Pieter De Rudder
Pieter De Rudder oder französisch Pierre De Rudder (* 2. Juli 1822 in Jabbeke; † 22. März 1898),[1] war ein belgischer Landarbeiter. Rudders Heilung ist eines der berühmtesten von der Römisch-Katholischen Kirche anerkannten „Lourdes-Wunder“. Ein Bronzeguss seiner Knochen ist im medizinischen Büro von Lourdes ausgestellt.[2]
Seine Heilung von den Folgen seines Beinbruchs soll nicht in Lourdes, sondern bemerkenswerterweise in einem Lourdes-Heiligtum von Notre-Dame im ostflandrischen Oostakker, nahe Gent in Belgien, erfolgt sein.
Das Dossier
Am 16. Februar 1867 brach sich De Rudder, im westflandrischen Jabbeke, nach einem Sturz von einem Baum das linke Bein (Schienbein und Wadenbein). Er befand sich zu dieser Zeit in Diensten des Vicomte Albéric du Bus de Gisignies.[3] Mehrere Ärzte empfahlen nach negativem Heilungsverlauf die Amputation.[4] De Rudder oder der Vicomte lehnten dies jedoch ab.[5] Die ärztliche Behandlung hörte danach auf, weitere Belege fehlen in einem über Jahre dauernden schlecht zu bestimmenden Zeitraum.[6]
Der Vicomte zahlte De Rudder eine Pension, die der Kaplan Rommelaere von Jabbeke als "schönes Gehalt" bezeichnete.[7] Nach dem Tod des Vicomte, am 26. Juli 1874,[8] wurde diese Pension von den Erben gestrichen.[9]
Am 7. April 1875, achteinhalb Monate nach der Streichung der Pension, die sieben Jahre gezahlt worden war, ging De Rudder in die Kirche Notre-Dame von Lourdes zur Anbetung, und erklärte sich nach dem Verlassen des Heiligtums für geheilt. Er zeigt eine Narbe vor, die, wenn man einer späten (und, in Absicht, für die übernatürliche These günstigen) Zeugenaussage glaubt, gleich nach der Heilung einen alten Anschein hatte.[10]
Die behandelnden Ärzte weigerten sich, der Geistlichkeit der Pfarrgemeinde eine Bescheinigung auszufertigen[11]. Diese begnügte sich 1875 mit zwei Nachbarn und Freunden (Vater und Sohn) von De Rudder als Augenzeugen.[12] Diese zwei Zeugen unterschrieben eine identische, vom Vikar von Jabbeke ausgearbeitete Bescheinigung, nach der sie, am Vorabend der Wallfahrt, die in der Wunde hervortretenden Knochenenden gesehen hatten. Die Bescheinigung erwähnt eine Bewohnerin des Dorfes, die nicht unterzeichnet, und dieselbe Sache zwei Tage vor der Wallfahrt gesehen habe.[13]
Der Bischof von Brügge, Johan Joseph Faict, fragte brieflich um Informationen bei Van Hoestenberghe an, einem Arzt, der nie zu De Rudders behandelnden Ärzte gehört, sondern lediglich das Bein aus Neugierde geprüft hatte. Van Hoestenberghe antwortete im April und Mai 1875. Seine zwei Briefe wurden vom Bistum vor der kanonischen Untersuchung (1907–1908) und der Anerkennung des Wunders durch Bischof Gustavus Josephus Waffelaert 1908 als verloren deklariert und erst 1956 wiedergefunden.[14] Bischof Faict, seinerseits, führte keine kanonische Untersuchung durch.[15]
