Velodrom (Regensburg)
Das Velodrom von einem jüdischen Geschäftsmann als Radsporthalle in Regensburg 1897 erbaut am östlichen Ende der Westnerwacht, wurde bis 1974 als Kino genutzt. Nach aufwändiger Sanierung wurde das Velodrom von 1998 bis 2021 als Spielstätte des Theaters Regensburg genutzt. Das Velodrom befindet sich am Simon-Oberdorfer-Platz, der ausgehend vom südwestlichen Arnulfsplatz nach Durchquerung eines Tunneldurchgangs erreicht werden kann, aber auch einen weiter südlichen gelegenen Anschluss an die Kreuzgasse hat.
Geschichte bis 1974
Den Anstoß zur Bebauung des Geländes westlich hinter dem Arnulfsplatz[1] gab der jüdische Geschäftsmann und Kunstradfahrer Simon Oberdorfer. Er engagierte für die Planung den jungen Architekten Joseph Koch. Zunächst sollte die Halle nur als Radsporthalle genutzt werden für Vorführungen von Mitgliedern seines 1891 gegründeten Wanderer-Radler-Vereins und auch zur Präsentation seiner eigenen Rad-Kunststücke. Im Laufe der Planungen entwickelte sich die Idee, die Halle auch für Veranstaltungen mit Publikum zu nutzen. Die dafür benötigte Genehmigung verzögerte sich, da der Stadtmagistrat die ungünstige Fluchtwegsituation aufgrund der engen Bebauung wiederholt bemängelte. Erst der Einsatz von Adolf Schmetzer als Leiter des Stadtbauamtes brachte den Durchbruch. In der Sitzung des Bauausschusses am 1. Oktober 1897 wurde eine vorläufige Baugenehmigung erteilt. Trotz einiger weiterer genehmigungsrechtlicher Fallstricke konnte nach einer kurzen Bauzeit 1898 die Eröffnung stattfinden.
Baukörper und Ausstattung
Mit 25 x 35 m war der Saal seinerzeit der größte Saalbau in Regensburg. Es handelt sich um einen Stahlträger-Saalbau mit stützenloser Dachkonstruktion und umlaufenden, von kannelierten Säulen getragenen Balkonen. Die künstlerisch gestaltete Dachkonstruktion entsprach dem damals neuesten Standard und findet sich in ähnlicher vereinfachter Konstruktion am Kölner Dom. Die Ausstattung des Saales war imposant-gehoben. Zudem legte Koch großen Wert auf die Beleuchtung. Daher erhielt der Raum eine moderne, wandelbare Lichtanlage mit acht Kohlebogenlampen. Bemerkenswert waren die ausladende Bühne, der versenkbare Springbrunnen und die Rutsche auf der rechten Seite der Empore.[1]
Nutzung
Neben vielen klassischen Veranstaltungen mit Varieté, Tanz und Artistikvorführungen wurde der Saal auch für große gesellschaftliche Ereignisse vermietet. So wurde der Saal auch 1904 bei der Generalversammlung der Deutschen Katholiken (51. Katholikentag) genutzt.[2] Der Saal wurde aber auch den bayerischen Sozialdemokraten überlassen, als ihnen damals im klerikal-kirchlich geprägten Regensburg keine Veranstaltungsräume vermietet wurden. So kam es dazu, dass im Saal des Velodroms auch sozialdemokratische Politiker wie Georg von Vollmar, Kurt Eisner, Erhard Auer und Toni Pfülf auftreten konnten.[3][1]
1929 ließ Oberdorfer das Velodrom zum „Capitol-Kino“ umbauen und verpachtete das Anwesen. 1938 musste Oberdorfer das Gebäude verkaufen. Es ging an eine Autoreparaturwerkstätte, die aber die bisherige Nutzung beibehielt. In dieser Zustand erhielt sich das Velodrom in der Zeit des Nationalsozialismus und wurde nach dem Krieg nach den Richtlinien der Politik der Wiedergutmachung nach 1945, als klassisches Kino weiterbetrieben. Der Saal diente aber auch als Sitzungssaal für die Entnazifizierungsprozesse.[1] Nach dem Niedergang als Familienkino diente der Saal als Pornokino, das 1974 geschlossen wurde.
Neuzeit ab 1974
Niedergang und Verfall
Fortan wurde das Velodrom nach Abriss der Innenausstattung als Kulissenlager für das Theater Regensburg genutzt, wobei der mangelnde Bauunterhalt zu erheblichen Schädigungen führte.[4]
1990 wurden das Gelände mit dem Gebäude an ein Unternehmen verkauft, das in Planung eines Einkaufszentrums den Abriss des Velodroms aufgrund der angeblichen Baufälligkeit des Gebäudes vorantrieb.[1] Als daraufhin aufmerksame und fachkundige Bürger die Aussagen der Firma bezweifelten, betraten in einer Nacht-und-Nebel-Aktion der Regensburger Architekt Klaus Caspers und der Stahlbautechniker Jakob Kaiser unbefugt das Velodromgebäude und entnahmen heimlich Materialproben zur Untersuchung. Die Ergebnisse der Untersuchungen wurden zusammen mit einem Gutachten des Stahlbautechnikers Kaiser und einer historischen Dokumentation des Gebäudes, verfasst vom Journalisten Günter Schießl, dem Stadtrat unterbreitet, der das Gebäude daraufhin 1990 umgehend unter Denkmalschutz stellen ließ.[2][3] Damit war das Velodromgebäude vor dem Abbruch gerettet.
