Sieidi
Als Sieidi bezeichnet man in der spirituellen Tradition der Samen eine Opferstätte. Sie sind auf dem gesamten ursprünglichen Siedlungsgebiet der Samen verbreitet. Diese Opferstätte war ein für den Jäger, Fischer oder Rentierzüchter strategisch gelegenes Objekt in der Natur (wie etwa eine Steinformation, ein Berg, Baum, Wasserfall, See oder eine Quelle), welches man im Regelfall in seinem natürlichen Zustand beließ. Die Sieidi dienten aber nicht nur für die Orientierung in der Natur, sondern auch als heilige Stätte. Einzelpersonen aber auch Gruppen brachten in ihrer unmittelbaren Nähe Opfer dar. Als Opfergaben dienten Fleisch, Geweihe, Knochen, Metall (Münzen) und in späterer Zeit auch Alkohol oder persönliche Gegenstände. Siedis dienten als Medium, um mit den übernatürlichen Kräften in der Natur und vorchristlichen Göttern Kontakt aufnehmen zu können. Funde sind bis in die Eisenzeit bzw. bis ins Mittelalter datiert, Sieidis haben sich in ihrer Funktion am längsten in der Finnmark Norwegens und im nördlichen Finnland gehalten. Die Darbringung von Opfergaben reicht bis in die Gegenwart.
Typologie und Verbreitung
Siedis können grundsätzlich in drei Gruppen unterteilt werden: in spezielle Landformationen (Berggipfel, Felsformationen, Inseln, Seen oder Landspitzen), natürliche Objekte (Steine, Quellen, Höhlen, Felsklüfte) und in Strukturen (geschnitzte Baumstümpfe, aufgestellte Steine und Steinkreise). Am häufigsten finden sich Siedis in Form von Steinformationen mit ungewöhnlichem Aussehen. Daneben gibt es hölzerne Siedis, entweder als Bäume, deren unteren Äste entfernt worden waren oder geschnitzten bzw. umgestürzten Baumstümpfen. Die genaue Anzahl derartiger Opferstellen ist nicht bekannt: viele wurden durch Missionare in die "Lapplandforschung" des 19. Jahrhunderts eingebracht, sind mittlerweile zerstört oder von den Samen nicht preisgegeben worden. Da die Sieidis durch die christliche Mission kriminalisiert wurden, nimmt man an, dass große Opferstätten, die etwa von ganzen Communities besucht wurden, früher verschwanden als kleinere sieidis, die dem individuellen Opfer dienten[1]. Die Zahl der derzeit bekannten Opferstellen im Norden Finnlands liegt bei etwa 100 Funden[2], auf dem gesamten historischen Siedlungsgebiet der Samen dürfte es sich um rund tausend bekannte Stätten handeln.
Funktion
Die Siedis dienten in der traditionellen Gesellschaft der Samen dazu, durch Opfergaben die kosmologische Ordnung der Dinge und die Beziehung zur Natur (und ihren Göttern) aufrechtzuerhalten. Sie sind der heilige Platz, um Opfer für die bisherigen Gaben der Natur, die Gesundheit oder fürs zukünftige Jagdglück und den Erfolg in der Rentierzucht darzubringen. Im Verständnis der Samen waren Siedis lebendig und forderten entsprechende Gaben. Werden sie vernachlässigt, so können die Konsequenzen drastisch ausfallen, etwa das Verlassen des Jagdglücks, das Auftreten von Krankheiten und sogar der Tod.
Da die Siedis Teil der sozialen Ordnung sind, gehört es zur Verantwortlichkeit der Individuen und der sozialen Gruppe sich um sie zu sorgen. Sie sind deshalb Symbol für den respektvollen Umgang mit der Natur, dem Land und den darin vorhandenen Ressourcen, die zur Lebenserhaltung benötigt werden[3]. Weiters können sie auch zur Kontaktaufnahme mit den vorchristlichen Göttern dienen, wie etwa der Ukonkivi am Inarisee, der dem Gott des Donners geweiht war.
Wie die finnische Archäologin Tiina Äiskäs in ihrem Buch[4] über die Sieidis ausführt, reicht die Nutzung der Sieidis als Opferstätte trotz Missionierung und der damit verbundenen Kriminalisierung der Opferstätten der Samen bis in die Gegenwart, allerdings jeweils unter jeweils veränderten sozialhistorischen und spirituellen Voraussetzungen. So gibt es Berichte, die nahelegen, dass in einer Übergangszeit vom Schamanismus zum christlichen Glauben (und darüber hinaus) parallel sowohl der christlichen Kirche als auch dem Sieidi Opfer dargebracht wurden. Archäologische Funde belegen, dass bis etwa in die Mitte des 17. Jahrhunderts vorrangig Tierknochenen als Opfer dargebracht wurden, für später datierte Gaben aber zunehmend Münzen verwendet wurden. Funde, die aus dem 20. und 21. Jahrhundert stammen, umfassen darüber hinaus Teelichter, persönliche Gegenstände und Zweigbüschel. Dabei sind die Grenzen zwischen touristischen Gepflogenheiten und neoschamanistischen bzw. neopaganistischen Praktiken oft fließend, viele der neuen Darbringungsformen verändern allerdings die Authentizität und das Aussehen der alten Stätten.
Weblinks
Einzelnachweise
- Encyclopädia of Saami Culture (Wiki). Abgerufen am 17. August 2017.
- Tiina Äikäs: From Fell Tops to Standing Stones. Sacred Landscapes in Northern Finland. Oulu 2011.
- Rauna Kuokkanen: Reshaping the university. Responsibilities, indigenous epistemes and the logic of the gift. UBC Press, Vancouver and Toronto 2007, ISBN 978-0-7748-1356-3.
- Tiina Äikäs: From Boulders to Fells – Sacred Places in the Sámi Ritual Landscape. In: Monographs of the Archaeological Society of Finland. Band 5, 2015, ISBN 978-952-67594-9-4.