Peter Toll
Peter Toll (geboren am 4. Juni 1891 in Süchteln; gestorben am 1. Mai 1966 in Bonn) war ein Kommunalbeamter, Bürgermeister und Politiker der Zentrumspartei. Er galt Ende der 1920er Jahre im Kölner Raum als einer der vielversprechendsten Nachwuchskommunalpolitiker, dem allgemein eine große Karriere zugetraut wurde. 1920 wurde er Beigeordneter in Viersen, 1925 Bürgermeister in Frechen, 1930 verpasste er den nächsten Karrieresprung zum Neusser Oberbürgermeister nur knapp[1]. 1931 wurde er Zentrumsvorsitzender im Landkreis Köln,[2] und 1933 zog er für diese Partei sowohl in den Kreistag (an erster Stelle des Wahlvorschlags stehend) wie in den Provinziallandtag ein. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung wurde er jedoch aus seinen Ämtern entfernt, obwohl er im Mai 1933 noch der NSDAP beigetreten war.
Vor seiner Zeit als Bürgermeister in Frechen
Geboren wurde er am 4. Juni 1891 in der alten niederrheinischen Kleinstadt Süchteln (heute Teil von Viersen). Er stammte aus einer streng katholischen, einfachen (der Vater war von Beruf „Polizeidiener“, also ein kleiner Beamter), aber sehr bildungsbeflissenen und begabten Familie. Drei Söhne machten Abitur, zwei studierten und promovierten. Peter Toll ging auf das altsprachliche Gymnasium in Viersen, studierte dann Jura in Bonn, wo er mit Ausnahmeerlaubnis schon nach fünf Semestern Jurastudium sein Referendarexamen machen durfte. Er nahm als Freiwilliger am Krieg teil, wurde Leutnant der Reserve und promovierte in Greifswald zum Dr. iur. Er heiratete die im Gegensatz zu ihm aus großbürgerlichen Verhältnissen stammende Maria Esters, deren Familie Seidenfabriken besaß und vor allem durch das von Mies van der Rohe gebaute „Haus Esters“ heute noch im Krefelder Raum bekannt ist. Am 1.1.1919 trat er in den Dienst der Stadt Viersen und leitete dort seit dem 1.4.1920 als Beigeordneter erfolgreich ein besonders schwieriges Dezernat mit zahlreichen Aufgaben: das Wohlfahrtsamt, das in den schlimmsten Zeiten der krisenreichen ersten Nachkriegsjahre bis zu 75 % der Bevölkerung mitbetreute.[3]
Tolls Jahre in Frechen
Als 1925 in Frechen die Stelle des Bürgermeisters ausgeschrieben wurde, setzte sich der damals 34jährige Toll mit den Stimmen der dortigen Zentrumspartei gegen 106 Mitbewerber durch.[4] Frechen war damals eine von der Braunkohleindustrie und von Tonröhrenfabriken geprägte Gemeinde mit etwa 13.000 Einwohnern. Nach seinem Amtsantritt sorgte Toll hier für einen wahren Aktivitätsschub. Wie er schon in Viersen bewiesen hatte, konnte er zupacken, organisieren, Dinge in Bewegung setzen. Zudem war er (wie es im Rheinland von einem Bürgermeister erwartet wird) „gut katholisch“, gesellig, humorvoll, feierfreudig und trinkfest, und er verfügte über ein großes rhetorisches Talent, das er bei zahlreichen Feierstunden des Staates sowie der politischen und kirchlichen Organisationen unter Beweis stellte. Bei der Bevölkerung wurde er schnell sehr beliebt.
