Schwarze Musik
Schwarze Musik, Dark Music, Dark Alternative Music und Indie-Dancefloor sind seit den 1990er Jahren gebräuchliche Sammelbezeichnungen für die in der Schwarzen Szene rezipierte Musik.
Begriffsentstehung
Die Bezeichnungen entstanden nach der Lösung der Schwarzen Szene aus dem Kontext des Dark Wave und der zunehmenden Bedeutung bis dahin untypischer Musikformen. Nach Nym assimiliert die Schwarze Szene annähernd jede Musikästhetik, wodurch die zuvor identitätsstiftenden Musikstile ihre Bedeutung zur Vergemeinschaftung der Szene verloren.[1] „Die deutlich erkennbare Diversifikation innerhalb des Spektrums 'Schwarzer Musik' ist […] schon früh und ohne eine bewusste Planung eingetreten, schlicht bedingt durch künstlerischen Output und individuelle Hörvorlieben.“ (Judith Platz: Die Schwarze Musik)[2] Innerhalb der Szene führte diese Entwicklung zu einer Spezialisierung und Differenzierung in unterschiedliche Richtungen. Die musikalische Entwicklung wurde einerseits mit diversen Begriffen wie Schwarze Musik oder Dark Music zusammengefasst, andererseits jedoch auch unter Stilbezeichnungen zuvor populärer Genre subsumiert.
Begriffe
Bereits früh wurde die Bezeichnung „Gothic“ vor allem von Außenstehenden mehrfach bedeutungsgleich zu „Schwarze Szene“ in Gebrauch. Die jedoch mit der Post-Punk- und Wave-Bewegung verknüpfte Gothic-Subkultur stellt nur einen Bruchteil des gesamten Spektrums der Schwarzen Szene dar.[3] Vor diesem Hintergrund ist die Nutzung als Synonym umstritten und wird innerhalb der Schwarzen Szene kontrovers diskutiert,[4] bedingt jedoch ebenso einen heterogenen Gebrauch des Begriffs Gothic. Eine Abgrenzung wird mitunter durch den häufigen Gebrauch des Begriffes „Gothic“ in der Musikpresse und internationale Unterschiede in der Begriffsnutzung erschwert.[5] Hierbei entstanden erste Fremdnutzungen des Begriffs als Sammelbezeichnung, die sich bei ähnlichen Stilbegriffen innerhalb der Szene wiederfanden. Dem Entgegen bemühten sich einige Szenechronisten und -akteure das Spektrum der in der Gemeinschaft rezipierten Musik mit teils neu geschaffenen Sammelbezeichnungen zu erfassen.
Fremdnutzungen
Trotz der Entstehung unterschiedlicher Sammelbezeichnungen, werden auch bereits bestehende und ausdifferenzierte Begriffe in der Szene umgedeutet und synonym für weitere rezipierte Musikformen genutzt. Stilbezeichnungen wie Gothic Metal,[6] Gothic, Wave, EBM und Industrial[7] werden so synonym für neuere Musikformen der Szene wie Aggrotech, Rhythm ’n’ Noise, Dark Rock, Synth Rock oder Symphonic Metal genutzt. So wird Technoid geprägte Musik häufig als EBM oder, sodenn sie mit Distortionseffekten und Samples präsentiert wird, als Industrial bezeichnet.[7][8] Als Gothic Rock wird häufig die Gesamtheit der in der Szene rezipierten Rockmusik benannt, als Gothic Metal hingegen das Äquivalent im Spektrum des Metals,[6][9] als Industrial Rock Teile des in der Szene rezipierten Synth Rocks. Ein direkter Zusammenhang zu den ursprünglich mit diesen Begriffen bezeichneten Stilen besteht indes nur selten. Lederer spricht daher von einer Tendenz in der Schwarzen Szene, „Genrebegriffe wahllos oder falsch zu gebrauchen[.]“ (Stefan Lederer:Industrial)[10] Bereits 1995 beklagte Jochen Kleinherz im Hinblick auf den Industrial Rock, dass der Stilbegriff Industrial als „Aufkleber auf Tonträgern, die die übelste Sorte Bickermucke transportieren,“ gebräuchlich sei.[11] Neben Industrial gilt insbesondere der Terminus Gothic als häufig fehlbesetzt. Er werde, so Nym, von Musikjournalisten, ohne eine Verbindung zur entsprechenden Subkultur oder Musik herzustellen, als Suprabegriff für die gesamte Szenemusik genutzt.[5]
Sammelbezeichnungen
Zur Abgrenzung derart vereinnahmter Stilbegriffe und zur vereinheitlichenden Darstellung des gesamten rezipierten musikalischen Spektrums nutzten Nym,[1] Rutkowski[12] sowie Platz[13] den Begriff Schwarze Musik. Platz fasst es als „nicht möglich“ zusammen, jenseits des Terminus Schwarze Musik einen umfassenden Oberbegriff für die Musik festzulegen.[14] Die Bezeichnungen Dark Music und Dark Alternative Music sind verstärkt im englischen Sprachraum für die Musik der Schwarzen Szene verbreitet.[15] Der Ausdruck Indie-Dancefloor hingegen leitete sich vom Ausdruck Independent ab und wurde zu Beginn der 1990er durch die Samplerreihe We Came to Dance als zeitweiliges Synonym für Schwarze Musik gebräuchlich, konnte sich jedoch nicht langfristig als allgemeingültiger Oberbegriff durchsetzten.