Sanierung 1996/98
Als 1990 das Theater Regensburg wegen Brandschutzmängeln für etliche Jahre geschlossen werden musste, wurde eine Ausweichspielstätte gesucht. Zur Wahl standen eine zeltartige Neukonstruktion oder aber die Sanierung des vor dem Abriss geretteten Velodroms. 1996 beschloss der Stadtrat, das Velodrom-Gebäude nach strengen denkmalpflegerischen Gesichtspunkten zu sanieren, unter Erhalt der historischen Substanz und der grazilen Stahlkonstruktion mit der Galerie. Zudem sollten in moderner Architektur geschaffen werden: ein prägnanter Theatereingang, ausreichende Foyerflächen, Zugänge zu der bereits bestehenden Tiefgarage, eine Bedachung mit Schallschutz, Einbau von Heizung, Lüftung, Bühnentechnik, Wirtschaftsräumen, Garderoben und Sanitäranlagen. Zusätzlich konnte ein kleiner Nebensaal im Süden des Gebäudes angebaut werden.
Das Vorhaben wurde in kürzester Zeit geplant und in einer Bauzeit von 1,5 Jahren umgesetzt. Damit wurde die wohl schönste Ausweichspielstätte in Bayern geschaffen[4] Bei den Ausschachtarbeiten stieß man in einer 2 m hohen Auffüllschicht auf Reste römischer Bauten, die zu einer Bodenheizungsanlage gehörten. Sie wurden freigelegt und werden heute im Untergeschoss präsentiert. Nach Einbau einer neuzeitlichen Bestuhlung wurde das Velodromgebäude als Spielstätte des Theaters genutzt.[2][4]
Ausstattung und Nutzung heute
Nach der Nutzung als Ausweichspielstätte für alle Sparten während der dreijährigen Sanierung des städtischen Theaters am Bismarckplatz, wurde die Velodrom-Spielstätte für besonders raumgreifende Inszenierungen genutzt, überwiegend für Musical, Ballett und Schauspiel.[5] Es standen 593 Sitzplätze im Zuschauerraum zur Verfügung, 490 Sitzplätze in 17 Reihen als Tribünenaufbau im Parkett, 99 Sitzplätze auf der Galerie und vier Rollstuhlplätze.
Aus brandschutztechnischen Gründen musste das Velodrom zum 31. Dezember 2021 als Spielstätte gesperrt und für den Publikumsverkehr geschlossen werden. Der Beginn einer Sanierung ist für 2024 der Sanierungsabschluss für 2029 geplant.[6] Die Bühne wird weiterhin vom Theater Regensburg als Probenraum genutzt.[7]
Einzelnachweise
- Jens Friedrich, Florian Stetter und Wolfram Ney: Das Velodrom in Regensburg: seine Geschichte vom Variete-Theater zur Ruine Arbeit aus dem Denkmalwettbewerb 1995 der Stadt Regensburg. [einsehbar: Universitätsbibliothek Regensburg, Sig. 00/NS 3105 F911]
- Silvia Codreanu-Windauer, Lutz Dallmeier u. a. Das Velodrom; Die Geschichte eines Regensburger Gebäudes. Planungs- und Baureferat der Stadt Regensburg, Regensburg 2000.
- Karl Bauer: Regensburg Kunst-, Kultur- und Alltagsgeschichte. 6. Auflage. MZ-Buchverlag in H. Gietl Verlag & Publikationsservice GmbH, Regenstauf 2014, ISBN 978-3-86646-300-4, S. 411 f.
- Peter Ittlinger: Die Sanierung des Velodroms - Von der Ruine zum lebendigen Kulturmagneten. In: 40 Jahre Städtebauförderung in Regensburg – eine Erfolgsgeschichte. Stadt Regensburg, Planungs und Baureferat, Amt für Stadtentwicklung, Regensburg 2011, ISBN 978-3-935052-96-2, S. 34 f.
- Beschreibung auf der Website des Stadttheaters Regensburg, abgerufen am 23. Oktober 2018
- Mittelbayerische Zeitung: „Velodrom-Umbau kommt noch später“ vom 15. Oktober 2021
- Regensburg: Spielstättenwechsel – Stuhlabbau im Velodrom. Abgerufen am 10. Januar 2022 (deutsch).