Rechtsrealismus
Der Begriff Rechtsrealismus bezeichnet eine Richtung der Rechtsphilosophie bzw. Rechtstheorie.
Der Rechtsrealismus ist – ebenso wie der Rechtspositivismus – antimetaphysisch, wie es Axel Hägerström formulierte: Statt sich auf moralische Wertvorstellungen zu stützen, beschränkt er sich auf die Beschreibung konkreter Erfahrungen. Besonderen Wert legt der Rechtsrealismus auf die Berücksichtigung der das Recht von außen beeinflussenden Faktoren, insbesondere der gesellschaftlichen Tatsachen. Der Rechtsrealismus ist also ein rechtswissenschaftlicher Pragmatismus und weist gleichzeitig Verbindungslinien zur Rechtssoziologie auf. Er war ein entscheidender Faktor für die Entstehung der ökonomischen Analyse des Rechts.[1][2]
Der Rechtsrealismus betrachtet das Recht als Mittel zur Regelung der Lebensverhältnisse. Recht wird demnach ausdrücklich auch als ein Mittel zur Steuerung sozialen Verhaltens anerkannt.
Da der Rechtsrealismus keine metaphysische Begründung des Rechts formuliert, steht er in engem Zusammenhang mit dem empiristischen Denken und hat sich aus diesem Grunde vor allem im angelsächsischen Raum etabliert, wo das neuzeitliche empirische Denken namentlich mit dem mechanistischen Rechtsverständnis Thomas Hobbes' seinen Ausgang nahm.
Der der modernen rechtsrealistischen Strömung zuzurechnende sog. Legal Realism[3] versteht das Recht als dynamischen und daher historisch offenen Prozess autoritativer und effektiver Entscheidungen, als nicht vorhistorisch stabilisierte faktische Koordination einander potenziell widerstreitender Geltungsansprüche. Dies kommt vor allem in der Anwendung auf das internationale Recht (Völkerrecht) zum Ausdruck. Dieses wird nicht als ein geschlossenes normatives System, sondern vielmehr als ein faktisch bestimmter Prozess des Abgleichs von Geltungsansprüchen verstanden, der einer Systematisierung im Sinne einer geschlossenen Rechtsordnung – der staatlichen vergleichbar – nicht zugänglich ist.
Einflussreich waren im 20. Jahrhundert insbesondere der amerikanische Rechtsrealismus und der skandinavische Rechtsrealismus.
Als Hauptvertreter des amerikanischen Rechtsrealismus gelten:
- Karl Llewellyn (1893–1962);
- Oliver Wendell Holmes, Jr. (1841–1935);
- Jerome Frank (1889–1957).
Als Hauptvertreter des skandinavischen Rechtsrealismus sind zu nennen:
- Alf Ross (1899–1979);
- Karl Olivecrona (1897–1980)
- Axel Hägerström (1868–1939)
- Anders Vilhelm Lundstedt (1882–1955);
- Manfred Moritz (1909–1990).
Literatur
- Urs Albrecht Klein: Rechtsrealismus und Digitalwirtschaft – Einfluss amerikanischer Rechtstheorie auf Rechtsverständnis und Praxis. Tübingen 2020, ISBN 978-3-16-159743-5
- Maria Anna Rea-Frauchiger: Der amerikanische Rechtsrealismus: Karl N. Llewellyn, Jerome Frank, Underhill Moore. Berlin 2006, ISBN 3-428-11873-1.
- Eugene Kamenka (Hrsg.): Soziologische Jurisprudenz und realistische Theorien des Rechts. Berlin 1986, ISBN 3-428-05893-3.
- Jes Bjarup: Skandinavischer Realismus: Hägerström, Lundstedt, Olivecrona, Ross. Freiburg 1978, ISBN 3-495-47369-6.
- Realino Marra, Per una scienza di realtà del diritto (contro il feticismo giuridico), «Materiali per una storia della cultura giuridica», XXXVIII-2, 2008, pp. 317-46; XXXIX-1, 2009, pp. 5–30.
- Giovanni Tarello, Il realismo giuridico americano, Giuffrè, Milano, 1962.
Einzelnachweise
- Kristoffel Grechenig, Martin Gelter: Divergente Evolution des Rechtsdenkens – Von amerikanischer Rechtsökonomie und deutscher Dogmatik. In: Rabels Zeitschrift für Ausländisches und Internationales Privatrecht (RabelsZ) 2008, 513–561.
- Martin Gelter, Kristoffel R. Grechenig: Juristischer Diskurs und Rechtsökonomie (Legal Discourse and the Economic Analysis of Law). In: Journal für Rechtspolitik. Band 15, Nr. 3, 2007, S. 30–40 (Online [abgerufen am 5. August 2019]).
- Martin Gelter, Kristoffel Grechenig: History of Law and Economics. In: Encyclopedia on Law & Economics. 2014 (im Erscheinen).