Lysistrata
Lysistrata (im Deutschen werden fast alle altgriech. Namen nach lat. Betonungsregeln betont; deshalb Lysístrata; von altgr. Λυσιστράτη Lysistrátē, aus λύσις lysis „Auflösung“ und στρατός stratós „Heer“, also „Heeresauflöserin“) gehört zu den bekanntesten Komödien des griechischen Dichters Aristophanes. Sie wurde von ihm im Frühjahr 411 v. Chr. – im zwanzigsten Jahr des Peloponnesischen Krieges – bei den Lenäen zur Aufführung gebracht. Im selben Jahr entmachteten in Athen Aristokraten durch einen Putsch die radikaldemokratische Regierung. Lysistrata ist das dritte der pazifistischen Stücke des Aristophanes, die den Krieg zum Thema haben.
Inhalt
Das Stück thematisiert den Kampf einiger Frauen gegen die Männer als Verursacher von Krieg und den damit verbundenen Leiden. Getragen von dieser Erkenntnis verschwören sich die Frauen Athens und Spartas, um den Frieden zu erzwingen. Sie besetzen unter Führung der Titelheldin Lysistrata die Akropolis und verweigern sich fortan ihren Gatten sexuell. Durch die Konfiskation der dort gesicherten Gelder unterbrechen sie außerdem die Kriegsfinanzierung. In Sparta veranlasst Lampito einen ähnlichen Ausstand. Nach einigen Verwicklungen und Rückfällen – mehrfach versuchen liebestolle Frauen, die Burg in Richtung der Männer zu verlassen, oder die erbosten Herren versuchen, die Burg zu erstürmen – führt der Liebesentzug tatsächlich zum Erfolg.
Das Lysistrata-Motiv in der Kunst
Aristophanes' Komödie war Vorbild des 1823 entstandenen Singspiels Die Verschworenen.[1]
1896 schuf der englische Illustrator Aubrey Beardsley eine berühmt gewordene pornographische Illustrationssuite von acht Bildern zum Stück.
Hugo von Hofmannsthal verfasste 1908 zu dem Stück einen Prolog.[1] Nach dem Ersten Weltkrieg adaptierte Max Reinhardt die Lysistrata für das Deutsche Theater.[2]
Lysistrata heißt eine Operette von Paul Lincke, aus der insbesondere das „Glühwürmchen-Idyll“ von bleibender Bekanntheit ist. Richard Mohaupt schuf 1941 ein gleichnamiges Ballett, 1946 eine Ballettsuite für den Konzertsaal und 1957 eine Bearbeitung des Balletts unter dem Titel Der Weiberstreik von Athen.[3] Alfred Stöger nahm sich des Themas 1947 in seiner Filmkomödie Triumph der Liebe an. Hanns Dieter Hüsch und der Komponist Rudolf Mors brachten 1959 ihr Musical Der Weiberstreik am Theater Ulm zur Aufführung, die Bielefelder Aufführung des Stücks wurde 1963 vom ZDF aufgezeichnet und gesendet.[4]
1960 folgte eine auf Wolfgang Schadewaldts Übersetzung basierende Bearbeitung durch Rudolf Sellner für das Hebbel-Theater.[1][2]
Der Autor Hans Kasper griff Anfang der 1960er Jahre das Lysistrata-Motiv für sein preisgekröntes Hörspiel Geh David helfen (hr/BR 1962) auf. Lysistrata kann als Prototyp einer den Krieg anprangernden neueren Literatur verstanden werden, vgl. etwa auch das 1935 entstandene Theaterstück Der trojanische Krieg findet nicht statt von Jean Giraudoux.[5]
Im Januar 1961 wurde die Ausstrahlung einer Bearbeitung der Komödie durch Fritz Kortner unter dem Titel Die Sendung der Lysistrata vom Bayerischen Rundfunk boykottiert mit der Begründung, die Komödie verletze das sittliche Empfinden der Bevölkerung. Auch die CDU-regierten Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Saarland hatten ursprünglich Bedenken geäußert, strahlten die Sendung aber aus. In Bayern wurde die Komödie stattdessen in Kinos gezeigt. Hintergrund war die damalige Bestrebung der Adenauer-Regierung, die Bundesrepublik atomar aufzurüsten, worauf der Regisseur Kortner in seiner Inszenierung angespielt hatte.[6]
Im 1966 erschienenen Science-Fiction-Roman Revolte auf Luna von Robert A. Heinlein werden zur Verteidigung des Mondes Laserkanonen eingesetzt. Als die männlichen Bedienungsmannschaften Mängel an Bereitschaft und Zuverlässigkeit erkennen lassen, wird diese wichtige Aufgabe von Frauen im eigens hierfür gegründeten Lysistrata Corps übernommen.[7]
Rolf Hochhuths Inselkomödie (ursprünglicher Titel: Lysistrate und die NATO) aus dem Jahr 1974 verlegt die Handlung in die 1970er Jahre auf eine ungenannte Insel in der Ägäis, auf der die USA einen Raketenstützpunkt errichten wollen. Die Frauen der Insel fürchten, dass dieser Plan ihre Heimat im Ernstfall zum Ziel russischer Raketen machen würde, und verweigern sich – angestachelt von der Parlamentsabgeordneten Dr. Lysistrate Soulidis – ihren Männern, weil diese ihr Land verkaufen wollen. Sie quartieren sich im einzigen Gasthof der Insel ein, schlagen einen „Eroberungszug“ ihrer Männer zurück und lassen sich mit einigen Offizieren der griechischen Marine ein, die zur Erkundung geeigneter Standorte für die Raketenbasis angereist sind. 1976 wurde das Werk filmisch von Ludo Mich umgesetzt, alle Darsteller traten dabei nackt auf.
