Serielles Intervall
Das serielle Intervall (engl. serial interval[1]) bezeichnet in der Epidemiologie von Infektionskrankheiten den zeitlichen Abstand zwischen analogen Phasen einer Erkrankung bei zwei aufeinander folgenden Gliedern einer Infektkette, also von Generation n nach Generation n+1. Die Symptome einer Infektionskrankheit lassen sich in der Regel besser datieren als etwa die Infektion oder der Beginn der Infektiosität. Daher wird das serielle Intervall meist nach der Symptomatik bestimmt, beispielsweise als zeitlicher Abstand zwischen dem Beginn der Symptomatik (klinischer „Erkrankung“) einer Person nach Ablauf der Inkubationszeit und dem Symptombeginn bei einer von ihr infizierten Person der nächsten Generation der Infektkette. Die Bestimmung erfolgt durch Beobachtung einer Infektionskette nach Möglichkeit unter kontrollierten Bedingungen, etwa in einem Krankenhaus. Das serielle Intervall misst in solchen Fällen also – unter Annahme mittlerer Inkubationszeiten – die Zeit zwischen dem Ausbruch der Krankheit in aufeinanderfolgenden Generationen infizierter Personen.[2]
Dagegen ist Generationszeit (engl. generation time[1]) ein Begriff, der die Zeit zwischen der Infektion einer Person und dem Zeitpunkt der Sekundärinfektion einer von ihr angesteckten Person bezeichnet. Der Infektionszeitpunkt kann aber meist nicht genau bestimmt werden, so dass als Näherung für die Generationszeit das leichter zu ermittelnde serielle Intervall genutzt wird.[3]
Die Länge des seriellen Intervalls ist verschieden von der Inkubationszeit – der Zeit von der Ansteckung bis zum Beginn der Erkrankung (Auftreten erster Symptome). Die betreffende Person kann ggf. den Erreger schon weitergeben, selbst wenn noch keine Krankheitssymptome festzustellen sind. Dann ist die Latenzzeit kürzer als die Inkubationszeit. Dies ist beispielsweise häufig der Fall bei COVID-19.[4] Genauso kann eine infizierte Person nach einiger Zeit nicht mehr infektiös sein, auch wenn noch Krankheitssymptome vorhanden sind. Im Allgemeinen ist das serielle Intervall länger als die Inkubationszeit.[4]
Das Minimum der beobachteten seriellen Intervalle gibt einen Hinweis darauf, wie lang die präinfektiöse Phase ist, also der Zeit zwischen Infektion und Beginn der Infektiosität.[2] Damit kann indirekt bestimmt werden, ab wann eine infizierte Person ansteckend ist.
Das serielle Intervall hat sehr unterschiedliche Längen. Bei einigen chronisch verlaufenden Infektionskrankheiten wie Herpes und HIV ist es sehr groß. Für COVID-19 wurde es nach einer Studie von Beginn 2020 (425 Patienten aus China) auf 7,5 Tage (Standardabweichung 3,4 Tage) geschätzt.[5] Andere Studien kommen auf deutlich kürzere Werte. Nach einer anderen Studie basierend auf 28 Fällen wird es auf vier Tagen geschätzt.[4] Auch eine Studie mit 468 bestätigten Infektionspaaren aus ganz China im Januar/Februar 2020 kam auf ein serielles Intervall von im Mittel 3,96 (95-Prozent-Konfidenzintervall 3,53 bis 4,39 Tage, Standardabweichung 4,75 Tage).[6] Dabei waren auch 59 Fälle, in denen die Symptome beim Infizierten früher auftraten als bei der infizierenden Person (12,6 Prozent der Fälle). Bei SARS betrug es 8,4 Tage (Standardabweichung 3,8) bei einer Auswertung von Fällen aus Singapur, war aber für Fälle am Anfang der Epidemie, als noch keine strengen Maßnahmen in Kraft waren, höher (Wert von 10), so dass es insgesamt auf 8 bis 12 geschätzt wurde.[7]
Der Vergleich der Anzahl von Neuinfektionen über zwei aufeinanderfolgende Generationszeiten wird zur Abschätzung der Reproduktionszahl einer Epidemie verwendet.[8] Für die Generationszeit bzw. deren Annäherung durch das serielle Intervall wird in der Epidemiologie bei genauerer Behandlung auch eine zeitliche Verteilungsfunktion benutzt und es ergeben sich verschiedene Zusammenhänge zwischen Reproduktionszahl R und Wachstumsrate r je nach Wahl der Verteilungsfunktion (siehe Euler-Lotka-Gleichung). Diese bildet insbesondere die unterschiedliche Infektiosität im zeitlichen Verlauf der infektiösen Periode ab. Die Generationszeit kann sich auch zeitlich ändern, wenn Maßnahmen zum Beispiel zur Kontaktsperre oder Isolation ergriffen werden, denn dann nimmt nicht nur die Anzahl der Folgeinfektionen ab, sondern es verkürzt sich auch die Generationszeit da in diesem Fall die meisten Ansteckungen am Anfang der Infektion erfolgen.[8]
Einzelnachweise
- John Last (Hrsg.), A Dictionary of Epidemiology, IEA, Oxford UP 2001, S. 167
- Kenneth J. Rothman, Sander Greenland, Timothy Lash, Modern Epidemiology, 3. Auflage, Lippincott 2008, S. 560. Assuming average incubation periods, the serial interval reflects the amount of time elapsed between exposure from one generation of spread to the next.
- Luca Ferretti u.a., Quantifying SARS-CoV-2 transmission suggests epidemic control with digital contact tracing, Science, 32. März 2020
- SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), Robert Koch-Institut, 23. März 2020
- Qun Li u. a.: Early Transmission Dynamics in Wuhan, China, of Novel Coronavirus–Infected Pneumonia Preprint, New England Journal of Medicine, 29. Januar 2020, abgerufen 25. März 2020
- Zhanwei Du, Lin Wang, Lauren Meyers u. a.: The serial interval of COVID-19 from publicly reported confirmed cases], Preprint, CDC Emergent Effective Diseases Research Letter 2020, CDC, Abstract. Abgerufen am 25. März 2020
- M. Lipsitch, M. Murray u. a.: Transmission Dynamics and Control of Severe Acute Respiratory Syndrome, Science, Band 300, 2003, S. 1966–1970, PMID 12766207
- Schätzung der aktuellen Entwicklung der SARS-CoV-2-Epidemie in Deutschland - Nowcasting, Epidemiologisches Bulletin 17/2020, Robert-Koch-Institut. 23. April 2020, Auswertung des Reproduktionsfaktors der COVID-19-Pandemie in Deutschland bis 9. April.