Der letzte namentlich bekannte überlebende behandelnde Arzt, Verriest, starb in Brügge am 3. August 1891. Ungefähr ein Jahr später, anlässlich der jährlichen belgischen Wallfahrt von August 1892 nach Lourdes,[16] äußerte sich Van Hoestenberghe zum ersten Mal öffentlich.[17] Er schrieb an Boissarie, den Präsidenten des Büros der medizinischen Feststellungen von Lourdes, zwei Briefe, in denen er auf den Fall Von Rudder hinwies. Darin bestätigte er damals das noch kranke Bein geprüft zu haben und nur auf ein Wunder schließen zu können.[18] Diese Briefe verursachten eine Reihe von Untersuchungen im Auftrag unterschiedlicher katholischer Autoritäten. Nachdem es 1875 nur zwei Augenzeugen gegeben hatte, gab es im Laufe der Zeit immer mehr[19]. Das gilt auch für die Untersuchungen des kranken Beines, die Van Hoestenberghe gemacht haben will[20]. 1907, vor der bischöflichen Kommission, deren Bericht zur Anerkennung des Wunders führen sollte, behauptete dieser, das kranke Bein zehn oder zwölf Mal, das letzte Mal drei oder vier Monate vor der Wallfahrt, untersucht zu haben.[21]
Die Frage des Zeitpunktes der letzten Untersuchung des Beines ist wichtig, weil nach Meinung von mehreren katholischen Ärzten, das einzige Argument, die Heilung von De Rudder als Wunder zu betrachten, der Zeugenbeweis ihrer Plötzlichkeit ist.[22]
Die Briefe Van Hoestenberghes von 1875 an Bischof Faict wurden 1956 wiedergefunden und 1957 veröffentlicht. Im Zweiten Brief schreibt Van Hoestenberghe (der vor der Kommission von 1907 bis 1908 erklärt hatte, dass er das kranke Bein zehn oder zwölf Mal, das letzte Mal drei oder vier Monate vor der Wallfahrt untersucht hatte) das Bein nur ein Mal gesehen zu haben, und das mehr als drei Jahre vor der Wallfahrt De Rudders nach Notre-Dame.[23]
Kanoniker De Meester, der Promotor causae während der Untersuchung von 1907 bis 1908, glaubte nach wie vor,[24] trotz der Briefe von 1875, dass Van Hoestenberghe mehrere Untersuchungen des kranken Beines gemacht hatte und dass die letzte dieser Untersuchungen ungefähr vier Monate vor der Wallfahrt von De Rudder stattfand. Um diese Meinung zu stützen, führte er Gespräche in diesem Sinne, die Van Hoestenberghe äußerte, bald nach der Wallfahrt genommen zu haben. Es handelt sich um Anmerkungen, über die der Van Hoestenberghe zum ersten Mal 1899 sprach, um zwei Jesuiten zu antworten, die ihn beobachten ließen, dass er die Versorgungen des verstorbenen Verriest 1875 gestellt hatte, was, mit anderen Quellen verglichen, zu spät scheint zu sein.[25] Die Anmerkungen triumphieren über diese Einwendung: »Verriest 75[26]«. Diese Anmerkungen haben noch die Eigentümlichkeit, den Briefen von 1875 an Bischof Faict nicht nur der Zahl und dem Zeitpunkt der Untersuchungen nach zu widersprechen, aber auch dem Zeitpunkt der Untersuchung des Beins nach, die er nach der Wallfahrt machte: Nach den Anmerkungen fand diese Untersuchung am 9. April 1875 statt, aber der Van Hoestenberghe schrieb am 15. April 1875 dem Bischof Faict, dass er noch keine Zeit gehabt hatte, das geheilte Bein zu sehen.[27] Diese Anmerkungen, die sich in einem außergewöhnlichen Platz im Heft des Vans Hoestenberghes fanden: die Binnendecke, und nicht ihre chronologische Stelle unter den Seiten,[28] können nun nur auf einem Foto gelesen werden, weil sie scheinen im Bistum, mit dem Rest des Heftes verschwunden zu sein.[29]
Literatur
- Kanoniker A. De Meester: De wonderbare genezing van Pieter De Rudder; het kanoniek onderzoek. Basiliek van O.-L.-Vrouw van Lourdes, Oostakker 1957.
- A. Delcour: Un grand miracle de Lourdes, la guérison de Pierre De Rudder, ou, Que vaut le témoignage?. Selbstverlag, Brüssel 1987 (Diese Broschüre ist für den anwesenden Artikel nach Überprüfung der Verweise benutzt gewesen).
