Totus Tuus
Die Gruppe Totus Tuus (lateinisch „ganz dein“; auch „Totus Tuus Neuevangelisierung“) entstand aus Mitgliedern von Gebetskreisen, die sich ab 1994 durch Pilgerfahrten nach Međugorje bildeten, welche vom Ehepaar Leon und Birgit Dolenec initiiert wurden.[1] Der in mehreren Ländern tätigen Gruppe gehörten 2021 weltweit nach eigenen Angaben 135 Personen an. Zivilrechtlich ist die Gemeinschaft ein eingetragener Verein mit dem Charakter eines Fördervereins. Seit 2004 war Totus Tuus kirchenrechtlich als „private Vereinigung von Gläubigen diözesanen Rechts“ durch das Bistum Münster für die römisch-katholische Kirche anerkannt. Im November 2021 entzog Bischof Felix Genn der Vereinigung die kirchliche Anerkennung.[2][3]
Selbstverständnis
Die selbst gestellte Aufgabe der Gruppe ist die Neuevangelisierung. Schwerpunkt der Evangelisationsarbeit ist hierbei die Organisation von Wallfahrten nach Medjugorje, die Gemeindemission und Firmlingsarbeit sowie die Jugendarbeit.
Die Gruppe organisiert jährlich mehrere Fahrten in den herzegowinischen Wallfahrtsort Medjugorje.[4] Dort soll seit dem Jahr 1981 einigen Menschen, „Sehern“, die Gottesmutter Maria erscheinen, um alle Menschen auf der Welt zum Beten, Glauben und zum Frieden aufzurufen.
Auf Einladung wirkt die Gruppe in Gemeinden mit. Konkret werden Firmunterricht und -wochenenden, sogenannte Gemeindemissionen sowie Gebetsabende oder -treffen angeboten. Für Jugendliche werden an Wochenenden monatlich mehrere Treffen veranstaltet. Zudem finden Kinderfreizeiten für Mädchen und Jungen statt.
Geprägt durch eine marianische und charismatische Spiritualität will die Bewegung nach eigenen Angaben auf die Nöte unserer Zeit Antwort geben. Totus tuus bedeutet übersetzt „ganz dein / ganz der Deine“. Genau wie der Wahlspruch von Papst Johannes Paul II. bezieht sich der Name der Gruppe auf Louis-Marie Grignion de Montfort, der eine Spiritualität der vollkommene Hingabe an Jesus durch Maria lehrte. Wie diese Hingabe sich konkretisiert, bleibt unklar. Aussteiger und der ehemalige geistliche Beirat der Gruppe kritisieren das Einfordern von „blindem Gehorsam“ und die Beeinträchtigung der freien Entwicklung.[5]
Im Jahr 2018 unterstützte die Gruppe das Mission Manifest.[6]
Visitation und Auflösung
Beschwerden und Untersuchung
Seit 2017 untersuchte das Bistum Münster die Gemeinschaft im Rahmen einer bischöflichen Visitation, da ehemalige Mitglieder der Gemeinschaft sektenartige Strukturen und geistlichen Missbrauch vorwerfen.[5][7] Als Visitatoren beauftragte Bischof Felix Genn seinen stellvertretenden Generalvikar Jochen Reidegeld und die Ordensschwester Birgitte Herrmann von den Mauritzer Franziskanerinnen. „Konkreter Untersuchungsgegenstand“ soll dabei das „autoritäre Verhalten des Leitungsgremiums gegen Mitglieder der Gemeinschaft“ sein.[8] Auf Anregung der Visitatoren bekam die Gemeinschaft im Bistum Münster 2020 eine Übergangsleitung, die aus drei Mitgliedern der bisherigen Leitung besteht, die der Münsteraner Bischof Felix Genn benannte. Drei weitere Leitungsmitglieder wurden von den Mitgliedern der Gemeinschaft gewählt; sie gehörten nicht der vorigen Leitung an. Zwei weitere berief Bischof Genn. Das Leitungsteam wurde von Pfarrer Martin Sinnhuber begleitet.[9]
Auflösung durch Bischof Genn
Die katholische Kirche löste Totus Tuus zum 4. November 2021 auf;[10] ihr zuständiger Vertreter Bischof Dr. Genn unterzeichnete ein Dekret, in dem er deutlich macht, dass Totus Tuus keine nach dem Kirchenrecht anerkannte kirchliche Vereinigung mehr ist.[11] Als Begründung nannte er die fehlende Bereitschaft und Fähigkeit der Verantwortlichen, die bei der Visitation erkannten schwerwiegenden Mängel im geistlichen Umgang mit Mitgliedern der Gemeinschaft einzusehen und abzustellen. Als Mangel wurde erkannt, dass Leitung und geistliche Begleitung in der Gemeinschaft nicht voneinander getrennt gewesen seien. Bischof Genn: „Durch einen personenfixierten und unreflektierten Leitungsstil wurde ein Klima begünstigt, das Spiritualität quantifiziert, Kritik zum Ausweis mangelnder geistlicher Reife erklärt und ein geschlossenes Elitedenken befördert hat. […] Aufgrund der Visitationsergebnisse und nach eingehender Beratung bin ich zu der Einschätzung gelangt: es kam in der Gemeinschaft Totus Tuus wiederholt zu Handlungen und Kommunikationsverhalten, die wir heute unter den Begriff geistlicher Missbrauch fassen. Die Gemeinschaft hat Strukturen und Verhaltensweisen entwickelt, die ein solches Handeln ermöglicht und gefördert haben.“ Hinweise auf Straftaten oder sonstiges rechtliches Fehlverhalten wurden nicht gefunden.[11]