Die ersten Jahre nach Tolls Amtsantritt als Bürgermeister in Frechen fielen in eine Zeit der wirtschaftlichen Erholung in Deutschland, die knapp vier Jahre anhielt und auch den Frechener Gemeindefinanzen zugutekam. Diese sich bessernde Stimmung veranlasste Toll, eine Reihe ehrgeiziger kreditfinanzierter Projekte anzugehen. Seine ersten Bemühungen galten dem Straßen- und Kanalbau, der in den Kriegs- und Nachkriegsjahren völlig zum Stillstand gekommen war. Anfang 1927 ging man davon aus, dass diese Maßnahmen den Gemeindehaushalt mit insgesamt 1.837.000 Mark belasten würden.[5]
Denselben Nachholbedarf wie im Straßen- und Kanalbau gab es im Wohnungsbau. Auch in Frechen hatte die Wohnungsnot ein Ausmaß erreicht, das man sich heute kaum noch vorstellen kann. Zur Linderung des Problems wurden in Tolls Amtszeit über 650 neue Wohnungen gebaut. Damit lag Frechen in der Spitzengruppe aller Kommunen in der Rheinprovinz, was die Zahl der pro 1000 Einwohner errichteten Wohnungen betrifft.[6] Eine große Rolle spielt in Frechen der sogenannte „Regiebau“, d.h. die Gemeinde baute in eigener Regie Wohnungen und vermietete diese. Der Regiebau führte (anders als der öffentlich geförderte private Hausbau) zu einheitlich gestalteten Ensembles; er setzte in Frechen architektonische und städteplanerische Akzente, die bis heute das Ortsbild vor allem im Bereich des Freiheitsrings deutlich prägen. Unter der Leitung des 1928 eingestellten Architekten Julius Gatzen entstand hier ein Ensemble, das noch heute Besuchern sofort ins Auge springt. Ein Architekturführer von 1999 sieht in diesen Bauten den Beweis, „dass auch kleine Gemeinden in den 20er Jahren Siedlungsbau von hoher gestalterischer und konzeptioneller Qualität bestreiten konnten.“[7]
Maßstäbe setzte Tolls Bauprogramm aber nicht nur unter ästhetischen, sondern auch unter sozialen Gesichtspunkten, weil es zu für sozial Schwache erschwinglichem Wohnraum führte. Zunächst wurden 36 kleine Einfamilienhäuser im Nordteil der heutigen Keimesstraße gebaut. Die Gemeinde stellte kostenlos das Grundstück und verzichtete auf Erschließungskosten, daher konnte ein 65 m² großes Haus für 7500 Mark errichtet werden. Die von der Gemeinde verlangte Miete betrug zunächst nur 38 Mark. Durch den Verzicht auf ein Giebeldach noch moderner (im Sinne der damals tonangebenden Bauhausarchitektur) wirken die ebenfalls sehr preisgünstigen, etwas später gebauten Einfamilienhäuser am Freiheitsring und an der heutigen Dr.-Tusch-Straße. Den eigentlichen optischen Höhepunkt in diesem Ensemble bildet jedoch das (erste) Laubenganghaus am Freiheitsring. Man spricht hier auch von einem Außenganghaus, weil der Zugang zu den insgesamt 30 Wohnungen außen an einem offenen Gang lag, was die Zahl der Treppenhäuser von fünf auf zwei reduzierte und zu um ca. 20 % günstigeren Entstehungskosten führte, so dass eine 43 m² große Wohnung für 30 Mark Miete angeboten werden konnte. Die Konzeption war nicht nur architektonisch innovativ, sondern strebte auch neue Formen des Zusammenlebens durch Gemeinschaftseinrichtungen an. In Frechen waren dies Waschküchen mit beheizten Trockenräumen und (nach Geschlechtern getrennte) Gemeinschaftsbäder sowie hinter dem Haus Frechens erster Kinderspielplatz, der großen Zuspruch fand. Dieser Haustyp, erstmals 1926/27 in Hamburg erstellt, galt schnell als Non-Plus-Ultra des sozialen Wohnungsbaus. Musterhäuser wurden z.B. 1929 auf den Bauausstellungen in Breslau und Karlsruhe (Dammerstock-Siedlung) gezeigt, letztere von Walter Gropius entworfen. Julius Gatzens Frechener Bauten sind ebenso wie er selbst heute in der größeren Öffentlichkeit weitgehend in Vergessenheit geraten, obwohl sein erstes in Frechen errichtetes Laubenganghaus seine berühmten Vorbilder durch eine aufgelockerte Außengestaltung übertraf, die schon ein zeitgenössischer Beobachter als „grandios“ empfand.
