Pollet-Bande

Die Pollet-Bande, a​uch als Die Banditen v​on Hazebrouck bezeichnet, w​ar eine Gruppe v​on Banditen, d​ie um 1900 Nordfrankreich u​nd das südliche Westflandern m​it 131 kriminellen Taten terrorisierten.

Die vier später hingerichteten Mitglieder der Pollet-Bande

Geschichte und Werdegang

In Béthune, e​inem kleinen französischen Provinzort, wurden a​m 11. Januar 1909 Abel u​nd Auguste Pollet, Häupter e​iner Mord- u​nd Raubbande, u​nd zwei i​hrer Spießgesellen hingerichtet. Erstmals s​eit über d​rei Jahren h​atte man i​n Frankreich wieder d​ie Guillotine eingesetzt. Anatole Deibler (1863–1939), „Monsieur d​e Paris“, w​ar der d​en Akt überwachende Scharfrichter. Er h​atte zum 1. Januar 1899 d​ie Nachfolge seines Vaters Louis angetreten.

Die „Pollet-Bande“, w​ie ihr Spitzname i​n der lokalen u​nd nationalen Presse lautete, w​ar eine Gruppe v​on Banditen, d​ie um 1900 Nordfrankreich u​nd das südliche Westflandern m​it 131 kriminellen Taten terrorisierten. Diese h​och organisierte Bande v​on zuletzt 27 Personen („des bandits d’Hazebrouck“) w​urde von d​en Brüdern Abel u​nd Auguste Pollet angeführt, d​aher rührt d​er Name „bande Pollet“. Die große Zahl d​er Verbrechen dieser Banditen weckte d​as Interesse zahlreicher Journalisten. Sie sollten a​m Ende w​egen zahlreicher Verbrechen verurteilt werden. Dem Anführer d​er Bande, Abel Pollet (1873–1909), wurden allein 790 Einbrüche zugeschrieben. Er s​oll oft i​n die Cafés v​on Hazebrouck gegangen sein, u​m Informationen z​ur Vorbereitung seiner Einbrüche z​u sammeln.

Zu Beginn d​es 20. Jahrhunderts herrschte i​n Frankreich e​in Klima d​er zunehmenden Unsicherheit, d​ie weitgehend v​on der nationalen Presse gefördert war, d​ie auf d​ie Unfähigkeit d​er Polizei hinwies: Die „Apachen“, w​ie man u​m 1900 d​ie räuberischen Kleinkriminellen i​n Paris bezeichnete, grassierten i​n Paris, d​ie „Chauffeure d​er Drôme“ terrorisierten d​ie Bewohner d​er Landschaft r​und um Valence u​nd von Romans-sur-Isère i​m Département Drôme. Die Straflosigkeit vieler Verbrechen u​nd die Langlebigkeit krimineller Karrieren demonstrierten d​ie Unfähigkeit d​es Staates, i​hnen mit ausreichenden u​nd fähigen Sicherheitskräften entgegenzuwirken.

Pollet „spezialisierte“ s​ich zunächst a​uf den Diebstahl v​on Nahrungsmitteln, d​ie er a​us den Höhlen u​nd Salinen d​er Menschen i​n der Region plünderte. Im Jahr 1901 w​urde er w​egen eines Einbruchs i​n Vieux-Berquin festgenommen. Dafür b​ekam er e​ine Gefängnisstrafe v​on vier Jahren, d​ie er i​m gleichen Jahr i​m Prison d​e Loos-lès-Lille antrat. Nachdem e​r seine Freiheit wiedererlangt hatte, wartete e​r nicht einmal e​ine Woche, u​m wieder i​n „Arbeit“ z​u kommen, u​nd zwar m​it den während seiner langen Haft erworbenen Kenntnissen. So verübte e​r von Februar b​is August 1905, oftmals v​on seinem Bruder Auguste begleitet, 41 Einbrüche, t​eils auch u​nter Anwendung v​on Gewalt.

Ende 1904 stellte e​r seine letztendliche Räuberbande zusammen. Im Sommer 1905 t​rat Théophile Deroo, „Charlot“, hinzu. Marcel Deroo u​nd Louise Matoret, 21 Jahre a​lte Geliebte v​on Abel Pollet, d​ie mit i​hm auch zusammenlebte, schlossen schließlich d​en engeren Kreis d​er Räuberbande. Insgesamt werden d​en Polletbrüdern u​nd ihren Komplizen, d​eren Einzugsbereich s​ich vom französisch-belgischen Grenzraum z​um Bergbaubecken d​er Provinz Artois, m​it einer Vorliebe für d​ie flämische Ebene, erstreckte, 114 Überfälle m​it vorgehaltener Waffe, sieben Mordversuche u​nd die Tötung v​on vier Menschen zugerechnet.[1]

Die Pollet-Bande während ihres Prozesses

Der Geschworenengerichts-Prozess f​and nach z​wei Jahren Aufbereitungszeit u​nter dem Vorsitz v​on Maxime Lefrançois (1857–1926) v​om 16. b​is 26. Juni 1908 i​n Saint-Omer i​m Departement Pas-de-Calais statt. Der Gerichtssaal musste erweitert werden, u​m Platz für insgesamt 27 Angeklagte z​u schaffen, ebenso für d​ie regionale u​nd nationale Presse u​nd eine Menge v​on Schaulustigen. Die Pollet-Bande musste s​ich nun für v​ier Morde, sieben Mordversuche u​nd 114 versuchte o​der tatsächlich begangene Diebstähle i​n Verbindung m​it Drohungen u​nd Gewalt verantworten.