Entwicklung
In der Entwicklung der Schwarzen Musik bildeten sich zu Beginn der 1990er Jahre „neue musikalische Substile heraus, die sich durch Verwendung klassischer, sakraler oder auch elektronischer Stilmittel von den bisherigen Strömungen […] unterschieden.“ (Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen: Kinder und Jugendliche an der Schwelle zum 21. Jahrhundert zitiert nach Rutkowski)[16] Der Crossover- und Alternative-Hype der 1990er Jahre bedingte in der Szene zunehmende Umwälzungen und Einflussnahmen. Insbesondere Metal und Techno flossen in die rezipierten Musikstile der Schwarzen Szene ein und verdrängten zum Teil bestehende Genres. Gothic Metal begründete als eine der ersten Stilhybriden aus Dark Wave und Metal eine zunehmende Öffnung gegenüber neuen musikalischen Einflüssen innerhalb der Szene.[17][18] Der Gothic-Metal-Trend war nur von kurzer Dauer und wurde zum Teil von Musikern und Szeneänhängern kritisiert. Er bildete jedoch ab Mitte der 1990er Jahre den Nährboden für eine fließend in den Dark Metal, Dark Rock und Symphonic Metal übergehende Anhängerschaft innerhalb der Schwarzen Szene.[19]
Ähnliche Entwicklungen und Einflussnahmen fanden seit den 1990er Jahren mehrfach statt. Unter dem Einfluss des Metal wurden unter anderem Neue Deutsche Härte, Teile des Alternative-, Dark- und Symphonic-Metal zu Bestandteilen der Schwarzen Musik. Der wachsende Techno-Einfluss begründete im Synthie-Pop- und Electro-Umfeld die Herausbildung des Aggrotech und des Future Pop.[20] Weitere Musikstile folgten dieser Entwicklung nach und neben der stetigen Weiterentwicklung alter und neuer Stile führten die Einflussnahmen auch zur Vereinnahmung szenefremder Musik im Rahmen szenetypischer Stereotype.[21][22] Unterdessen blieben Interpreten, die sich aus den Stilen der Szene heraus entwickelten, Teil der von der Szene konsumierten Musik, wodurch eigentlich szeneuntypische Musik von Interpreten der Szene weiterhin zur Schwarzen Musik gerechnet wird. Die fortlaufende Entwicklung bis in die Gegenwart führte zu einem „heterogenem Eklektizismus“, welcher sich aus einer Fülle unterschiedlicher Musikstile nährt.[20] Gemein blieb den Interpreten der Schwarzen Musik nach Nym die „Vorliebe für das Morbide, Abseitige und Makabre“.[20] Thomas Rainer von L’Âme Immortelle sieht die Gemeinsamkeit der Schwarzen Musik unabhängig von der musikalischen Grundform und ergänzt, dass wenn sich die Untermalung ändere, „die schwarze Musik aller Generationen doch immer eins vereinen [wird]: dunkle Poesie, die von Sehnsucht, Liebe und dem Tod erzählt.“[23] Neben den verschiedenen Musikstilen des Dark Wave und Post-Industrials, welche als Urstile der Szene gelten, subsumiert der Begriff Schwarze Musik bis in die Gegenwart die unterschiedlichen Musikgruppen und -genre, welche in der Szene rezipiert werden. Hierunter fallen sowohl Musikstile wie Gothic Metal, Neue Deutsche Härte und Industrial Rock, welche zumindest teilweise der Szene entsprangen, als auch Szeneinterpreten aus gänzlich szenefremden Musikstilen wie Techno, Dark Metal und Alternative, wobei die Zurechnung zur Szene auf lyrischen, ästhetischen sowie subkulturellen Stereotypen beruht.[24][7]
Einzelnachweise
- Alexander Nym: Die Wiedergänger. In: Alexander Nym (Hrsg.): Schillerndes Dunkel: Geschichte, Entwicklung und Themen der Gothic-Szene. Plötter Verlag, Leipzig 2010, ISBN 978-3-86211-006-3, S. 142–143, hier 142.
- Judith Platz: Die schwarze Musik. In: Axel Schmidt, Klaus Neumann-Braun (Hrsg.): Die Welt der Gothics. Spielräume düster konnotierter Transzendenz. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004, ISBN 3-531-14353-0, S. 253–284, hier 257.
- Roman Rutkowski: Das Charisma des Grabes. Books on Demand, Norderstedt 2004, ISBN 3-8334-1351-4, S. 51.
- Roman Rutkowski: Das Charisma des Grabes. Books on Demand, Norderstedt 2004, ISBN 3-8334-1351-4, S. 18.
- Alexander Nym: Schillerndes Dunkel. Geschichte, Entwicklung und Themen der Gothic-Szene. Hrsg.: Alexander Nym. 2010, ISBN 978-3-86211-006-3, Die Gothic-Szene gibt es nicht, S. 13–15.
