Vagabundierender Strom
Ein vagabundierender Strom ist ein Teilstrom eines Betriebsstromes, der im ungestörten Zustand fließt.[1] Er ist ein Fehlstrom[Anm. 1], der einen ungeplanten Rückweg außerhalb des Betriebsstromkreises nimmt und somit auf dem planmäßig für die Stromleitung vorgesehen Leiter fehlt.[2] Vagabundierende Ströme kommen sowohl in Gleichstromanlagen[3] als auch in Wechselstromanlagen vor.[4]
Grundlagen
Im Normalfall fließt der Strom in einem Stromkreis über den Hin- zum Verbrauch und über den Rückleiter zurück zur Spannungsquelle.[5] Es kann aber auch geschehen, dass ein Teil des Betriebsstromes nicht über den Leiter, sondern über einen anderen Weg, z. B. leitfähige Gebäude- oder Anlagenteile[4] oder das Erdreich, zurück zur Spannungsquelle fließt.[6] Solche Ströme bezeichnete man als vagabundierende Ströme.[3] Die Bezeichnung rührt daher, dass diese Ströme unkontrolliert irgendwo in einer elektrischen Anlage fließen (herumstrolchen).[4] In der Gleichstromtechnik bezeichnete man diese vagabundierenden über das Erdreich fließenden Ströme auch als Streustrom.[7] Mittlerweile wird dieser Begriff auch im Bereich der Wechselstromtechnik verwendet.[8] Man unterscheidet hierbei zwischen internen Streuströmen und externen[Anm. 2] Streuströmen.[9] Ein durch das Erdreich fließender Strom wird auch als Erdstrom bezeichnet.[6] Durch vagabundierende Ströme kann es zu Schäden durch Korrosion und Lochfraß kommen.[10] Des Weiteren kann es zu Erdpotentialverschleppungen kommen.[11] Weitere Beeinträchtigungen, die durch vagabundierende Ströme entstehen können, sind Einkopplungen von niederfrequenten Feldern und Senden von störenden Magnetfeldern.[10] Vagabundierende Ströme können z. B. bei Lichtbogenschweißgeräten über den Schutzleiter oder externe Signalleitungen zurückfließen.[11]
Vagabundierender Gleichstrom
Vagabundierender Gleichstrom (Streustrom) entsteht, wenn Gleichstrom aus der elektrischen Anlage austritt und dann über das feuchte Erdreich weiterfließt.[12] Dieser Strom verteilt sich dann auf große Querschnitte des Erdreichs und fließt je nach spezifischem Widerstand des Erdreichs über unterschiedliche Bahnen zurück.[6] Dabei sind die Wege, die diese Ströme fließen, nicht vorherbestimmbar.[13] Durch diese Ströme können im Erdreich befindliche Metallteile negativ beeinflusst werden.[14] Insbesondere große Metallteile wie z. B. Rohre und Kabelmäntel aus Metall, die sich in der näheren Umgebung der Stromeintrittsstelle befinden, sind besonders gefährdet.[6] Diese negative Beeinflussung bezeichnet man in der Elektrotechnik als Streustromkorrosion.[5] Beobachtet wurde dieser physikalische Vorgang erstmals gegen Ende des 19. Jahrhunderts, nachdem man die ersten elektrisch betriebenen Bahnlinien betrieb und Gas- und Wasserleitungen, die neben den Gleisen lagen, kurze Zeit nach der Inbetriebnahme der Bahnanlagen Schäden durch Lochfraß aufwiesen.[3] Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts wurden hierfür erste Anlagen mit kathodischen Schutzverfahren installiert.[9] Vagabundierende Gleichströme können bei elektrischen Bahnen und Omnibussen mit Oberleitungen, bei Gleichstromversorgungsnetzen, bei Verkehrssignalanlagen und bei Gleichstromfernmeldenetzen auftreten.[13] Aber auch Gleichstrom Schweißanlagen können eine Quelle von Streuströmen sein.[9] Des Weiteren können bei der Hochspannungsgleichstromübertragung und bei kathodischen Korrosionsschutzsystemen Streuströme auftreten.[13]