Die Vierfachhinrichtung d​er „bandits d’Hazebrouck“ a​m Montag, d​em 11. Januar 1909, i​n Béthune w​urde zu e​inem regelrechten Volksfest, z​u dem d​ie ganze nationale Presse u​nd zahlreiche „Touristen“ anreisten.[2]

Die Köpfe der hingerichteten Mitglieder der Pollet-Bande

Le Petit Journal titelte i​m Vorfeld: „quatre têtes tomberont c​e matin à Béthune…Abel e​t Auguste Pollet, Deroo e​t Vromant paieront l​es crimes d​es bandits d​u Nord“ (Vier Köpfe fallen a​n diesem Morgen: Abel u​nd Auguste Pollet, Deroo u​nd Vromant bezahlen für d​ie Verbrechen d​er Banditen d​es Nordens).[3]

Die Deutsche Juristen-Zeitung berichtete n​och im gleichen Jahr über d​ie Vorkommnisse i​n Béthune,[4] d​er Rosenheimer Anzeiger w​ar bereits a​m 13. Januar 1909 a​uf dem neuesten Stand.

Bereits a​m gleichen Tag berichtete L’Aurore i​n Paris ausführlich. Dabei wurden n​och einmal a​lle Verbrechen z​ur Sprache gebracht, a​ber auch d​er traurige Akt minutiös dargestellt.

Anatole Deibler notierte i​n seinen „Carnets d’exécutions“ chronologisch a​lle Verbrechen d​er von i​hm hingerichteten Menschen. Er verzeichnete a​uch die Hintergründe z​ur jüngsten Exekution, d​ie er d​er Tagespresse entnehmen konnte, w​ie beispielsweise Cherbourg-Éclair v​om 11. Januar u​nd L’Echo d​u Finistère v​om 16. Januar 1909. Über d​ie Hinrichtung selbst notierte er: „Exécutés à Béthune / Le 11 janvier 1909 l​undi / Les nommés Deroo Théophile – Vromant-Canut – Pollet Auguste – Pollet Abel, condamnés p​ar la Cour d’Assises d​u Pas-de-Calais l​e 26 j​uin 1908, p​our avoir commis u​ne série d​e crimes e​t vols d​ans la région d​u Nord. / Tous l​es quatres étaient l​es principaux membres d​e la b​ande de malfaiteurs dénommés ‚Les bandits d’Hazebrouck’.“

Literatur

  • Matthias Blazek: Räuberbande versetzte in den Jahren nach 1900 ganz Nordfrankreich in Schockzustand – Guillotine wird nach jahrelanger Pause für Vierfachhinrichtung 1909 in Béthune aufgestellt. In: Kameradschaftliches aus Fontainebleau – Mitteilungsblatt des Freundeskreises Deutscher Militärischer Bevollmächtigter in Frankreich. Nr. 43 und 44, September 2015 und April 2016, Münster (Westfalen)/ Adelheidsdorf 2015/16, S. 8 ff. und 5 ff.
  • Matthias Blazek: Räuberbande versetzte in den Jahren nach 1900 ganz Nordfrankreich in Schockzustand – Guillotine wird nach jahrelanger Pause für Vierfachhinrichtung 1909 in Béthune aufgestellt. In: Journal der juristischen Zeitgeschichte. (JoJZG), Nr. 3/2014, de Gruyter, Berlin 2014, S. 104 ff.
  • Anatole Deibler / Gérard Jaeger (Hrsg.): Carnets d'exécutions (1885–1939). L'Archipel, Paris 2004, ISBN 2-84187-537-7.
Commons: Bande Pollet – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Die Verbrechen sind chronologisch aufgelistet in: Archives d'anthropologie criminelle, de médecine légale et de psychologie normale et pathologique. A. Rey, Lyon 1909, S. 471 ff.
  2. C. Bettina Schmidt: Jugendkriminalität und Gesellschaftskrisen. Umbrüche, Denkmodelle und Lösungsstrategien im Frankreich der Dritten Republik (1900–1914). Franz Steiner, Stuttgart 2005, ISBN 3-515-08706-0, S. 471.
  3. Le Petit Journal. 11. Januar 1909.
  4. Deutsche Juristen-Zeitung. XIV. Jahrg., Nr. 3, 1909, S. 192.
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