Spanische Spätscholastik
Die spanische Spätscholastik, auch „zweite Scholastik“, war eine theologisch-juristisch-philosophische Strömung des Katholizismus im 16. Jahrhundert, die hauptsächlich von den Ländern der iberischen Halbinsel ausging.
Obwohl sich die Bezeichnung als terminus technicus durchgesetzt hat, ist sie in zweierlei Hinsicht ungenau, als die Strömung zum einen nicht auf Spanien beschränkt ist (weshalb manche von „iberischer Spätscholastik“ sprechen) und zum anderen die „Spätscholastiker“ durchaus Anliegen des Humanismus teilten.
Juristische Lehre
Die spanische Spätscholastik hat, unter Anknüpfung an die Theologie Thomas von Aquins, eine Renaissance des Naturrechts eingeleitet und dadurch maßgeblich zur Entwicklung des modernen Völkerrechts beigetragen, das, im Anschluss an Autoren der Spanischen Spätscholastik, Hugo Grotius (besonders mit De jure belli ac pacis) zur vollen Entfaltung brachte. Im Zivilrecht ist der Einfluss der Spanischen Spätscholastik in der Entwicklung einer Theorie des subjektiven Rechts zu spüren. Im Strafrecht hat die Spanische Spätscholastik zu einer Subjektivierung des Strafbegriffes beigetragen (Alfonso de Castro, Diego de Covarrubias y Leyva).
Ökonomische Ansätze
Große Bedeutung kommt einigen Autoren der Spanischen Spätscholastik bei der Begründung der klassischen Nationalökonomie zu, so unter anderem Martin de Azpilcueta, Tommaso de Vio (Tomasso Cajetan), Luis Saravía de la Calle, Juan de Lugo und Luis de Molina. Insbesondere Molinas De iustitia et iure und das daran angelehnte Wirken des Leonhardus Lessius bestimmten vornehmlich die zivilrechtlichen Lehren des bereits genannten Holländers Grotius.[1]
Siehe auch
Literatur
- Wim Decock, Theologians and Contract Law. The Moral Transformation of the Ius Commune (ca. 1500-1650), Leiden-Boston 2013.
- Marjorie Grice-Hutchinson, Early Economic Thought in Spain. 1177-1740, London 1978.
- Paolo Grossi (Hrsg.), La seconda scolastica nella formazione del diritto privato moderno, Milano 1972.
- Frank Grunert und Kurt Seelmann (Hrsg.), Die Ordnung der Praxis. Neue Studien zur Spanischen Spätscholastik, Tübingen 2001.
- Heinrich Kipp: Moderne Probleme des Kriegsrechts in der Spätscholastik. Eine rechtsphilosophische Studie über die Voraussetzungen des Rechtes zum Kriege bei Vittoria und Suarez (= Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland. H. 68). Schöningh, Paderborn 1935.
- Josef Kohler, Die spanischen Naturrechtslehrer des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 10 (1917) S. 235ff.
- Harald Maihold, Strafe für fremde Schuld? Die Systematisierung des Strafbegriffs in der Spanischen Spätscholastik und Naturrechtslehre, Köln u. a. 2005.
- Reyes Mate und Friedrich Niewöhner (Hrsg.), Spaniens Beitrag zum politischen Denken in Europa um 1600, Wiesbaden 1994
- Günther Nufer, Über die Restitutionslehre der spanischen Spätscholastiker und ihre Ausstrahlung auf die Folgezeit, Diss. Freiburg im Breisgau 1969.
- Antonio-Enrique Pérez Luño, La polémica sobre el Nuevo Mundo. Los clásicos españoles de la Filosofía del derecho, Madrid 1992 (Übersetzung: Die klassische spanische Natur-rechtslehre in 5 Jahrhunderten, Berlin 1994).
- Kurt Seelmann, Die iberische Spätscholastik als historischer Wendeprozess, in: Klaus E. Müller (Hrsg.), Historische Wendeprozesse – Ideen, die Geschichte machten, Freiburg u. a. 2003, S. 114ff.
- Kurt Seelmann, Theologie und Jurisprudenz an der Schwelle zur Moderne. Die Geburt des neuzeitlichen Naturrechts in der iberischen Spätscholastik, Baden-Baden 1997.
- Hans Thieme, Natürliches Privatrecht und Spätscholastik; in: Savigny Zeitschrift für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 70 (1953), S. 230ff.
- Wilhelm Weber, Geld und Zins in der Spanischen Spätscholastik, Münster Westfalen 1962.
- Alejandro Chafuen, Faith and Liberty: The Economic Thought of the Late Scholastics (Studies in Ethics and Economics), Lanham, Maryland/USA 2003.
- Emil Kauder, A History of Marginal Utility Theory, Princeton, New Jersey/USA 1966.
- Johannes Unterreitmeier, Der öffentlich-rechtliche Schmerzensgeldanspruch als Ausprägung eines allgemeinen, verfassungsrechtlichen Wiedergutmachungsanspruchs. Eine Renaissance der scholastischen Restitutionslehre, Diss. München 2007.
Weblinks
- Harald Maihold: Die Tötung des Unschuldigen, insbesondere im Krieg - Schuld und Nutzenargumente in der thomistischen Morallehre des 16. Jahrhunderts, in: Ancilla Iuris, vom 14. August 2007
- Gideon Stiening: »Non est potestas nisi a Deo«. Franciso de Vitorias Rechtslehre im Kontext (PDF; 248 kB)
Einzelnachweise
- Jan Dirk Harke: Römisches Recht. Von der klassischen Zeit bis zu den modernen Kodifikationen. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-57405-4 (Grundrisse des Rechts), § 3 Rnr. 1 f. (S. 27 f.).