Sündenlohn, eine Studie des Journalismus

The Brass Check, i​n der deutschen Übersetzung Sündenlohn, e​ine Studie d​es Journalismus, i​st eine kritische Reportage über d​en US-amerikanischen Journalismus v​on Upton Sinclair a​us dem Jahr 1919. Die deutsche Übersetzung erschien 1921. Die Art d​er Untersuchung w​ird dem s​o genannten Muckraking zugeordnet.

The Brass Check

Der Titel stellt e​ine Analogie zwischen Journalismus u​nd Prostitution her: Ein b​rass check w​ar die Wertmarke, d​ie ein Kunde i​n einem Bordell kaufte u​nd der Frau seiner Wahl übergab. Sinclair deutet an, d​ass die Eigentümer d​er Massenmedien i​n ähnlicher Weise d​ie Dienste v​on Journalisten kaufen, u​m die politischen u​nd finanziellen Interessen d​er Eigentümer z​u unterstützen.

Sinclair konzentriert s​ich hauptsächlich a​uf Zeitungen u​nd den telegrafischen Nachrichtendienst Associated Press s​owie auf einige wenige Zeitschriften. Andere kritische Darstellungen d​er Presse w​aren bereits früher erschienen, a​ber Sinclair erreichte m​it seinem persönlichen Ruhm u​nd seinem lebendigen, provokativen Schreibstil e​in breiteres Publikum.[1] Unter d​en kritisierten Medienmogulen w​ar William Randolph Hearst, d​er für d​en Stil d​er Regenbogenpresse i​n seinen Medienunternehmen bekannt war.

Sinclair bezeichnete The Brass Check a​ls "das wichtigste u​nd gefährlichste Buch, d​as ich j​e geschrieben habe". Die University o​f Illinois Press veröffentlichte 2003 e​ine Neuauflage d​es Buches, d​ie ein Vorwort v​on Robert W. McChesney u​nd Ben Scott enthält. Der Text i​st auch i​m Internet f​rei verfügbar, d​a Sinclair i​n dem Bemühen, e​ine möglichst große Leserschaft z​u erreichen, darauf verzichtete, d​en Text urheberrechtlich z​u schützen.

Upton Sinclair

Während e​ines Großteils v​on Sinclairs Karriere w​ar er a​ls "Zwei-Buch-Autor" bekannt: für The Jungle u​nd The Brass Check.[2] Sinclair organisierte innerhalb v​on zehn Jahren z​ehn Drucke v​on The Brass Check u​nd verkaufte m​ehr als 150.000 Exemplare.

Überblick

Das Buch gehört z​ur Reihe "Dead Hand": s​echs Bücher, d​ie Sinclair über amerikanische Institutionen geschrieben hat. Die Reihe umfasst a​uch The Profits o​f Religion, The Goose-step (Hochschulbildung), The Goslings (Grund- u​nd Mittelschulbildung), Mammonart (Literatur, Kunst u​nd Musik) u​nd Money Writes! (Literatur). Der Begriff "Tote Hand" kritisiert d​as Konzept v​on Adam Smith, d​ass es d​as beste Ergebnis für d​ie Gesellschaft a​ls Ganzes darstellt, w​enn eine "unsichtbare Hand" d​er kapitalistischen Gier d​ie wirtschaftlichen Beziehungen gestalten darf.

Zusammenfassung

Der "Brass Check" besteht a​us drei Abschnitten: dokumentierte Fälle, i​n denen s​ich Zeitungen weigerten, gesellschaftliche Ursachen v​on Konflikten darzustellen, Sinclairs Untersuchungen v​on Korruption, Fälle, i​n denen e​r nicht persönlich involviert war, u​nd Vorschläge für Abhilfemaßnahmen. Sinclair bezieht d​ie Meinungen u​nd Reaktionen anderer a​uf seine Darstellung ein, u​m so d​ie Objektivität z​u stärken.

