SSK Sozialistische Selbsthilfe Köln
Die Sozialistische Selbsthilfe Köln, abgekürzt SSK, wurde 1969 als studentisches Projekt „Sozialpädagogische Sondermaßnahmen Köln“ ins Leben gerufen, um der großen Zahl obdachloser Jugendlicher in Köln eine Anlaufstelle und Perspektive zu bieten.[1] Ein vergleichbares und ebenfalls noch bestehendes Vereinsprojekt entstand als „sozialpädagogische sondermaßnahmen berlin“ (ssb e.V.) nahezu zeitgleich im damaligen West-Berlin (Drugstore (Berlin), Tommy-Weisbecker-Haus).[2]
Aus den „reformpädagogischen“ Anfängen entwickelten sich mehrere lose miteinander verbundene und als eingetragene Vereine organisierte Gruppen in überwiegend besetzten Häusern, die mit radikalen Ansätzen Missstände in Heimen, Psychiatrien und auf dem Wohnungsmarkt bekämpften und den eigenen Unterhalt durch Gebrauchtmöbelläden und Möbeltransporte finanzierten. 1975 erfolgte die Umbenennung in „Sozialistische Selbsthilfe Köln“ unter Beibehaltung des gebräuchlichen Kürzels. Nach den von der Gruppierung mitbewirkten Psychiatrie- und Heimreformen und dem Umdenken von der „Abrisssanierung“ zu einer „behutsamen Stadterneuerung“ fehlten die großen Themen, so dass dieser Ansatz einer gemeinschaftlichen Wohn- und Arbeitsform stark rückläufig geworden ist.
Sozialpolitische Themen
Heimerziehung
1972 eröffnete der SSK ein erstes „Kontaktzentrum für entflohene Heimzöglinge“. Weitere improvisierte Anlauf- und Aufnahmestellen in angemieteten Wohnungen oder besetzten Häusern folgten. Die unbegrenzte Aufnahme obdachloser Jugendlicher und die Weigerung, bei einer Rückführung in die Heimerziehung mitzuwirken, führten zu teilweise militant ausgetragenen Konflikten mit den Behörden. Diese beruhigten sich nur schrittweise, insbesondere, seit der Kölner Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll den Verein „Helft dem SSK“ initiierte und dem Verein ein Haus schenkte, in dem heute der SSK Ehrenfeld zu Hause ist. Es folgten Anerkennungen und Finanzierungen von Kontaktzentren. Seit der Umbenennung in „Sozialistische Selbsthilfe Köln“ 1975 verzichtet der SSK auf jede öffentliche Förderung.[3]
Psychiatrie (Landschaftsverbände)
1977 gründet der SSK das „Beschwerdezentrum - Initiative gegen Verbrechen in Landeskrankenhäusern“. Die Vorwürfe, Patienten aus finanziellen Gründen mit fragwürdigen Gutachten nahezu unbegrenzt festzuhalten und mit Medikamenten ruhigzustellen, richteten sich vor allem gegen die Landschaftsverbände in Nordrhein-Westfalen, die Hauptbehörden für Erziehungsheime und psychiatrische Anstalten. Die Vorwürfe basierten auf Berichten entflohener und teilweise auch aktiv „befreiter“ Insassen. Es waren die insbesondere die Fälle von offensichtlich gesunden Menschen, die eine lange Heimkarriere hinter sich hatten, die als „Psychiatrieskandale“ Veränderungen und schließlich eine große Psychiatriereform bewirkten.[4][5]
Abrisssanierung
Neben der Betreuung von obdachlosen Jugendlichen wurde der Kampf gegen die Abrisssanierung von innenstadtnahen Altbauvierteln und damit für den Erhalt von bezahlbarem Wohnraum ein weiterer Bestandteil im Aufgabenfeld der SSK-Gruppen. Am Salierring wurde die „Wohnraum-Verteidigungs-Initiative“, später „Wohnraum-Rettungs-Gesellschaft“, gegründet. In den 1970er und 1980er Jahren waren in Köln zeitweise knapp 100 Häuser besetzt und teilweise später legalisiert; insgesamt die spekulative Zerstörung von billigem Wohnraum gestoppt.[6]
Sozialhilfe
Sozialhilfeberatung und Hilfe bei Durchsetzung von Ansprüchen in den Sozialämtern sind bis heute ein durchgehendes Angebot der SSK-Gruppen. Dabei geht es um das selbständige und selbstbestimmte Leben in der eigenen Wohnung unabhängig vom Alter und gesundheitlichen Beeinträchtigungen.[7]
Gruppen in Köln
Gruppen außerhalb von Köln
- Dortmunder Selbsthilfe e.V. (DSH)
- Bielefelder Selbsthilfe e.V. (BIS)[10]
Literatur
- Gothe, Lothar; Kippe, Rainer, Aufbruch – 5 Jahre Kampf des SSK – Von der Projektgruppe für geflohene Fürsorgezöglinge über die Jugendhilfe zur Selbsthilfe verelendeter junger Arbeiter, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1975
- Schölzel-Klamp, Martha; Köhler-Saretzki, Thomas, Das blinde Auge des Staates – Die Heimkampagne von 1969 und die Forderungen der ehemaligen Heimkinder, S. 92ff, Bad Heilbrunn, 2010 (ISBN 978-3-7815-1710-3), auch googlebooks
- R. Schmidt, A. Schulz, P. von Schwind (Hg.): „Die Stadt, das Land, die Welt verändern! Die 70er/80er Jahre in Köln – alternativ, links, radikal, autonom“. Köln (Kiepenheuer & Witsch), 2015
Einzelnachweise
- „Trebegänger - In Heimen können sie nicht leben“ DIE ZEIT, 1. März 1974 (Printarchiv), abgerufen am 13. April 2013
- „sozialpädagogische sondermaßnahme berlin/Geschichte“ abgerufen am 14. Juli 2015
- LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte, Heimkinder und Heimerziehung in Westfalen 1945-1980, Münster 2010, abgerufen am 21. Mai 2013
- „Der Landschaftsverband und seine psychiatrischen Anstalten“, sozoline 07/2011, abgerufen am 1. Mai 2014
- Vortrag „35 Jahre Psychiatrie-Enquete“, abgerufen am 1. Mai 2014
- SSK: „Rückblick - Viertel im Wandel“ (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. , abgerufen am 1. Mai 2014
- „Zahltag XXL“, abgerufen am 1. Mai 2014
- Website SSK Salierring / SSK Ehrenfeld
- „30 Jahre SSM 1979 - 2009“, abgerufen am 1. Mai 2014
- Vortrag „Leben im Westen“ (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. , Neue Westfälische - nw online, abgerufen am 1. Mai 2014