St.-Anna-Kapelle (Schwendi)

Die St.-Anna-Kapelle i​n Schwendi i​m Landkreis Biberach i​n Oberschwaben, i​st eine gotische Kapelle m​it einem bedeutenden Flügelaltar d​er „Ulmer Schule“ a​us der Zeit u​m 1500.

St.-Anna-Kapelle in Schwendi

Baugeschichte

Romanisches Fenster an der Südwand der Kapelle
Fratzenkopf hinter dem Chorbogen
Ansicht des Flügelaltars in geöffnetem Zustand

Die St.-Anna-Kapelle w​ar die Pfarrkirche v​on Schwendi, b​is 1561 d​ie Kirche St. Stephanus gebaut wurde. Ursprünglich w​ar die Kapelle St. Stephanus geweiht, später a​uch der Jungfrau Maria u​nd zuletzt n​ur noch d​eren Mutter St. Anna.[1] Große Teile d​es Mauerwerks bestehen a​us groben Natursteinen u​nd stammen a​us der Erbauungszeit, d​ie auf d​as 12. o​der 13. Jahrhundert datiert wird.[2] An d​ie romanische Architektur dieser Zeit erinnert e​in 1962 freigelegtes Schlitzfenster m​it Rundbogen a​n der Südwand. Heute i​st das Schiff d​er Kapelle 10 Meter l​ang und 4,55 Meter breit, d​ie Decke i​st 5,40 Meter hoch. Max Hammer g​eht davon aus, d​ass das Kirchlein ursprünglich n​ur 7 Meter l​ang war.[3]

1460 w​ar die Kirche z​u klein geworden, s​o dass zwischen 1467 u​nd 1481 wiederholt Geld für e​inen Umbau gesammelt wurde. Der Ostteil d​er Kirche w​urde abgebrochen u​nd ein n​euer Chor (Altarraum) angebaut. Vermutlich sollte a​uch das Kirchenschiff n​och ausgebaut werden, d​och dazu k​am es n​icht mehr.[4] 1561 w​urde die Schwendier Pfarrkirche St. Stephanus geweiht, d​as alte Kirchlein fortan n​ur noch a​ls Kapelle genutzt. Der Kirchturm w​urde im 18. Jahrhundert abgerissen, über s​ein Aussehen i​st nichts bekannt. 1836 erhielt d​ie Kapelle stattdessen e​inen Giebelturm (Dachreiter).[5]

Die St.-Anna-Kapelle w​urde zuletzt 1962/63, 1980 u​nd 1993 renoviert. Das heutige Erscheinungsbild g​eht im Wesentlichen a​uf die Renovierung i​n den 60er Jahren zurück.[6] Damals w​urde die Sakristei u​nd eine n​eue Empore erbaut, d​ie Gipsdecke d​urch eine Decke a​us Fichtenholz ersetzt. Aus dieser Zeit stammen a​uch die heutigen Kirchenbänke.

Das Deckengewölbe

Der Chor d​er Kapelle erhielt i​m späten 15. Jahrhundert e​in Netzgewölbe m​it Rippen, Schlusssteinen u​nd Wappenkonsolen. Eine Datierung i​st möglich, d​a die Maler z​wei Mal d​ie Jahreszahl „1484“ hinterließen. Die Gewölbe s​ind in erster Linie m​it Blumenmotiven geschmückt, Hammer zählt insgesamt 65 Stück.[7] In d​er Mitte, w​o die Rippen zusammenlaufen, i​st das Lamm Gottes a​uf einem blauen Schild z​u sehen. Die eingearbeiteten Wappen weisen a​uf die Stifterfamilien hin.

