Richard Avenarius
Richard Avenarius (* 19. November 1843 in Paris; † 18. August 1896 in Zürich), eigentlich Richard Habermann, war ein deutscher Philosoph. Er bezeichnete seine Lehre als Empiriokritizismus.
Leben
Der Sohn des Buchhändlers und Verlegers Eduard Habermann studierte von 1865 bis 1868 Philosophie, Philologie und Psychologie an den Universitäten Zürich, Leipzig und Berlin. Als er seinen Familiennamen zu „Avenarius“ latinisierte, knüpfte er damit an einen Vorfahren in der väterlichen Linie an, der ebenfalls „Habermann“ (von „Hafer“, lat.: „avena“) ins Lateinische übersetzt hatte. In Leipzig wurde er 1868 promoviert und 1876 habilitiert. 1877 folgte er einem Ruf als ordentlicher Professor für Philosophie, Psychologie und Pädagogik an die Universität Zürich.
Denken
Im Kern seiner Philosophie will er alles eliminieren, was nicht reine Erfahrung ist, das heißt, dass alles, was nicht dem Aussageinhalt (E-Wert) entspricht, durch die Umgebung selbst bedingt wird, es mithin keinen Unterschied zwischen innerer und äußerer Erfahrung eines Individuums gibt. Er begründet seine Aussagen damit, dass das vorfindende Individuum im System C (= Großhirn) repräsentiert ist. Danach ist Philosophie „das wissenschaftlich gewordene Streben …, die Gesamtheit des in der Erfahrung Gegebenen mit dem geringsten Kraftaufwand zu denken“. Avenarius hat die Bedeutung des Ökonomieprinzips für das seelische Leben und das Erkennen analysiert.
Wirkung und Rezeption
Zahlreiche Denker und Dichter sind von Avenarius beeinflusst, so unter anderen Friedrich Carstanjen, Joseph Petzoldt, Richard Wahle, Rudolf Willy, Carl Hauptmann, Rudolf Wlassak, Alf Nyman, Franz Blei, Ernst Mach, Rudolf Maria Holzapfel, Alexander Alexandrowitsch Bogdanow, Ber Borochov und Heinrich Gomperz. Wladimir Iljitsch Lenin, der Avenarius Werk in Zürich las, schrieb sein wichtigstes die Philosophie betreffendes Werk Materialismus und Empiriokritizismus (1908) in Auseinandersetzung mit A.s Grundkonzept. Darüber hinaus übte er einen beträchtlichen Einfluss auf Edmund Husserl[1] aus sowie auf Theodor Ziehen.[2] Ebenso beschäftigte sich Erwin Schrödinger während seiner Kriegsteilnahme eingehend mit dem Werk von Avenarius.[3] Richard Avenarius inspirierte die Figur des Professor Avenarius im Roman Die Unsterblichkeit von Milan Kundera. Nachdem sein Urnengrab in der Festhalle des Friedhof Sihlfeld in Zürich 1921 aufgehoben worden war und seine Asche-Urne für 100 Jahre im Archiv der Universität Zürich aufbewahrt war, wurde er im Mai 2021 am ursprünglichen Ort feierlich wiederbeigesetzt.
Werke
- Ueber die beiden ersten Phasen des Spinozischen Pantheismus und das Verhältnis der zweiten zur dritten Phase. Eduard Avenarius, Leipzig 1868; archive.org.
- Philosophie als Denken der Welt gemäß dem Prinzip des kleinsten Kraftmaßes. Prolegomena zu einer Kritik der reinen Erfahrung. Fues, Leipzig 1876; 2. Auflage 1903; archive.org.
- Kritik der reinen Erfahrung. 2 Bände. Fues, Leipzig 1888/1890; 2. Auflage 1907/1908; archive.org.
- Der menschliche Weltbegriff. Reisland, Leipzig 1891; 2. Auflage 1905; 3. Auflage 1912; archive.org.
Literatur
- Wendell T. Bush: Avenarius and the standpoint of pure experience. The Science Press, New York 1905; archive.org.
- Friedrich Carstanjen: Richard Avenarius’ biomechanische Grundlegung der neuen allgemeinen Erkenntnistheorie. Eine Einführung in die „Kritik der reinen Erfahrung“. Ackermann, München 1894; archive.org.
- Oskar Ewald: Richard Avenarius als Begründer des Empiriokritizismus. Ernst Hofmann, Berlin 1905; archive.org.
- Max Heinze: Avenarius, Richard. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 46, Duncker & Humblot, Leipzig 1902, S. 147–149.
- Wladimir Iljitsch Lenin: Materialismus und Empiriokritizismus. Kritische Bemerkungen über eine reaktionäre Philosophie. 1909 u.ö.
- Wolf Strobl: Avenarius, Richard Heinrich Ludwig. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 1, Duncker & Humblot, Berlin 1953, ISBN 3-428-00182-6, S. 468 (Digitalisat).
Weblinks
- Literatur von und über Richard Avenarius im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Literatur von und über Richard Avenarius in der bibliografischen Datenbank WorldCat
- Simone Zurbuchen: Avenarius, Richard. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
- Übersicht der Lehrveranstaltungen von Richard Avenarius an der Universität Zürich (Wintersemester 1877 bis Wintersemester 1896)
Einzelnachweise
- Manfred Sommer: Husserl und der frühe Positivismus. Vittorio Klostermann, Frankfurt 1985, S. 18 ff.
- Uwe Jens Gerhardt, Bernhard Blanz: Theodor Ziehen, M.D., Ph.D., 1862–1950. In: The American Journal of Psychiatry. Band 161, 2004, S. 1369.
- Walter J. Moore: Schrödinger: Life and Thought. Cambridge University Press, Cambridge 1992, S. 43 f.