Proprietäre Software
Proprietäre Software bezeichnet eine Software, die das Recht und die Möglichkeiten der Wieder- und Weiterverwendung sowie Änderung und Anpassung durch Nutzer und Dritte stark einschränkt. Ursprünglich war dies durch eine Abhängigkeit der Software von der Hardware bedingt. Die Praxis, Quelltexte von Computerprogrammen unter Verschluss und damit im engeren Sinne „proprietär“ zu halten, kam mit der zunehmenden öffentlichen Verbreitung von Computern mit gleichen Mikroprozessoren in den frühen 1980er Jahren auf.[1] Es gibt zahlreiche Mechanismen, die eine Software „proprietär“ machen und halten können: durch Softwarepatente, das Urheberrecht, Lizenzbedingungen (EULAs), das Aufbauen der Software auf herstellerspezifischen, nicht veröffentlichten Standards und die Behandlung des Quelltextes als Betriebsgeheimnis (englisch closed source).[2]
Geschichte
Bis in die späten 1960er waren Computer riesige und teure Mainframe-Maschinen, die in speziellen klimatisierten Räumen betrieben und eher vermietet als verkauft wurden.[3][4] Service und die Software waren Zubehör und wurden bis 1969 ohne Extrakosten gestellt. Der Quelltext von Software war üblicherweise verfügbar. Nutzer, die Software entwickelten, machten diesen ebenfalls verfügbar; es existierte eine Kultur des offenen Software- und Quelltextaustausches (ähnlich der Hacker-Kultur).[5] 1969 leitete jedoch IBM, unter dem Druck einer schwebenden Antitrust-Ermittlung, einen Wandel der Entwicklung ein: IBM entbündelte Software und Hardware und machte damit Software zum eigenständigen Produkt.[6][7][8] Ein zweiter Grund war das Auftauchen von Computern auf Basis standardisierter Mikroprozessoren, welche erstmals einen weltweiten Markt für binär vertriebene Software schaffte; davor gab es einen fragmentierten inkompatiblen Computer-Markt, der am ehesten über den Quelltext zu adressieren war.[1]
In den späten 1970er und den frühen 1980er Jahren begannen die meisten Computerhersteller, den Quelltext unter Verschluss zu halten.[9][10] Damit sollte verhindert werden, dass Mitbewerber die Software auf ihren Systemen einsetzen konnten. Diese Proprietarisierung der Software wurde schnell zur Norm. Später beschrieb Brewster Kahle den Wandel der rechtlichen Charakteristik von Software als Konsequenz des erlassenen U.S. Copyright Act of 1976.[11] Robert Landley nennt die Gesetzesänderung des amerikanischen Copyright, welche ab 1983 auch binären Programmen Urheberschutz zusprach, zuvor hatte diesen nur der Programm-Quelltext.[1][12] Die bis dahin blühende „Hackerkultur“ begann nun zu zerfallen. In diesem Umfeld wurde das Unternehmen Microsoft zum erfolgreichen Pionier des proprietären und kommerziellen Entwicklungs- und Vertriebsmodells für Software ohne Hardware, siehe auch Bill Gates „Open Letter to Hobbyists“ von 1976.[13]
Beginnend im Februar 1983 führte IBM das "object-code-only"-Modell, also die Vermarktung einer Software ohne Quelltext, für eine wachsende Liste ihrer Software ein.[9][10]