Das Bistum untersagte, dass die Vereinigung Totus Tuus sich nach c. 300 CIC als katholische Vereinigung bezeichnen und den Namensbestandteil „katholisch“ in ihrem Vereinsnamen und in ihrem öffentlichen Auftreten weiter tragen darf. Mitarbeitern im pastoralen Dienst des Bistums untersagte es jegliche Mitgliedschaft und Mitwirkung in welcher Form auch immer in der Vereinigung Totus Tuus. Zudem untersagte es ausdrücklich jegliche Form von Veranstaltungen/Aktivitäten von der Vereinigung Totus Tuus auf dem Gebiet und in Einrichtungen des Bistums Münster.[10]
Bischof Genn betonte: „Im Bistum Münster gibt es auch bei geistlichem Missbrauch, worunter ein grenzverletzendes Verhalten im seelsorglichen Kontext und ein spiritueller Machtmissbrauch in kirchlichen Gemeinschaften zu verstehen ist, eine Haltung der Null-Toleranz.“[11]
Zum Zeitpunkt der Auflösung im Bistum Münster hatte die Vereinigung nach diözesanen Angaben dort weniger als 20 Mitglieder, nachdem es zu Austritten gekommen war.[12]
Das Bistum Essen bekräftigte, dass auch „seinen pastoralen Mitarbeitern die Mitwirkung in der Gemeinschaft“ verboten sei.[13]
Reaktion der Gemeinschaft
Die Gemeinschaft kündigte Rechtsmittel gegen die bischöfliche Entscheidung an.[2][14] Weitere Stellungnahmen seitens der Gemeinschaft würden derzeit nicht erfolgen.[15] Am 26. November 2021 wies Bischof Genn den Antrag von Totus Tuus auf Rücknahme des Auflösungsdekrets mit der Begründung ab, dass „eine nicht unerhebliche Anzahl von Menschen“ durch Totus Tuus schwer geschädigt worden sei, und die Gemeinschaft habe „sowohl einen schweren Schaden für die kirchliche Disziplin verursacht als auch ein Ärgernis für die Gläubigen dargestellt“.[16]
Weblinks
Einzelnachweise
- Ebbo Ebbing: Bewegung in der Kirche. Patris Verlag, Vallendar 2009, ISBN 978-3-87620-329-4, S. 95–104.
Unser fruchtbarstes Apostolat sind Jugendwallfahrten nach Medjugorje. In: kath.net. 28. November 2007, abgerufen am 15. März 2021 (Interview mit Thomas Müller). - Renardo Schlegelmilch: Was steckt hinter dem „Totus Tuus“-Verbot im Bistum Münster? „Eine spirituelle Zwickmühle“. In: domradio.de. 11. November 2021, abgerufen am 11. November 2021 (Interview mit Benjamin Leven).
- Bischof Genn entzieht Vereinigung „Totus Tuus“ kirchliche Anerkennung. Geistlicher Missbrauch als Grund angegeben. In: katholisch.de. 5. November 2021, abgerufen am 5. November 2021.
- Sweet Home Medjugorje. In: totus-tuus.de. Abgerufen am 5. November 2021.
Mit Totus Tuus nach Medjugorje. In: totus-tuus.de. Archiviert vom Original am 5. Juni 2017; abgerufen am 5. November 2021. - Jens Joest: Aussteiger werfen Gruppe „Totus Tuus“ geistlichen Missbrauch vor. In: kirche-und-leben.de. 29. Mai 2019, abgerufen am 30. Mai 2019.
- Thomas Müller: Mission Manifest – 10 Thesen für das Comeback der Kirche. In: totus-tuus.de. Archiviert vom Original am 8. März 2018; abgerufen am 5. November 2021.
Thomas Müller: Mission Manifest. In: missionmanifest.online. Abgerufen am 5. November 2021. - Andrea Lieblang: Geistliche Gemeinschaft „Totus Tuus“ – Totale Hingabe als Prinzip. (mp3-Audio; 14,1 MB; 15:24 Minuten) In: Deutschlandfunk-Sendung „Tag für Tag“. 19. September 2019, abgerufen am 4. September 2020 (html-Version).
- Rudolf Gehrig: Bischof Genn zu Visitation von „Totus Tuus“ in Münster: Ungeklärte Fragen. In: catholicnewsagency.com. 13. November 2020, abgerufen am 14. November 2020.
- Herder Korrespondenz, 74. Jahrgang, Januar 2020, S. 56.
- Felix Genn: Divina Miseratione et Sanctae Apostolicae Sedis Gratia Episcopus Monasteriensis. (pdf; 801 kB) In: bistum-muenster.de. 4. November 2021, abgerufen am 4. Januar 2022.
- Bischof Genn löst Vereinigung Totus Tuus auf. In: bistum-muenster.de. 5. November 2021, abgerufen am 7. Dezember 2021.
- Münsters Bischof löst sektenähnliche Vereinigung auf. In: WDR-Nachrichten. 5. November 2021, abgerufen am 7. November 2021.
- „Totus tuus“: Mitgliedschaft auch im Bistum Essen untersagt. 3. Januar 2022, abgerufen am 4. Januar 2022.
- „Totus Tuus“ will gegen Entzug kirchlicher Anerkennung vorgehen: Widerstand gegen Bischof Genns Dekret. In: Domradio. 8. November 2021, abgerufen am 13. November 2021.
- Website offline: Almost Ready to Launch. In: totus-tuus.de. 4. November 2021, abgerufen am 13. November 2021.
- Felix Neumann: Bischof Genn hält an Auflösung von „Totus Tuus“ fest. In: katholisch.de. 26. November 2021, abgerufen am 4. Januar 2022.
Bischof Genn hält an Auflösung von Totus Tuus fest. In: bistum-muenster.de. 26. November 2021, abgerufen am 10. Dezember 2021.