Siegfried J. Schmidt

Siegfried Johannes Schmidt (* 28. Oktober 1940 i​n Jülich) i​st ein deutscher Philosoph u​nd Kommunikationswissenschaftler. Schmidt g​ilt als Vertreter d​es Konstruktivismus.

Signatur unter einer Widmung, 1994

Biografie

Schmidt besuchte d​ie Schulen i​n Essen. Er studierte a​b 1960 Philosophie, Germanistik, Linguistik, Geschichte u​nd Kunstgeschichte a​n den Universitäten Freiburg, Göttingen u​nd Münster. Dort w​urde er 1966 m​it einer Arbeit über d​en Zusammenhang v​on Sprache u​nd Denken v​on Locke b​is Wittgenstein b​ei Hermann Lübbe u​nd Peter Hartmann promoviert. Seit 1965 arbeitete e​r bereits a​ls wissenschaftlicher Assistent a​m Philosophischen Seminar d​er TH Karlsruhe. Schmidt habilitierte s​ich dort 1968 b​ei Simon Moser u​nd Peter Hartmann für Philosophie. 1971 berief i​hn die Universität Bielefeld a​uf eine Professur für Texttheorie, a​b 1973 für Theorie d​er Literatur. 1979 w​urde er Professor für Germanistik/Allgemeine Literaturwissenschaft a​n der Universität-Gesamthochschule Siegen, w​o er a​b 1984 d​as von i​hm mitbegründete Institut für Empirische Literatur- u​nd Medienforschung (LUMIS) leitete.[1] 1990 w​urde er a​ls ordentliches Mitglied i​n die Academia Europaea aufgenommen.[2]

Ab 1997 w​ar er Professor für Kommunikationstheorie u​nd Medienkultur a​n der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster u​nd von 1997 b​is 1999 s​owie von 2001 b​is 2002 Leiter d​es Instituts für Kommunikationswissenschaft.[3] Mit Ablauf d​es Wintersemesters 2005/2006 w​urde Schmidt emeritiert.

Schmidt i​st Herausgeber d​er Reihe „LUMIS“ s​owie von „DELFIN“. Neben seiner Lehr- u​nd Forschungstätigkeit arbeitet e​r auch a​ls Künstler i​m Bereich d​er visuellen Poesie. In Bielefeld organisierte e​r mit Klaus Ramm u​nd Jörg Drews d​as Bielefelder Colloquium Neue Poesie, e​in von 1978 b​is 2003 jährliches Treffen internationaler Dichter u​nd Künstler insbesondere a​us dem Umfeld d​er konkreten Poesie. 1979 kuratierte e​r anlässlich d​es 1.Lyrikertreffens Münster i​m Westfälischen Kunstverein zusammen m​it Thoma Deecke, Axel Marquardt, Lothar Jordan u​nd Manfred Sundermann d​ie Ausstellung Sprachen jenseits v​on Dichtung (Katalog).[4]

Werk

Allgemein

Schmidt g​ilt als Begründer d​er Empirischen Literaturwissenschaft.

Die Zielvorgaben einer empirischen Literaturwissenschaft lassen sich folgendermaßen kennzeichnen: Angestrebt wird Aufklärung im Sinne der Fähigkeit von Kritik und Selbstkritik, Selbstverantwortung und Rationalität; Solidarität als Reduktion der Herrschaft von Menschen über Menschen, als Reduktion von Wissens- und Wahrheitsterrorismus; Kooperativität als konfliktreduzierendes Interagieren und gemeinsames Problemlösen. Aus solchen Zielvorgaben folgt für wissenschaftliches Handeln, das dazu in seinem Handlungsbereich beitragen will, daß es explizit sein muß, systematisches Erfahrungmachen erlauben muß und intersubjektiv vermittelbar und überprüfbar sein muß. Außerdem muß es Anwendungsrelevanz für soziale und individuelle Bedürfnisse besitzen“ (Vom Text zum Literatursystem, S. 157).

Schmidt beschäftigt s​ich seit d​en 90er Jahren a​uch intensiv m​it Fragen d​er Kommunikations- u​nd Medientheorie.