1980 war Richard Stallman mit anderen Programmierern am MIT angestellt und stellte fest, dass ihnen erstmals der Zugriff auf den Quelltext eines neuinstallierten Drucker-Gerätetreibers, für den Xerox 9700 Drucker verweigert wurde. Stallman hatte bei bisherigen Druckern (XGP, Xerographic Printer) die Treiber so modifiziert, dass der Nutzer elektronisch benachrichtigt wurde, wenn der Druckauftrag abgeschlossen oder steckengeblieben war. Dass es nun nicht mehr möglich war, diese nützlichen Fähigkeiten zu integrieren, überzeugte Stallman von der Notwendigkeit, Software nicht-proprietär zu halten. Dies führte letztendlich zu der Gründung der Free Software Foundation (FSF) und deren andauernden Kampagnen gegen proprietäre Software.[14]
Begriffsursprung und Definition der FSF
Die Free Software Foundation (FSF) und Richard Stallman, die den Begriff „proprietäre Software“ geprägt haben und aktiv verbreiten, meinen damit Software, deren Entwickler oder Vertreiber den Endbenutzern explizit Freiheitsrechte entziehen, die laut der FSF hinsichtlich Software immer gegeben sein sollten:
- die Freiheit, die Software zu untersuchen und zu ändern (z. B. entzogen durch die Nichtverfügbarkeit des Quellcodes oder Geheimhaltungsvereinbarungen)
- die Freiheit, die Software weiterzugeben (z. B. entzogen durch Kopierverbot via EULA (End User License Agreement; Vertragsregelungen) oder Geheimhaltungsvereinbarungen)
- die Freiheit, die Software für beliebige Zwecke auszuführen (z. B. entzogen durch Nutzungseinschränkungen via EULA)
Deswegen bezeichnet die FSF proprietäre Software auch als Unfreie Software, im Sinne fehlender Freiheiten[15][16] oder freiheitsentziehender Software. Die FSF verwendet bewusst nicht den Begriff „Closed Source Software“, der ihr nicht weit genug geht, um das Problem zu beschreiben.
Laut FSF handelt es sich bei proprietärer Software potentiell auch um Schadsoftware, weil diese aufgrund des fehlenden Quelltexts nicht analysierbar ist und ein Nutzer deshalb blind dem Anbieter vertrauen muss.[17] Die FSF pflegt eine Übersicht von proprietären Software-Lizenzen (wie auch nicht-proprietären).[18]
Die FSF sieht als Gegenkonzept zu proprietärer Software die „Freiheitsgewährende Software“ (sogenannte Freie Software), Software also, die einem Nutzer mit Empfang des Computerprogramms die von der FSF als essentiell angesehenen Freiheiten gewährt.
Obwohl Kommerzialität häufig mit Proprietarität vergesellschaftet ist, lehnt die FSF die These ab, dass Programmierer berechtigt seien, Nutzern Freiheiten zu entziehen, um Gewinn zu erzielen.[19] Allerdings ist die FSF nicht gegen kommerzielle Software, sondern unterstützt durchwegs den Verkauf von Software, wenn diese ihren Empfängern Freiheiten gewährt.[20] Obwohl auch die FSF zugibt, dass Kommerzialisierung von Freier Software schwierig ist,[21] sieht sie den Aspekt Kommerzialität als unabhängig von Proprietarität.[22]
Abgrenzung
Die FSF definiert proprietäre Software derart, dass diese nicht beliebig durch Dritte angepasst und weiterverwendet werden darf,[23] und sieht einen klaren dualistischen Gegensatz zu freier Software unter „freien Lizenzen“.[24] Eine entscheidende Eigenschaft von „freier Software“ laut Definition der FSF ist, dass auch deren „freie Lizenzen“ jedoch nicht „alles-ist-erlaubt“ bedeuten. Beispielsweise kann nicht-proprietäre, freie Software für Dritte die Freiheit ausgenommen haben, eine Software proprietär zu machen (z. B. durch Lizenzänderungen) oder mit proprietärer Software zusammen verwendet zu werden. Jedoch sind auch andere Anforderungen und Einschränkungen üblich; z. B. Copyleft-Lizenzen; die von der FSF empfohlene GPL erzielt dieses Ergebnis.