Vagabundierender Wechselstrom
Ein vagabundierende Wechselstrom entsteht entweder durch Mängel im Erdungssystem oder durch einen ungünstigen Netzaufbau.[4] In TN-Netzen kommt es, je nach Netzform, oftmals zu vagabundierenden Strömen auf dem Erdungs- und Potentialausgleichsleiter.[15] Anfällig sind hier hauptsächlich TN-C-Netze.[4] Aber auch das TN-C-S-System ist anfällig für vagabundierende Ströme.[2] Das liegt daran, dass bei diesen Netzformen Neutralleiter und Erdungsleiter nicht über die gesamte Anlage konsequent getrennt geführt sind.[16] Insbesondere kommt es dann zu vagabundierenden Strömen, wenn der Parallelwiderstand der Gebäudeerdungsanlage und der Potentialausgleichsanlage kleiner ist als der Widerstand des PEN-Leiters.[17] Dieser vagabundierende Strom fließt betriebsmäßig nicht über das elektrische Leitungsnetz,[10] sondern über leitfähige Gebäude- und Anlagenteile, die an den Potentialausgleich angeschlossen sind.[8] Der vagabundierende Strom, der dabei vom PEN-Leiter abgezweigt wird, ist umso größer, je kleiner das Verhältnis Parallelwiderstand der Gebäudeerdungsanlage und der Potentialausgleichsanlage zum Widerstand des PEN-Leiters ist.[17] Dabei kann der vagabundierende Strom trotz einer Spannung von annähernd Null Volt auf dem Installationssystem relativ hohe Stromstärken haben.[2] Dadurch führt der Schutzleiter betriebsmäßig Strom.[18] Dieser fließt dann auch über die Schirme von Datenleitungen.[17] Da diese oftmals nicht stromtragfähig sind, können die Leitungen abbrennen.[18] Dies kann im schlimmsten Fall zu einem Gebäudebrand führen.[19] Außerdem können durch die vagabundieren Ströme Störungen auf die Datenleitungen eingekoppelt werden.[18] Dies ist deshalb äußerst ungünstig für die Elektromagnetische Verträglichkeit.[19] Dies kann bereits bei kleinen Strömen von einigen 10 mA auftreten, wenn diese als vagabundierende Ströme auf dem geerdeten Schirm der Datenleitung vorhanden sind.[17] Zwar verursachen von außen einstreuende Ströme z. B. von Wechselstrombahnen keine Streustromkorrosion,[20] trotzdem kann es durch interne auf Wasser- und Heizungsrohren fließende Ströme zu Korrosionsschäden kommen.[17] Insbesondere in Verbindung mit Luft- oder Bodenfeuchtigkeit oder Flüssigkeiten in der Rohrleitung treten diese Korrosionsschäden auf.[18]
Einzelnachweise
- Martin Salzmann: EMV-gerechte Ausführung von NS-Schaltanlagen. In: Elektropraktiker. Heft 4, Berlin 2010, S. 328–331.
- Strom auf'm Rohr kommt häufig vor. Elektrische Fehl- und Ausgleichströme auf Rohrsystemen. In: IKZ-Haustechnik. Heft 7, 2012, S. 94, 98
- E. Gerland: Lehrbuch der Elektrotechnik. Mit besonderer Berücksichtigung ihrer Anwendungen im Bergbau. Mit 442 in den Text gedruckten Abbildungen, Verlag von Ferdinand Enke, Stuttgart 1903, S. 388–390.
- Gerhard Budde: Vagabundierende Ströme in Elektroanlagen und Gebäuden. In: de 13–14. 2004, S. 47, 59–61.
- Günter Springer u. a.: Fachkunde Elektrotechnik. (= Europa. Nr. 30138). 18., völlig neubearbeitete und erweiterte Auflage. Verlag Europa-Lehrmittel, Wuppertal 1989, ISBN 3-8085-3018-9, S. 10, 11, 488, 489.
- A. Senner: Fachkunde Elektrotechnik. 4. Auflage. Verlag Europa-Lehrmittel, 1965, S. 316, 317, 424.
- Dieter Petrausch: Streustromgutachten. Erläuterungsbericht Fa Obermeyer. OPB Projekt Nr. 20290, Leipzig 2015, S. 3, 4.
