Pseudo-Lull
Pseudo-Lull ist die Bezeichnung für einen vom 14. bis zum 16. Jahrhundert entstandenes Corpus alchemistischer Schriften, die unter dem Namen von Ramon Llull bzw. Raimundus Lullus (oder Raymundus Lullius) erschienen, aber nicht von diesem stammen. Llull selbst, ein katalanischer Enzyklopädist, Mystiker, Dichter und Missionar des 13. und 14. Jahrhunderts, kritisierte die Alchemie und hielt auch eine Umwandlung von unedlen Metallen in edle für nicht möglich.[1]
Die Zuweisung geschah wahrscheinlich wegen dessen Ruf als Magier und wegen der Interpretationsmöglichkeit, die seine kombinatorischen Schliessverfahren (Ars Magna) und seine Elemente-Lehre für die Alchemie bot, und begann schon um 1370 mit der Zuschreibung schon existierender alchemistischer Texte. Im 15. und 16. Jahrhundert wurden ihm weitere Schriften untergeschoben, so dass diese im 15. Jahrhundert auf etwa 50 anwuchsen, die in alchemistischen Kreisen häufig benutzt wurden und Aufnahme in das Sammelwerk des 17. Jahrhunderts Theatrum Chemicum fanden. Llull erhielt so den Ruf eines der größten Alchemisten des Mittelalters.
Die älteste Schrift des Corpus ist das Testamentum, wahrscheinlich von einem katalanischen Autor, der in Montpellier Medizin studierte, und aus dem 14. Jahrhundert (zuerst gedruckt in Köln 1566). Das Buch gibt vor 1332 in London geschrieben zu sein. Nach einer Legende des 16. Jahrhunderts hatte der als Missionar tätige Llull die Steinigung durch die Moslems überlebt und sich aufs Goldmachen verlegt, um einen neuen Kreuzzug zu finanzieren. Er soll darin erfolgreich gewesen sein und für Edward III. in London 1332 große Mengen Gold erzeugt haben, der dies aber für eigene Zwecke verwendete (die Legende wird noch in der Alchemiegeschichte von Karl Christoph Schmieder von 1832 als Wahrheit dargestellt). Eine weitere bekannte Schrift ist der Codicillus.
Typisch für die Schriften im Pseudo-Llull Corpus ist die Aufteilung der Alchemie in Theorie und Praxis, die durch mnemotechnische Methoden verbunden werden. Das Ziel ist nach Pseudo-Llull die Umwandlung von Metallen und die Herstellung einer Universalmedizin (Panacea), jeweils mit Hilfe des Steins der Weisen, der aus Quecksilber und Schwefel erzeugt wird, sowie Reinigung von Edelsteinen.
In späteren Texten des Corpus, wie dem Liber de secretis naturae vom Anfang des 15. Jahrhunderts oder der Explanatio compendiosaque applicatio artis Raymundi Lulli von B. de Lavinhetas (Lyon 1523), wird explizit eine Verbindung zur Person und zu den übrigen Schriften von Llull hergestellt.
Literatur
- Antonio Clericuzio: Raimundus Lullus. In: Claus Priesner, Karin Figala (Hrsg.): Alchemie. Lexikon einer hermetischen Wissenschaft. Beck, 1998.
- Michela Pereira: The alchemical corpus attributed to Raymond Lull. Warburg Institute, London 1989 (= The Warburg Institute Surveys and Texts. Band 18).
- Joachim Telle: (Pseudo-)Lull(us), Raimund(us). In: Verfasserlexikon. 2. Auflage. Band 5, 2004, Sp. 1046–1049.
- Joachim Telle: (Pseudo)-Lullus-Corpus. In: Lexikon des Mittelalters. 1993.
Siehe auch
Einzelnachweise
- Die Stellen sind in Karl Chistoph Schmieder, Geschichte der Alchemie, Halle 1832, S. 176 aufgeführt. Nach Schmieder, der den Pseudo-Lull-Corpus für authentisch hielt, vollzog sich bei Llull in späteren Schriften ein Sinneswandel. Auf S. 178 ff. führt er 25 Schriften des Pseudo-Lull-Corpus auf, die er für echt hält.