Survivorship Bias
Survivorship Bias (deutsch: Überlebenden-Verzerrung) bezeichnet eine kognitive Verzerrung. Nach dem Survivorship Bias werden Wahrscheinlichkeiten eines Erfolgs systematisch überschätzt, da erfolgreiche Personen oder Zustände stärker sichtbar sind als nicht erfolgreiche.[1]
Geschichte
Der Begriff geht auf die Arbeit von US-Navy-Ingenieuren im Zweiten Weltkrieg zurück, die untersuchten, wo die Panzerung der Flugzeuge bei minimaler Gewichtszunahme zu verbessern sei und somit die Überlebensrate der Piloten steigern sollten.[2] Dazu sollte ein Verfahren entwickelt werden, um zu berechnen, welche Treffer eher zu einem Absturz der Maschine führen würden und welche eine Rückkehr ermöglichten. Der damit beauftragte Mathematiker Abraham Wald stieß auf das Problem, dass nach Abstürzen die Informationen über Einschüsse fehlten, und nur die zurückgekehrten Flugzeuge direkt untersucht werden konnten. Um den survivorship bias zu vermeiden, entwickelte er indirekte Erhebungsverfahren.[3] Die Flugzeuge wurden daraufhin an den Stellen verstärkt, die keine Einschusslöcher aufwiesen, da Einschüsse an diesen Stellen vermutlich zum Absturz der Maschinen führten.
Beispiele
Wirtschaft
Fondsgesellschaften liquidieren erfolglose Fonds nach einer bestimmten Zeit. Dies führt dazu, dass die kollektive Performance der Gruppe der aktiv gemanagten Fonds als Ganzes besser ausgewiesen wird als in Wirklichkeit gerechtfertigt, da die „pleitegegangenen“ Fonds laufend aus der Bilanz herausfallen.[4]
Bei Umfragen zur Kundenzufriedenheit antworten Individuen, die noch über eine positive Haltung zum Unternehmen verfügen, viel eher als jene, die negativer Meinung sind. Mitunter wird so das Ziel, die problematischen Aspekte der Kundenbeziehung zu erkennen und zu verbessern, verfehlt. Dies ist bei Umfragen als Schweigeverzerrung bekannt.
Zu Unternehmensgründungs-Seminaren werden eher erfolgreiche Geschäftsleute als Vortragende eingeladen, während zum Beispiel erfolglose Firmengründer und ihre Erfahrungen übergangen werden. Dies führt zu der irrigen Annahme, dass eine erfolgreiche Firmengründung der Normalfall sei.
Medizin
In der Medizin spielt der survivorship bias eine herausragende Rolle. Zum Beispiel nehmen Krebs-Patienten, die auf etablierte Behandlungsmethoden nicht ansprechen, manchmal an einer experimentellen Therapie teil. Das Problem besteht nun darin, dass der Patient zwar krank bleibt, aber lange genug überleben muss, damit die neuartige Therapieform überhaupt in Betracht gezogen wird. Somit kann nicht klar festgestellt werden, welchen Nutzen die experimentelle Therapie schon im Anfangsstadium der Erkrankung zeigen würde.
Architektur
Die Tatsache, dass qualitativ oder ästhetisch hochwertige Gebäude länger in Betrieb stehen und seltener abgerissen werden, führt zur „Feststellung“, dass in früheren Epochen scheinbar bessere architektonische Leistungen erbracht wurden. Dadurch, dass die Häuser wohlhabender Bürger aus beständigeren Materialien erstellt wurden, entsteht der Eindruck, in früheren Zeiten wäre solider gebaut worden: eine weitere Verzerrung.
Populärkultur
Wie auch bei Beispielen aus der Wirtschaft ist dem Beobachter nicht klar, dass auf jeden prominenten Schauspieler oder Sänger Tausende von Künstlern kommen, die es nie geschafft haben, berühmt zu werden. Bei Kindern und Jugendlichen trägt dies zum Glauben bei, es sei einfach, ein „Star“ zu werden.[2]
Präventionsmaßnahmen
Da der survivorship bias einer rückblickenden Fall-Kontroll-Studie ohne Kontrollgruppe entspricht, muss also eine prospektive Studie durchgeführt werden. Im Beispiel der Kampfflugzeuge sollten also alle Flugzeuge, die zum Einsatz gestartet sind, in der Stichprobe berücksichtigt werden. Bei Kundenbefragungen können etwa alle Kunden, die in einem bestimmten Zeitraum ihre erste Bestellung aufgegeben hatten, befragt werden – anstelle bloß die aktuellen Kunden um ihre Meinung zu befragen. Genauso kann man den Erfolg von Unternehmern untersuchen, indem man aus dem Handelsregister eine Liste der Neugründungen erstellt, anstatt die derzeit existierenden Firmen zu betrachten.
Siehe auch
Einzelnachweise
- Wirtz, M. (2020). Überlebensirrtum. In M. A. Wirtz (Hrsg.), Dorsch – Lexikon der Psychologie. Abgerufen am 13. April 2020, von portal.hogrefe.com/dorsch/ueberlebensirrtum
- Hanno Beck: Auf die Verlierer kommt es an. 6. Oktober 2012. Abgerufen am 15. März 2015.
- https://books.google.de/books?id=vvkvDwAAQBAJ&pg=PT31&dq=wald+survivorship+bias+armor&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwjIjo6lnNXtAhWIC-wKHT6MAggQuwUwAHoECAMQCg#v=onepage&q=wald%20survivorship%20bias%20armor&f=false
- Elton, Gruber, Blake: Survivorship Bias and Mutual Fund Performance. In: Review of Financial Studies. 9, Nr. 4, 1996, S. 1097–1120. doi:10.1093/rfs/9.4.1097.