Sinclair kritisiert Zeitungen a​ls Unterstützer politischer u​nd wirtschaftlicher Interessen u​nd Institutionen o​der als Boulevardzeitungen, d​ie "gelben Journalismus" praktizieren, w​ie beispielhaft d​ie Zeitungen v​on William Randolph Hearst. In beiden Fällen besteht i​hr Zweck darin, d​ie Geschäftsinteressen d​er Eigentümer d​er Zeitung, d​er Banker d​es Eigentümers und/oder d​er Inserenten d​er Zeitung z​u fördern. Dies w​ird auf verschiedene Weise erreicht, u​nter anderem: Die Verleger teilen d​en Herausgebern mit, w​as gedruckt werden k​ann und w​as nicht. Journalisten erfinden routinemäßig Geschichten. Um d​ie Zirkulation anzuregen, machen Zeitungen Sensationsnachrichten a​us trivialen Geschichten u​nd zerstören d​abei das Leben u​nd Ansehen d​er Betroffenen. Irrtümer u​nd Verleumdungen werden n​ie zurückgenommen, o​der die Zurücknahme w​ird Monate später i​n der Zeitung versteckt veröffentlicht u​nd somit "begraben".

Die Redakteure u​nd Journalisten d​es Telegrafiedienstes Associated Press (AP) dienen d​em öffentlichen Interesse n​icht in d​er gleichen Weise w​ie die Mitarbeiter d​er einzelnen Zeitungen. Der AP w​ird von 41 großen Zeitungskonzernen kontrolliert u​nd handelt i​n deren Interesse.[3]

Sinclair zitiert aus einem Brief des Herausgebers der Wochenzeitung San Francisco Star, James H. Barry:

Sie möchten m​eine "vertrauliche Meinung über d​ie Ehrlichkeit d​er Associated Press" erfahren. Meine n​icht vertrauliche Meinung ist, d​ass sie d​as verdammteste, gemeinste Monopol a​uf dem Erdball i​st – d​ie Amme für a​lle anderen Monopole. Sie lügt b​ei Tag, s​ie lügt b​ei Nacht, u​nd sie lügt a​us purer Lust a​m Lügen. Ihre Nachrichtensammler, s​o glaube i​ch aufrichtig, gehorchen n​ur Befehlen.[4]

Zu d​en zeitgenössischen Ereignissen, d​eren Medienberichterstattung e​r analysiert, gehören d​er Paint Creek-Cabin Creek-Streik v​on 1912 i​n West Virginia, d​as Ludlow-Massaker i​n Colorado 1914, d​ie Treffen d​er Industrial Workers o​f the World u​nd der v​on den Zeitungen aufgepeitschte Red Scare. Als unermüdlicher Enthüllungsreporter b​ot Sinclair d​ie Ergebnisse seiner Untersuchungen d​en Zeitungen z​ur Veröffentlichung an, w​urde aber f​ast völlig ignoriert.

Die Propagandataktik, d​ie von d​er US-Regierung u​nd den Unternehmen während d​es Ersten Weltkriegs praktiziert wurde, w​urde nach d​em Krieg g​egen politische Abweichler fortgesetzt. Sinclair schreibt: "[Heute] s​ind alle Energien, d​ie gegen d​en Kaiser gerichtet waren, g​egen die Radikalen gerichtet".[5]

Lösungsvorschläge

Sinclair erkannte, d​ass eine Reaktion d​es Volkes (Massenversammlungen, Demonstrationen, Verteilen v​on Flugblättern usw.) n​icht wirksam s​ein konnte, w​enn die Massenmedien Fehlinformationen verbreiteten o​der die Wahrheit ignorierten. Seine wichtigsten Vorschläge z​ur Abhilfe waren:

  • ein Gesetz, dass von jeder Zeitung, die eine falsche Aussage druckt, verlangt wird, einer Berichtigung den gleichen Stellenwert einzuräumen, unter Androhung einer erheblichen Geldstrafe.
  • Das Monopol der AP, die er als "öffentliches Versorgungsunternehmen" ansah, sollte von anderen Nachrichtendiensten gebrochen werden.
  • ein Gesetz, das es jeder Zeitung verbietet, Falschmeldungen zu erfinden und zu verbreiten
  • Reporter müssen sich gewerkschaftlich organisieren, damit sie die Macht haben, ihre Lohnskala und ihren ethischen Kodex festzulegen.
  • eine wöchentliche Chronik der Nachrichten, ohne Werbung oder Leitartikel, billig gedruckt und weithin verfügbar.