- Stefan Gnad: Gothic Metal. In: Alexander Nym (Hrsg.): Schillerndes Dunkel. Geschichte, Entwicklung und Themen der Gothic-Szene. 1. Auflage. Plöttner Verlag, Leipzig 2010, ISBN 978-3-86211-006-3, S. 189–199, hier S. 196.
- Stefan Lederer: Industrial und andere Irrtümer. In: Alexander Nym (Hrsg.): Schillerndes Dunkel. Geschichte, Entwicklung und Themen der Gothic-Szene. 1. Auflage. Plöttner Verlag, Leipzig 2010, ISBN 978-3-86211-006-3, S. 242–246, hier S. 242.
- debug: Durch die Nacht mit Marcel Dettmann. de:bug Magazin, abgerufen am 26. August 2016.
- Wolf Röben: History. In: Sonic Seducer (Hrsg.): Starfacts. 15 Jahre Gothic Metal. Nr. 6. T.Vogel Musikzeitschriftenverlag, Oberhausen 2005, S. 4.
- Stefan Lederer: Industrial und andere Irrtümer. In: Alexander Nym (Hrsg.): Schillerndes Dunkel. Geschichte, Entwicklung und Themen der Gothic-Szene. 1. Auflage. Plöttner Verlag, Leipzig 2010, ISBN 978-3-86211-006-3, S. 242–246, hier S. 244.
- Jochen Kleinherz: Industrial Music for Industrial People. In: Martin Büsser, Jochen Kleinherz, Jens Neumann, Johannes Ullmaier (Hrsg.): testcard: Beiträge zur Popgeschichte. Pop und Destruktion. Nr. 1. Ventil Verlag, Mainz 1995, ISBN 978-3-931555-00-9, S. 88–99, hier S. 91.
- Roman Rutkowski: Das Charisma des Grabes. Book on Demand, Norderstedt 2004, ISBN 3-8334-1351-4, S. 68.
- Judith Platz: Die schwarze Musik. In: Axel Schmidt, Klaus Neumann-Braun (Hrsg.): Die Welt der Gothics. Spielräume düster konnotierter Transzendenz. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004, ISBN 3-531-14353-0, S. 253–284, hier 253.
- Judith Platz: Die schwarze Musik. In: Axel Schmidt, Klaus Neumann-Braun (Hrsg.): Die Welt der Gothics. Spielräume düster konnotierter Transzendenz. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004, ISBN 3-531-14353-0, S. 253–284, hier 261.
- Liisa Ladouceur, Gary Pullin: Encyclopedia Gothica. 2011, S. 239.
- Roman Rutkowski: Das Charisma des Grabes. Book on Demand, Norderstedt 2004, ISBN 3-8334-1351-4, S. 61.
- Thomas Vogel: Interview mit der ehemaligen Gothic-Metal-Band Paradise Lost. In: Sonic Seducer. 1995, S. 30.
- Stefan Gnad: Gothic Metal. In: Alexander Nym (Hrsg.): Schillerndes Dunkel. Geschichte, Entwicklung und Themen der Gothic-Szene. 1. Auflage. Plöttner Verlag, Leipzig 2010, ISBN 978-3-86211-006-3, S. 189–199, hier S. 193 ff.
- Stefan Gnad: Gothic Metal. In: Alexander Nym (Hrsg.): Schillerndes Dunkel. Geschichte, Entwicklung und Themen der Gothic-Szene. 1. Auflage. Plöttner Verlag, Leipzig 2010, ISBN 978-3-86211-006-3, S. 189–199, hier S. 196 f.
- Alexander Nym: Die Gothic-Szene gibt es nicht. In: Alexander Nym (Hrsg.): Schillerndes Dunkel: Geschichte, Entwicklung und Themen der Gothic-Szene. Plötter Verlag, Leipzig 2010, ISBN 978-3-86211-006-3, S. 13–15, hier S. 13.
- Hans Wanders: The Wonderful and frightening World of… In: Andreas Speit (Hrsg.): Ästhetische Mobilmachung. Unrast Verlag, Hamburg 2002, S. 23–68, hier S. 38.
- Judith Platz: Die schwarze Musik. In: Axel Schmidt, Klaus Neumann-Braun (Hrsg.): Die Welt der Gothics. Spielräume düster konnotierter Transzendenz. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004, ISBN 3-531-14353-0, S. 253–284, hier 282.
- Thomas Rainer: Lieder die wie Wunden bluten. In: Peter Matzke, Tobias Seeliger (Hrsg.): Gothic! Die Szene in Deutschland aus der Sicht ihrer Macher. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2000, ISBN 3-89602-332-2, S. 73–78, hier S. 77.
- Stefan Gnad: Gothic Metal. In: Alexander Nym (Hrsg.): Schillerndes Dunkel. Geschichte, Entwicklung und Themen der Gothic-Szene. 1. Auflage. Plöttner Verlag, Leipzig 2010, ISBN 978-3-86211-006-3, S. 189–199, hier S. 196 ff.