Die Gruppe der freizügigen Lizenzen, ebenfalls als nicht-proprietär angesehene freie Softwarelizenzen, erlauben dagegen die Relizenzierung, fordern aber die Nennung der Ursprungsautoren. Nur Software die aus dem Urheberschutz in die Public-Domain aktiv entlassen wurde oder durch Auslaufen von Schutzfristen herausgefallen ist (gemeinfreie Software), ist ohne jegliche Einschränkungen und hat somit jegliche Proprietarität verloren und erlaubt „Alles“.
Andere, wie beispielsweise die Open Source Initiative, sehen als Kerneigenschaft der proprietären Software die Nichtverfügbarkeit des Quelltextes, das Gegenmodell wäre dann quelloffene Software (englisch Open Source).
Für Software deren Quelltext verfügbar ist und die für einige, aber nicht beliebige Anwendungsfälle die Weiterverwendung erlaubt (halbfreie Software, manchmal auch „Source available“ oder „Shared Source“), gibt es kontroverse Diskussionen über deren Einordnung. Beispiel für eine solche Software wäre Photoshop 1.0.1, dessen Quelltext 2013 unter einer Lizenz veröffentlicht wurde, welche zwar eine beliebige private Verwendung erlaubt, jedoch eine kommerzielle Weiterverwendung und Weiterverbreitung ausschließt.[25][26] Ein weiteres Beispiel ist das Computerspiel Allegiance dessen Quelltext unter einer nicht-kommerziellen Shared-Source-Lizenz im Jahre 2004 freigegeben wurde und nun von der Spielgemeinde selbst weiterentwickelt wird.[27]
Auch sollte proprietäre Software nicht mit kommerzieller Software gleichgesetzt werden. Kommerzielle Software, die an Kunden verkauft oder lizenziert wird, kann sowohl proprietäre als auch freie Software (meist kombiniert mit Dienstleistungsangeboten)[28] sein; der Unterschied ist, dass bei proprietärer Software Weiterverkauf und Anpassung eingeschränkt oder verboten sein können. Kostenlose proprietäre Software wird als Freeware bezeichnet.
Das Eigenschaftswort „proprietär“ kann auch auf Protokolle (wie z. B. für Netzwerke), APIs und Dateiformate angewandt werden.[29]
Weblinks
Beispiele für proprietäre Lizenzen:
- Kapitel 5 (von Understanding Open Source and Free Software Licensing)
Einzelnachweise
- Rob Landley: 23-05-2009. landley.net. 23. Mai 2009. Abgerufen am 2. Dezember 2015: „So if open source used to be the norm back in the 1960's and 70's, how did this _change_? Where did proprietary software come from, and when, and how? How did Richard Stallman’s little utopia at the MIT AI lab crumble and force him out into the wilderness to try to rebuild it? Two things changed in the early 80's: the exponentially growing installed base of microcomputer hardware reached critical mass around 1980, and a legal decision altered copyright law to cover binaries in 1983. Increasing volume: The microprocessor creates millions of identical computers“
- S. Donovan: Patent, copyright and trade secret protection for software. Potentials, IEEE, 2002, doi:10.1109/45.310923.
- Paul E. Ceruzzi: A history of modern computing. MIT Press, 2003, ISBN 0-262-53203-4, S. 128 (Abgerufen am 12. November 2010): „Although IBM agreed to sell its machines as part of a Consent Decree effective January 1956, leasing continued to be its preferred way of doing business“
- History of Leasing. leasegenie.com. Archiviert vom Original am 11. April 2008. Abgerufen am 12. November 2010: „In the 1960s, IBM and Xerox recognized that substantial sums could be made from the financing of their equipment. The leasing of computer and office equipment that occurred then was a significant contribution to leasings growth, since many companies were exposed to equipment leasing for the first time when they leased such equipment“
- Origins and History of the Hackers, 1961-1995 Eric S. Raymond: The Art of Unix Programming (englisch)
- Chronological History of IBM – 1960s. IBM. Abgerufen am 12. November 2010: „Rather than offer hardware, services and software exclusively in packages, marketers "unbundled" the components and offered them for sale individually. Unbundling gave birth to the multibillion-dollar software and services industries, of which IBM is today a world leader“
- Pugh, Emerson W. Origins of Software Bundling. IEEE Annals of the History of Computing, Vol. 24, No. 1 (Jan–Mar 2002): pp. 57–58.