Die traditionelle Unterscheidung zwischen medial vermittelten und medial unvermittelten Erfahrungen ist längst hinfällig geworden. Die Omnipräsenz von Medienangeboten verändert individuelle wie soziale Wirklichkeitskonstruktionen, und sie verändert zugleich deren kategoriale Ordnung und Relevanzbewertung. [...] Wenn Referenz und Authentizität primär Medienprobleme sind, dann wird das Wissen zentral und nicht die Objekte. Medienkultur kann aber gerade die Konstruktivität von Kognition und Kommunikation ebenso bewußtmachen wie unsere unteilbare Verantwortung für den Umgang mit Medien“ (Medien, Kultur: Medienkultur, S. 447).

Schmidt i​st auch e​in engagierter Vertreter d​es soziokulturellen Konstruktivismus.

Das „integrative Medienmodell“

In seinem 2000 erschienenen Buch „Kalte Faszination. Medien, Kultur, Wissenschaft in der Mediengesellschaft“ versucht Schmidt ein integratives Medienmodell zu entwickeln (zum Folgenden: Schmidt 2000, 94–104). Ein solches Modell ist nach Ansicht Schmidts notwendig, weil die zwei großen Denkrichtungen der Medienwissenschaft, der technikzentrierte und der anthropologische Ansatz, so unterschiedliche Grundannahmen hätten. Mit seinem Modell möchte Schmidt die Vorteile beider Richtungen in einem komplexen und kohärenten Medienmodell vereinen. Als theoretischer Unterbau dienen ihm vor allem der Konstruktivismus und die Luhmann'sche Systemtheorie. Schmidt unterscheidet Medien in semiotische Kommunikationsinstrumente, Medientechnologie, sozialsystemische Institutionalisierung sowie die Medienangebote. Unter semiotischen Kommunikationsinstrumenten versteht er materielle Gegebenheiten, die von Dauer und wiederholbar sind und gesellschaftlich-strukturelle Kopplungen beinhalten (z. B. gesprochene Sprache, Bilder, Schrift, Töne). Medientechnologien beeinflussen nach Schmidt die Produktion und Reproduktion. Der Umgang mit den Medientechnologien wird den Menschen durch Sozialisation beigebracht. Die Tatsache, dass die Durchsetzung eines Kommunikationsmittels an soziale Institutionen gebunden ist (z. B. Schule), benennt Schmidt als sozialsystemische Institutionalisierung. Die Medienangebote sind nach Schmidt von den drei anderen Aspekten geprägt. Schmidt betrachtet weiter die Möglichkeit von Beziehungsverhältnissen zu Medien. Demnach sind Medien vom Menschen abhängig, wirken durch den Nutzer und sind sonst funktionslos. Einzelne Nutzer verfügen jedoch nicht über die Medien, sondern lediglich viele Mediennutzer als Kollektiv. Weiterhin betont Schmidt, dass Menschen mit Medien nur das machen können, was die Medien im Rahmen der vier Komponentendimensionen (semiotische Kommunikationsinstrumente etc.) erlauben. Schließlich geht Schmidt noch näher auf die Wirkungen von Medien ein. Er unterscheidet zwischen der Wirkung einzelner Medienangebote, der Wirkung diskursiver Systeme, der Wirkung die aus technisch-medialen Dispositiven resultiert und der Wirkung durch Veränderung der Kommunikations-, Kommunalisierungs- und Beobachtungsverhältnisse in Gesellschaften. Eine besondere Rolle nimmt in Schmidts Medienmodell die natürliche Sprache ein. Sie gilt für ihn als Prototyp von Kommunikationsinstrumenten und ist Teil der Medien, kein selbständiges Medium. Vielmehr werde die natürliche Sprache von Medientechnologien aufgegriffen.