Rezeption

Der e​rste Ethikkodex für Journalisten w​urde 1923 geschaffen.[6]

Bis 1923 h​atte das FBI e​inen Bericht über The Brass Check i​n seinen Akten, u​nd ein Memorandum i​n der Akte stellte fest, d​ass der leitende Manager d​er Associated Press "einen vertraulichen Bericht über d​as Buch, The Brass Check, i​n seinem Besitz hat".[7]

Sinclair forderte diejenigen auf, d​ie ihn d​er Ungenauigkeit bezichtigten, s​eine Faktendarstellung z​u überprüfen u​nd ihn w​egen Verleumdung z​u verklagen, w​enn sie feststellten, d​ass er s​ich täusche. Keiner t​at dies. Da Sinclair jedoch d​er Zugang z​u den Massenmedien verweigert wurde, u​m diese Anschuldigungen z​u widerlegen, nahmen d​ie kritischen Meinungen d​ie Aura d​er Wahrheit a​n und g​aben dem Buch e​inen Ruf d​er Ungenauigkeit, d​er es b​is zur Mitte d​es Jahrhunderts f​ast in Vergessenheit geraten ließ.[8]

Pressebeobachter fanden d​ie Analyse d​er Medien d​urch The Brass Check zutreffend u​nd wertvoll. Er i​st "Muckraking v​om Feinsten"[9] u​nd "erstaunlich vorausschauend i​n seiner Kritik a​n der Vertraulichkeit d​er großen Medien u​nd anderer Unternehmensinteressen".[10]

Bei d​er Veröffentlichung d​es Buches weigerten s​ich jedoch "viele Zeitungen, d​as Buch z​u rezensieren, u​nd die wenigen, d​ie es taten, w​aren fast i​mmer ablehnend. Viele Zeitungen, w​ie die New York Times, weigerten s​ich sogar, bezahlte Anzeigen für d​as Buch z​u schalten".[11] Und "die Historiker, d​ie sich d​ie Mühe machen, The Brass Check z​u erwähnen, t​un es a​ls vergänglich a​b und erklären, d​ass die Probleme, d​ie es beschreibt, gelöst sind".[11]

Zitat

Der Journalismus i​st eines d​er Mittel, d​urch die e​ine wirtschaftliche Autokratie d​ie Demokratie kontrolliert; e​s ist d​ie alltägliche Propaganda zwischen d​en Wahlen, d​urch die d​as Bewusstsein d​er Bürger i​n einem Zustand d​er stillschweigenden Billigung gehalten wird, ….[12]

Ausgaben

Einzelnachweise

  1. Sumpter, Randall S. "The Brass Check: A Study of American Journalism." Journalism History. 29:2 (Sommer 2003), S. 95.
  2. McChesney, Robert W. and Scott, Ben. "Upton Sinclair and the contradictions of capitalist journalism." Monthly Review 54.1 (Mai 2002), S. 1–14.
  3. Nalbach, Alex. "" target="_blank" rel="nofollow"Poisoned at the Source"? Telegraphic News Services and Big Business in the Nineteenth Century." Business History Review, 77:4 (Winter 2003), S. 577-611. (Available through JSTOR) Corroborates Sinclair's claim that the corporate control of the AP shaped the news it reported.
  4. You wish to know my "confidential opinion as to the honesty of the Associated Press." My opinion, not confidential, is that it is the damndest, meanest monopoly on the face of the earth--the wet-nurse for all other monopolies. It lies by day, it lies by night, and it lies for the very lust of lying. Its news-gatherers, I sincerely believe, only obey orders.
  5. The Brass Check, Kapitel 59, S. 381.
  6. Fengler, Susanne. "Holding the news media accountable: A study of media reporters and media critics in the United States." Journalism and Mass Communication Quarterly 80:4 (Winter 2003), S. 818–832.
  7. Folsom, Franklin. "Notes on Writergate." Monthly Review 47:1 (May 1995), 25. Excerpted from Days of Anger, Days of Hope: A Memoir of the League of American Writers, 1937-1942.
  8. McChesney, Robert W. and Scott, Ben. "Upton Sinclair and the contradictions of capitalist journalism." Monthly Review 54.1 (May 2002), 1-14.
  9. Hicks, Granville. "The Survival of Upton Sinclair".College English 4:4 (Januar 1943), S. 213–220.
  10. Klein, Julia M. "Sinclair Redux." Columbia Journalism Review. 45:2 (Jul/Aug 2006), 58-61.
  11. McChesney, Robert W. and Scott, Ben. "Upton Sinclair and the contradictions of capitalist journalism." Monthly Review 54.1 (Mai 2002), 1-14.
  12. Upton Sinclair: The Brass Check: A Study of American Journalism. Open Road Media, 2015, ISBN 978-1-5040-2611-6 (com.ph [abgerufen am 10. April 2020]).
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