1987 wurde Lysistrata durch den Comic-Künstler Ralf König in Form eines gleichnamigen Comics interpretiert. Hierbei diente die Vorlage als Basis für eine mit Anachronismen gespickte Persiflage auf Geschlechterrollen und Sexualität, Krieg und Pazifismus, auch auf das Theater und die griechische Komödie an sich. Das Hauptaugenmerk der Handlung liegt dabei auf dem Thema Homosexualität. Der Stoff wurde 2002 in Spanien verfilmt und kam 2004 auch in die deutschsprachigen Kinos.
Eine moderne Filmadaption mit dem Titel Chi-Raq kam 2015 in die Kinos.[8][9] Im gleichen Jahr entstand der auf dem Stück basierende Kurzfilm Prologue.
Sonstige Nachwirkungen
Ein 1918 vom deutschen Astronomen Max Wolf entdeckter Asteroid wurde nach der Titelfigur Lysistrata getauft. Im Slogan „Make love, not war“ der Hippie-Bewegung erhielt das Thema des Stücks 1967 eine griffige moderne Formulierung.
Übersetzungen
Während frühere Übersetzungen sehr gemäßigt waren und sich an der Sprache Schillers und Goethes orientierten (vgl. die vierte Szene in der Übersetzung von Ludwig Seeger[10]), bedient sich die Übersetzung des Altphilologen Niklas Holzberg von 2009 der modernen Sprache und gibt unverblümt, aber wissenschaftlich korrekt, die oft recht derbe Ausdrucksweise des Originals wieder.
Ausgaben
- Aristophanes: Lysistrata. Lustspiel in 3 Akten. Deutsch bearbeitet von. J. J. C. Donner. Acht ganzseitige Schwarzweiß-Illustrationen von Aubrey Beardsley. Privatdruck Wien 1913
- Aristophanes: Lysistrate. Übersetzt und herausgegeben von Niklas Holzberg. Reclam, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-15-018664-0.
Literatur
- Wolfgang Dietrich: Lysistrata. In: Nigel J. Young (Hrsg.) The Oxford International Encyclopedia of Peace. Band 2, Oxford University Press, Oxford u. a. 2010, ISBN 978-0-19-533468-5, S. 645–646.
- Martin Holtermann: Aristophanes. D. Lysistrata. In: Christine Walde (Hrsg.): Die Rezeption der antiken Literatur. Kulturhistorisches Werklexikon (= Der Neue Pauly. Supplemente. Band 7). Metzler, Stuttgart/Weimar 2010, ISBN 978-3-476-02034-5, Sp. 107–119.
Weblinks
- Lysistrata bei Zeno.org.
Einzelnachweise
- Jürgen Werner, Walter Hofmann (Hrsg.): Aristophanes. Komödien in zwei Bänden (Reihe Bibliothek der Antike), Volksverlag Weimar, 1963, Band 2, S. 356
- Jürgen Werner, Walter Hofmann (Hrsg.): Aristophanes. Komödien in zwei Bänden (Reihe Bibliothek der Antike), Volksverlag Weimar, 1963, Band 1, Einleitung S. 8
- Verlagsnachweis zur Ballettsuite. Abgerufen am 24. Mai 2016.
- Biografie Hanns Dieter Hüsch. Abgerufen am 12. Oktober 2021
- Drewermann, Eugen: Tiefenpsychologie und Exegese 1. Die Wahrheit der Formen. Traum, Mythos, Märchen, Sage und Legende. dtv Sachbuch 30376, München 1993, ISBN 3-423-30376-X, © Walter-Verlag, Olten 1984, ISBN 3-530-16852-1; Seiten 327 ff.
- Na sowas - (siehe Titelbild). In: Der Spiegel. Nr. 5, 1961, S. 50 (online – 25. Januar 1961).
- Robert A. Heinlein: The moon is a harsh mistress. Hrsg.: Berkeley Publishing Corporation. New York 1966, S. 239 ff.
- Helgard Haß: "Chi-Raq": Packender neuer Trailer zu Spike Lees moderner "Lysistrata"-Adaption mit Samuel L. Jackson - Kino News. Filmstarts, 26. November 2015, abgerufen am 9. Dezember 2015.
- Dirk Peitz: Netflix und Amazon : Streamen nach Zahlen. Die Zeit, 4. Dezember 2015, abgerufen am 9. Dezember 2015.
- Vierte Szene in der Übersetzung von Ludwig Seeger (1845). Zeno.org. Abgerufen am 11. Januar 2011.