Publikationen

  • Passagen - Transitions - Hyper. Ritter Verlag, Klagenfurt, 2014, ISBN 978-3-85415-504-1.
  • dem leben aus dem wege gehen — gedichte. Shoebox House Verlag, Hamburg 2013, ISBN 978-3-941120-13-6.
  • Siegfried J. Schmidt Lesebuch. Zusammengestellt vom Autor selbst. Mit einem Nachwort von Karl Riha. (Nylands Kleine Westfälische Bibliothek Band 30). Aisthesis Verlag, Bielefeld 2012, ISBN 978-3-89528-892-0.
  • Literary Studies from Hermeneutics to Media Culture Studies. CLCWeb: Comparative Literature and Culture 12.1 (2010), doi:10.7771/1481-4374.1569
  • Die Endgültigkeit der Vorläufigkeit. Prozessualität als Argumentationsstrategie. Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2010.
  • das projekt. Ritter Verlag, Klagenfurt, 2010.
  • Beobachtungsmanagement. Über die Endgültigkeit der Vorläufigkeit. Audio-CD, 80 Minuten und Booklet, 8 Seiten. supposé, Köln 2007, ISBN 978-3-932513-79-4.
  • mit G. Zurstiege: Kommunikationswissenschaft. Systematik und Ziele. Rowohlt, Reinbek 2007.
  • Zwischen Platon und Mondrian. Ritter Verlag, Klagenfurt 2005.
  • Medien und Emotionen. LIT-Verlag. Münster 2005.
  • Unternehmenskultur. Die Grundlage für den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen. Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2004.
  • (Hrsg.): Handbuch Werbung. Münster 2004.
  • Geschichten & Diskurse. Abschied vom Konstruktivismus. Rowohlt, Reinbek 2003.
  • Erfahrungen. Ritter Verlag, Klagenfurt, 2002.
  • Kalte Faszination. Medien, Kultur, Wissenschaft in der Mediengesellschaft. Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2000, ISBN 3-934730-20-5.
  • mit Guido Zurstiege (Hrsg.): Orientierung Kommunikationswissenschaft. 2000.
  • mit Gebhard Rusch (Hrsg.): Konstruktivismus in Psychiatrie und Psychologie. Delfin 1998/99.
  • mit Hans R. Fischer (Hrsg.): Wirklichkeit und Welterzeugung. In memoriam Nelson Goodman. 2000.
  • Die Zähmung des Blicks. Konstruktivismus – Empirie – Wissenschaft. 1998.
  • Schmidt, Siegfried J. Das Latemar-Projekt. Bozen, Innsbruck ; Wien: EdSturzflüge, Studien-Verl, 1998. Print.
  • mit Gebhard Rusch (Hrsg.): Konstruktivismus in der Medien- und Kommunikationswissenschaft. DELFIN 1997.
  • mit Olaf Breidbach und Gebhard Rusch (Hrsg.): Interne Repräsentationen. Neue Konzepte der Hirnforschung. DELFIN 1996.
  • mit Klaus Merten und Siegfried Weischenberg: Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft. 1994.
  • Kognitive Autonomie und soziale Orientierung. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1994.
  • Der Kopf, die Welt, die Kunst. Konstruktivismus als Theorie und Praxis. 1993.
  • Kognition und Gesellschaft. Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus 2. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1992.
  • Gedächtnis. Probleme und Perspektiven der interdisziplinären Gedächtnisforschung. 1991.
  • Die Selbstorganisation des Sozialsystems Literatur im 18. Jahrhundert. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1989.
  • (Hrsg.): Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1987.
  • Nachruf: Zum Ableben der Konkreten Dichtung, Mit einem Kapitel über Konzept-Literatur, in: Sprachen jenseits von Dichtung (Katalog), Münster 1979
  • Bedeutung und Begriff. Zur Fundierung einer sprachphilosophischen Semantik. Vieweg, Braunschweig 1969.

Einzelnachweise

  1. 1034 – Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt, Westfälisches Literaturarchiv, abgerufen am 6. Januar 2012.
  2. Mitgliederverzeichnis: Siegfried J. Schmidt. Academia Europaea, abgerufen am 17. Juli 2017 (englisch).
  3. Geschichte – Leiter des IfK, Institut für Kommunikationswissenschaft, Website der Universität Münster, abgerufen am 6. Januar 2012.
  4. Das Lyrikerteffen Münster. Stadt Münster, abgerufen am 4. Mai 2017 (deutsch).
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