- Suzanne K. Kaufman: Consuming Visions; Mass Culture and the Lourdes Shrine. Cornell University Press, Ithaca NY 2005, ISBN 0-8014-4248-6, S. 182–191 (Auf den durch den Fall gehobenen Polemiken; eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
Einzelnachweise
- Kanoniker A. Meester: De wonderbare genezing van Pieter De Rudder; het kanoniek onderzoek. Oostakker 1957, pp. 138–139.
- Paul Miest, Les 54 miracles de Lourdes au jugement du droit canon, Paris, 1958, S. 100.
- Kanoniker A. De Meester, "De wonderbare genezing van Pieter De Rudder; het kanoniek onderzoek", Oostakker, 1957, S. 79 und 139.
- Siehe zum Beispiel Kanoniker A. De Meester, De wonderbare genezing van Pieter De Rudder; het kanoniek onderzoek, Oostakker, 1957, S. 17–18.
- Kanoniker A. De Meester, "De wonderbare genezing van Pieter De Rudder; het kanoniek onderzoek", Oostakker, 1957, S. 18, 36, 57, 142.
- Siehe für ein Beispiel zur Diskussion über diese Frage, Kanoniker A. De Meester, De wonderbare genezing van Pieter De Rudder; het kanoniek onderzoek, Oostakker, 1957, S. 58.
- Kanoniker A. De Meester, De wonderbare genezing van Pieter De Rudder; het kanoniek onderzoek, Oostakker, 1957, S. 80
- Erzählung von 1875 des Kaplans Rommelaere, reproduziert in Kanoniker A. De Meester, "De wonderbare genezing van Pieter De Rudder; het kanoniek onderzoek", Oostakker, 1957, S. 80, die als Datum 24. Juni 1874 gibt; vom vicomtesse du Bus korrigiert, Brief an die Zeitung Le Bien Public (Gent), 3. Februar 1913.
- Kaplan Rommelaere von Jabbeke, Erzählung vom 11. April 1875, reproduziert vom Kanoniker A. De Meester, "De wonderbare genezing van Pieter De Rudder; het kanoniek onderzoek", Oostakker, 1957, S. 80; Pfarrer E. Scheerlinck, Lourdes en Flandre, Gent, 1876: "Leider! Der unerbittliche Tod kam, den großzügigen Wohltäter am 21. Juni 1874 zu schlagen. Pieter sah sich noch einmal ins Elend getaucht."; Absetzung von Augustus De Wulf: "Diese kleine Pension hörte auf, sobald der vicomte starb, weil nichts geschrieben gewesen war" (Kanoniker A. De Meester, De wonderbare genezing van Pieter De Rudder; het kanoniek onderzoek, Oostakker, 1957, S. 122); Aussage der Witwe und des Mädchens von De Rudder 1899 (Kanoniker A. De Meester, De wonderbare genezing van Pieter De Rudder; het kanoniek onderzoek, Oostakker, 1957, S. 143–144).
- Brief des Van Hoestenberghe vom 25. Februar 1907, in Kanoniker A.De Meester, De wonderbare genezing van Pieter De Rudder; het kanoniek onderzoek, Oostakker, 1957, S. 183.
- Siehe zum Beispiel Kanoniker A. De Meester, De wonderbare genezing van Pieter De Rudder; het kanoniek onderzoek, Oostakker, 1957, S. 156–157. Die Verfechter des Wunders erklären diese Verweigerung durch den »Liberalismus«, den »Unglaube« der behandelnden Ärzte, aber diese Worte scheinen mit Vorsicht zu nehmen zu sein. So bezeichnet Van Hoestenberghe (Kanoniker A. De Meester, De wonderbare genezing van Pieter De Rudder; het kanoniek onderzoek, Oostakker, 1957, S. 51) den verstorbenen behandelnden Arzt Affenaer als »ungläubig«, den eine Erzählung vom Vater Jesuit Van Tricht (Collection de Précis historiques…, Bd. 25 - Bd. 5 von der 2 Reihe -, S. 659) ausdrücklich als glaubend vorstellt.
- Kanoniker A. De Meester, De wonderbare genezing van Pieter De Rudder; het kanoniek onderzoek, Oostakker, 1957, pp. 21–22.
