattform "Glückskette" feiert 60. Geburtstag. Adventistischer Pressedienst (APD). 25. September 2006. Abgerufen am 25. Mai 2019.
- Schweizer Revue, Dezember 2006 / NR. 6
- Rudolf Jaun, Sacha Zala: Quellenbestände zur schweizerischen Militärgeschichte (PDF) Schweizerisches Bundesarchiv. 2004. Abgerufen am 2. März 2019.
- Bojan Stula: Der letzte Ölsoldat ist tot – trauriges Kapitel Schweizer Geschichte schliesst sich. In: Basellandschaftliche Zeitung vom 26. April 2014 (abgerufen am 26. April 2014).
- Chronik für den Monat April 2001 des Kanton Baselland. Abgerufen am 2. März 2019.