- Herbert Schmolke: Potentialausgleich, Fundamenterder, Korrosionsgefährdung. 7., komplett überarbeitete Auflage. VDE Verlag, Berlin Offenbach 2009, ISBN 978-3-8007-3139-8, S. 12, 13.
- Fachausschuss für Korrosionsfragen (Hrsg.): Kathodischer Korrosionsschutz im Wasserbau. 3. Auflage, Hafentechnische Gesellschaft e.V. Hamburg, Hamburg 2009, S. 10–12, 36, 166–169.
- Markus Winzenick, ZVEI - Zentralverband Elektrotechnik- und Elektroindustrie e. V. (Hrsg.): Vermeidung vagabundierender Ströme in Niederspannungs-Schaltanlagen. Eine Information des Fachkreises Niederspannungs-Schaltanlagen, Frankfurt am Main 2017, S. 2, 3, 7.
- Birger Jaeschke: Digital gesteuerte Stromquellen für das Lichtbogenschweißen. Dissertation an der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Magdeburg 2003, S. 20.
- Schweizerischer Verband der Strassen- und Verkehrsfachleute: Erdungshandbuch. Regelwerk Technik Eisenbahn, Bern 2008, S. 25.
- Gabriel Stabentheiner: Streustrombeeinflussung durch mit Gleichstrom betriebenen Bahnen, Berechnung und Messkonzepte. Masterarbeit am Institut für elektrische Anlagen und Netze der Technischen Universität Graz, Graz 2018, S. 13–16.
- Rainer Deiss: Beeinflussung durch Streuströme aus Gleichstromanlagen. In: Die Mitteilungen. FKKS-Mitteilungen. 20. Jahrgang, Nr. 63, 2007, S. 1, 2.
- Martin Schauer: Mythos Erdung in Niederspannungsanlagen. In: Zeitschrift für Bauschäden, Baurecht und guterachterliche Tätigkeit. Sonderdruck Der Bausachverständige. Fraunhofer IRB Verlag 2019, ISSN 1614-6123, S. 12, 13.
- Peter Nießen, Monika Bathow: Vagabundierende Ströme - Tipps zur elektrischen Installation. In: Elektrosmog-Report vom 8. März 2002, S. 2, 3.
- Am TN-S-Netzanschluss führt kein Weg vorbei. Ein Praxisbericht des Elektrizitätswerks Dietlon. In: electrosuisse (Hrsg.). Bulletin 12, 2012, S. 30, 32, 34, 35.
- FG. Hensel: Vagabundierende Ströme? Ursache und Wirkung. In: Hensel GmbH (Hrsg.). Der Elektro Tipp, Nr. 3, 2003, S. 1–3.
- Dieter Vogt, Herbert Schmolke: Elektro-Installation in Wohngebäuden. 6. Auflage, VDE Verlag GmbH, Berlin und Offenbach 2005, ISBN 3-8007-2820-6, S. 169.
- Hans Kampermann: Fahrstromversorgung moderner Gleich- und Wechselstrombahnen und ihre Auswirkung auf erdverlegte Rohrleitungen. Fachvortrag gehalten auf der Tagung des Fachverbandes Kathodischer Korrosionsschutz e.V. In: Mitteilungen des Fachverbandes kathodischer Korrosionsschutz e. V. Nr. 23, E 13001 F, Mai 1997, S. 1.
Anmerkungen
- Der Fehlstrom ist kein Fehlerstrom und sollte nicht mit diesem verwechselt werden. Der Fehlstrom fließt im normalen Betrieb als Teilstrom des Betriebsstroms. Der Fehlerstrom fließt nicht im Normalbetrieb, sondern nur im Fall eines Fehlers z. B. Defekt eines elektrischen Gerätes und führt in der Regel zur Auslösung der Überwachungseinrichtung (FI-Schalter). (Quelle: Strom auf'm Rohr kommt häufig vor. Elektrische Fehl- und Ausgleichströme auf Rohrsystemen.)
- Interne Streuströme treten im Inneren einer Anlage auf. Externe Streuströme werden von außen durch andere elektrische Anlagen eingebracht. (Quelle: Fachausschuss für Korrosionsfragen (Hrsg.): Kathodischer Korrosionsschutz im Wasserbau.)