Der Flügelaltar

Das Retabel (Flügelaltar) i​st ein wertvolles Beispiel gotischer Kunst d​er „Ulmer Schule“ u​m 1500. Nach e​iner dendrochronologischen Untersuchung k​ann die Entstehungszeit n​icht vor 1496 gelegen haben.[8] Der Altar w​urde von d​em Ortsherren Wilhelm (dem Mittleren) v​on Schwendi († 1522) u​nd seiner Frau Barbara v​on Schwendi, geborene Krafft v​on Dellmensingen († 1538), gestiftet.[9] Die Skulpturen stammen a​us der Werkstatt d​es Ulmer Bildhauers Niklaus Weckmann, w​as ein Vergleich m​it anderen Werken a​us Weckmanns Werkstatt beweist.[10] Die Malereien werden h​eute dem namentlich n​icht bekannten „Pfullendorfer Meister“ zugerechnet[11] u​nd nicht m​ehr (wie v​on Hammer) d​er Werkstatt Bartholomäus Zeitbloms[12]. Dies z​eigt die große Farbigkeit d​er Bilder u​nd die voluminöse Gestaltung d​er Einzelfiguren m​it ihren üppig drapierten Gewändern.[8] Der Flügelaltar i​st in e​inem guten Zustand, allerdings s​ind die Flügelgemälde d​urch Sonneneinstrahlung s​tark verblasst u​nd zudem v​on Max Hammer „eingreifend, z​um Teil entstellend, restauriert“ worden, w​ie das Württembergische Landesmuseum bemängelt hat.[13] Das Schwendier Retabel w​ar 1993 für mehrere Monate i​n der Ausstellung „Meisterwerke massenhaft“ i​n Stuttgart z​u sehen.

Der Flügelaltar i​st heute s​tets in geöffnetem Zustand z​u sehen. Früher w​ar er während d​er Werktage i​n der Regel geschlossen. Nur a​n Sonn- u​nd Feiertagen (sowie zwischen d​er Wandlung u​nd der Kommunion) konnten i​hn die Kirchenbesucher i​n geöffnetem Zustand – u​nd damit i​n besonderer Pracht – bewundern.[9] Der Altar besteht a​us folgenden Elementen[14]:

  • Die Vorderseite der Predella (unterer Aufsatz) zeigt die vier Evangelisten mit ihren Symbolen. Von links: Lukas (Stier), Matthäus (Mensch), Johannes (Adler) und Markus (Löwe).
  • Im geöffneten Schrein (Mittelteil) thront in der Mitte die bekrönte Maria mit dem Jesuskind, links von ihr steht der heilige Laurentius, rechts der heilige Vitus. Die Attribute der Heiligen verweisen auf ihren Märtyrertod: Laurentius wurde auf einem Bratrost zu Tode gequält, Vitus in einem Siedekessel.
  • Auf den geöffneten Flügeln des Altars ist links die heilige Barbara mit einem Kelch zu sehen und rechts die heilige Katharina mit Schwert und einem Teil eines Rades. Der Legende nach sollte Katharina mit Rädern gemartert werden, doch da kam ein Engel und zerstörte die Folterwerkzeuge. Schließlich wurde sie mit dem Schwert hingerichtet.
  • Auf den geschlossenen Flügeln ist links Johannes der Täufer in rotem Gewande abgebildet, er zeigt auf das Opferlamm, das auf seinem Buch sitzt. Rechts steht der heilige Rochus, der sein rechtes Bein entblößt hat – ein kniender Engel deutet auf eine Eiterwunde. Rochus wurde als Pestheiliger verehrt.
  • In geschlossenem Zustand sind links und rechts die Standbilder der Stifter zu sehen – links Wilhelm von Schwendi mit dem Schwendier Familienwappen, rechts seine Frau Barbara von Schwendi, geborene Krafft von Dellmensingen mit dem Wappen ihrer Familie. Die beiden sind kniend und Rosenkranz betend dargestellt, sie tragen die damals übliche Kirchgangskleidung des schwäbischen Adels. Die Standflügel sind Kopien der Originale, die sich seit Jahrhunderten im Besitz der Familie Krafft zu Dellmensingen befinden. Max Hammer hat sie 1963 kopiert und dem Flügelaltar hinzugefügt.
  • Auf der hinteren Seite des Retabels sind im oberen Teil die Reste einer Darstellung des Jüngsten Gerichtes zu sehen, auf die Predellen-Rückseite ist das von Engeln gehaltene Schweißtuch der Veronika aufgemalt. Hammer erklärt die Motivwahl damit, dass zur Entstehungszeit des Retabels Pfarrer hinter dem Altar die Beichte abnahmen.[7] Die Beichtenden sollten daran erinnert werden, dass ein sündiges Leben ins Verderben führt und dass Jesus die Sünden der Welt auf sich genommen hat. Hammer erzählt außerdem, dass sich im Leidesantlitz Christi bis zur Renovierung 1920 ein breites Loch befunden hat. Abergläubische Schwendier versprachen sich von den Holzsplittern Linderung bei Zahnschmerzen.