- Kanoniker A. De Meester, De wonderbare genezing van Pieter De Rudder; het kanoniek onderzoek, Oostakker, 1957, S. 31, Abschrift nach welcher Maria Wittezaele signiert hätte. Das Foto der Bescheinigung, das in demselben Buch reproduziert ist, fasst keine Unterschrift von Maria Wittezaele (oder Wittesaele) um, die übrigens, seiner Heiratsurkunde nach (Jabbeke, am 2. April 1845), weder schreiben noch unterschreiben konnte.
- Kanoniker A. De Meester, De wonderbare genezing van Pieter De Rudder; het kanoniek onderzoek, Oostakker, 1957, S. 49, 156–157, 245–249.
- Kanoniker A. De Meester, De wonderbare genezing van Pieter De Rudder; het kanoniek onderzoek, Oostakker, 1957, S. 156–157.
- Boissarie, in Annales de N.-D. de Lourdes, Oktober 1892, t. 25, S. 60.
- 1898 erklärte der Van Hoestenberghe seine lange Stille durch den Wunsch, gegen die scheinbare Kälte von Bischof Faict gegenüber dieser Sache nicht zu gehen. (Kanoniker A. De Meester, De wonderbare genezing van Pieter De Rudder; het kanoniek onderzoek, Oostakker, 1957, S. 52.) Trotzdem war Bischof Faict, im Unterschied zum Verriest, noch am Leben, als Van Hoestenberghe im Jahr 1892 die Stille brach. (Bischof Faict starb 1894. Biographie Nationale de Belgique, Bd. 30, Beilage, Bd. 2, Brüssel, 1958, Spalte 372.)
- Kanoniker A. De Meester, De wonderbare genezing van Pieter De Rudder; het kanoniek onderzoek, Oostakker, 1957, S. 44–45.
- Siehe die unterschiedlichen Untersuchungen in Kanoniker A. De Meester, De wonderbare genezing van Pieter De Rudder; het kanoniek onderzoek, Oostakker, 1957.
- Tatsache anerkannt von Kanoniker A. De Meester, De wonderbare genezing van Pieter De Rudder; het kanoniek onderzoek, Oostakker, 1957, S. 219–220.
- Kanoniker A. De Meester, De wonderbare genezing van Pieter De Rudder; het kanoniek onderzoek, Oostakker, 1957, S. 35 und 37
- Anicet Guarner, De l'instantanéité des guérisons de Lourdes, Alger, 1939, S. 66, widerspricht Pr Reverchon, der glaubte, in den anatomischen Stücken einen Beweis des Übernatürlichkeit des Prozesses zu finden; H. Lamiroy, in Palfijn, September 1945, S. 229; Leon Elaut, in Universitas Schriften, 1, Antwerpen, 1951–1952, S. 98.
- Kanoniker A. De Meester, De wonderbare genezing van Pieter De Rudder; het kanoniek onderzoek, Oostakker, 1957, S. 246.
- Kanoniker A. De Meester, De wonderbare genezing van Pieter De Rudder; het kanoniek onderzoek, Oostakker, 1957, S. 248–250.
- Für die Erscheinung der Anmerkungen, siehe Kanoniker A. De Meester, De wonderbare genezing van Pieter De Rudder; het kanoniek onderzoek, Oostakker, 1957, S. 58. Für den Zeitpunkt der Versorgungen des Verriest, S. 27, 58 und 80.
- Eben so schreibt der Van Hoestenberghe seine Anmerkungen in einem Brief von 1899 ab. (Kanoniker A. De Meester, De wonderbare genezing van Pieter De Rudder; het kanoniek onderzoek, Oostakker, 1957, S. 58.) Auf dem Foto der Anmerkungen, das auch im Buch von Kanoniker De Meester reproduziert ist, ist die Ziffer 5 schwer zu lesen.
- Kanoniker A. De Meester, De wonderbare genezing van Pieter De Rudder; het kanoniek onderzoek, Oostakker, 1957, S. 245
- Kanoniker A. De Meester, De wonderbare genezing van Pieter De Rudder; het kanoniek onderzoek, Oostakker, 1957, S. 58 und 248.
- Kanoniker A. Se Meester De wonderbare genezing van Pieter De Rudder; het kanoniek onderzoek, Oostakker, 1957, S. 249, Anm. 2.