- Hamilton, Thomas W., IBM's unbundling decision: Consequences for users and the industry, Programming Sciences Corporation, 1969.
- Bryan Cantrill: Corporate Open Source Anti-patterns. 17. September 2014. Abgerufen am 26. Dezember 2015: „[at 3:15]“
- John Gallant: IBM policy draws fire - Users say source code rules hamper change. Computerworld. 18. März 1985. Abgerufen am 27. Dezember 2015: „While IBM's policy of withholding source code for selected software products has already marked its second anniversary, users are only now beginning to cope with the impact of that decision. But whether or not the advent of object-code-only products has affected their day-to-day DP operations, some users remain angry about IBM's decision. Announced in February 1983, IBM's object-code-only policy has been applied to a growing list of Big Blue system software products“
- Robert X. Cringely’s interview mit Brewster Kahle, bei der 46ten Minute (englisch)
- Impact of Apple vs. Franklin Decision
- J.T.S. Moore: Revolution OS. Hrsg.: Wonderview Productions. USA 2001 (englisch).
- Williams, Sam: Free as in Freedom: Richard Stallman’s Crusade for Free Software. O’Reilly Media, 2002, ISBN 0-596-00287-4. Chapter 1. Available under the GFDL in both the initial O’Reilly edition and the updated FAIFzilla edition. Beide abgerufen am 27. Oktober 2006.
- Unfreie Software (auch Proprietäre Software genannt); steht im Gegensatz zu Freier Software (Freiheitsgewährender Software), welche Freiheiten gewährt: dabei geht es nicht um monetäre Aspekte.
- Unfreie Software (GNU.org)
- Proprietäre Software ist häufig Schadsoftware (gnu.org).
- Softwarelizenzen auf gnu.org.
- „Sollte ein Programmierer nicht eine Belohnung für seine Kreativität verlangen dürfen?“ gnu.org.
- Freie Software verkaufen gnu.org.
- Interview with Richard Stallman (englisch) In: GNU/LAS s20e10. Linux action show. 11. März 2012. Abgerufen am 22. August 2014: „RMS: I’m not gone to claim that I got a way to make it easier to raise money to pay people who write free software. We all know, that to some extent there are ways to do that, but we all know that they are limited, they are not as broad as we would like.“
- Kommerzielle Software auf gnu.org.
- Kategorien freier und unfreier Software: Proprietäre Software – Seitenabschnitt bei der FSF; Stand: 29. Juli 2001.
- freie Lizenzen auf Gnu.org
- Bryan Bishop: Adobe releases original Photoshop source code for nostalgic developers (englisch) theverge.com. 14. Februar 2013. Abgerufen am 15. Oktober 2013.
- Adobe Photoshop Source Code
- Bob Colayco: Microsoft pledges Allegiance to its fanbase (englisch) gamespot.com. 6. Februar 2004. Abgerufen am 22. Juli 2011: „The release of the source code came in response to the enthusiasm of Allegiance’s small-but-dedicated fanbase. Microsoft’s Joel Dehlin commented that the development team has, „been amazed at the level to which some of the Allegiance fans have remained hard-core. We’re astounded at the progress that has been made at creating new factions, hosting new servers, replacing authentication, etc. It seems that Allegiance hasn’t really died. With that in mind, we’re releasing the Allegiance source code to the community.““
- Debian Tutorial: 2.2 What’s free software? (englisch) – Seitenabschnitt bei Debian; Stand: 29. Dezember 2009.
- proprietary software. In: Gartner IT Glossary. Gartner, Inc., abgerufen am 15. Mai 2017 (englisch).