Weitere Ausstattung

  • Kreuzigungsgruppe am Chorbogen (Maria, Jesus am Kreuz, Johannes) aus dem 15. Jahrhundert, stand einst auf dem Flügelaltar[6]
  • Zwei Fratzenköpfe aus Kalkstein hinter dem Chorbogen, stammen aus der romanischen Entstehungszeit der Kirche
  • Figur der Anna selbdritt (Darstellung der heiligen Anna mit ihrer Tochter Maria und dem Jesusknaben), in gotischem Stil, entstanden um 1500. Die Figur, welche möglicherweise dem Kirchlein seinen heutigen Namen St.-Anna-Kapelle gegeben hat, erhielt 1729 einen eigenen Altar, der heute nicht mehr besteht.[15]
  • 14 Kreuzweg-Stationsbilder, barocker Stil, entstanden im 17. Jahrhundert
  • Marienbild aus der Zeit um 1590[15]

Literatur

  • J. König: Pfarrkirche Schwendi. Landkreis Biberach. Diözese Rottenburg. Patron St. Stephan (26. Dez.) und Alexius (17. Juli). = Die Kirchen in Schwendi, Württ. Schnell & Steiner, München 1940 (Kunstführer S 471/72 Reihe Süddeutschland), (2. völlig neubearbeitete Auflage: Otto Beck: Katholische Pfarrkirche St. Stephan in Schwendi. = Schwendi, Oberschwaben. Schnell & Steiner, München u. a. 1985 (Kunstführer 471)).
  • Max Hammer: Schwendi. Heimatbuch einer Gemeinde in Oberschwaben. Konrad, Weißenhorn 1969.
  • Gerhard Weilandt: Verzeichnis der Bildwerke aus der Weckmann-Werkstatt und ihrem Umkreis. In: Gerhard Weilandt, Stefan Roller (Red.): Meisterwerke massenhaft. Die Bildhauerwerkstatt des Niklaus Weckmann und die Malerei in Ulm um 1500. Württembergisches Landesmuseum, Stuttgart 1993, ISBN 3-929055-25-2, S. 484–490 (Ausstellungskatalog, Stuttgart, Württembergisches Landesmuseum, Altes Schloss, 11. Mai – 1. August 1993).
  • Daniela Gräfin von Pfeil: Der Meister des Pfullendorfer Retabels und seine Werkstatt. In: Gerhard Weilandt, Stefan Roller (Red.): Meisterwerke massenhaft. Die Bildhauerwerkstatt des Niklaus Weckmann und die Malerei in Ulm um 1500. Württembergisches Landesmuseum, Stuttgart 1993, ISBN 3-929055-25-2, S. 185–198 (Ausstellungskatalog, Stuttgart, Württembergisches Landesmuseum, Altes Schloss, 11. Mai – 1. August 1993).
Commons: St.-Anna-Kapelle – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Beck (1985), S. 3
  2. Hammer (1969), S. 160
  3. Hammer (1969), S. 156
  4. Hammer (1969), S. 161
  5. Hammer (1969), S. 166
  6. Hammer (1969), S. 165
  7. Hammer (1969), S. 164
  8. Weilandt (1993), S. 456
  9. Hammer (1969), S. 162
  10. Weilandt, S. 456
  11. Weilandt (1993), S. 455f. und Gräfin von Pfeil (1993), S. 187
  12. Hammer (1969), S. 163
  13. Weilandt (1993), S. 455
  14. Die Darstellung orientiert sich an Hammer (1969), S. 162ff.
  15. Beck (1985), S. 23

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