Einen ähnlichen Ehrgeiz wie im Wohnungsbau zeigte Toll bei der Errichtung öffentlicher Bauten, die ebenfalls deutlich von seinem Wunsch nach Repräsentation zeugen. Da ist zunächst der Ende 1926 beschlossene Um- und Erweiterungsbau der Ringschule. Auch er wurde für ihn zu einem Prestigeprojekt, das er mit vollem Einsatz verfolgte. Der alte Ziegelbau von 1911 wurde innen und außen architektonisch anspruchsvoll aufgewertet, die hohen Kosten brachte Toll jedoch viel Kritik ein. Ebenfalls 80 Jahre später noch ästhetisch überzeugend, aber ebenfalls auch sehr kostspielig gerieten weitere Baumaßnahmen:
- der 1931 bezogene Neubau der evangelischen Volksschule (das Gebäude ist heute Teil der Realschule) mit seiner attraktiven Keramikverblendung und seinen großen Glasflächen
- das Feuerwehrhaus an der Schützenstraße
- das Kriegerdenkmal in Bachem.
Als sich Ende 1929 die wirtschaftlichen Aussichten wieder verdunkelten, die Ausgaben der Gemeinde für die Unterstützung Bedürftiger dramatisch stiegen und die Einnahmen gleichzeitig ebenso dramatisch sanken, belastete der Schuldendienst für all diese auf Kredit (man zahlte damals über 7 % Zinsen) finanzierten ehrgeizigen Projekte immer deutlicher den Gemeindehaushalt. So entstand z.B. im Jahre 1930 ein Haushaltsfehlbetrag von ca. 300.000 RM.[8] Es zeigte sich, dass Toll das finanzielle Risiko der Investitionen unterschätzt hatte. Weitere geplante Baumaßnahmen wie der Bau eines Schwimmbads, einer Berufsschule und eines Sportparks konnten nach 1931 wegen der äußerst angespannten Haushaltslage nicht mehr durchgeführt werden.
Bei seinen großen Projekten war er nicht sparsam, er war es aber auch nicht, wenn es um ihn selbst ging. Das machte ihn manchmal angreifbar. Z.B. ließ er sich vom Rat ein ihm auch privat zur Verfügung stehendes Auto der Luxusklasse zum stolzen Preis von 13.000 RM bewilligen.[9] Für diese Summe hätte man auf der Ringstraße fast zwei Häuser bauen können. Zeitschriften, die über seine Bauten berichteten, gewährte er großzügige Druckkostenzuschüsse aus Gemeindemitteln.
Toll war als Frechener Bürgermeister aber nicht nur durch seine Projekte bedeutsam, sondern auch durch seine ausgesprochen progressiven Ideen. So setzte er z.B. (gegen den Widerstand von Teilen des Gemeinderats) den Ausbau der bis dahin nur von nebenamtlichen Lehrkräften betreuten gewerblichen Fortbildungsschule zu einer Berufsschule durch, die erstmals auch Jugendliche der Braunkohlen- und Keramikindustrie sowie auch Mädchen aufnahm.[10] Auch bekannte er sich klar zur Weimarer Verfassung, die – wie er sagte – die Loyalität aller Staatsbürger verdiene, weil sie erstmals den demokratischen Freiheitsgedanken, den Geist der Mäßigung und der Würdigung gleichberechtigter Interessen sowie den sozialen Gedanken mit dem Ziel der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle als Grundpfeiler verwirkliche.[11] Die „Toleranz und Achtung vor der Überzeugung des politischen Gegners“, die Toll in einer seiner Reden forderte,[12] zeigte er auch selbst. Er verstand sich gut mit der SPD im Gemeinderat und suchte gelegentlich sogar den Kontakt zur KPD, um seine Vorhaben im Rat durchzusetzen. Im Herbst 1934 schrieb er dem des Landesverrats beschuldigten Frechener Führer der KPD Johann Bürger ein sehr wohlwollendes Leumundszeugnis.[13] Sein Verhältnis zu der ab 1929 mit einem Vertreter, dem späteren Landrat Heinrich Loevenich, im Gemeinderat sitzenden NSDAP jedoch war von gegenseitiger Antipathie gekennzeichnet. Als Leiter der Ortspolizei, der von Amts wegen Störungen der öffentlichen Ordnung durch die radikalen Parteien unterbinden musste, hatte er ständige Auseinandersetzungen mit den verfassungsfeindlichen und häufig gesetzwidrig agierenden Nationalsozialisten. Am Totensonntag 1926 ließ er die mit Hakenkreuzen versehene Schleife an einem von der NSDAP am Ehrenmahl auf dem Frechener Friedhof niedergelegten Kranz entfernen.[14] In einer Ratssitzung am 21.7.1930 nannte er Heinrich Loevenich einen "gemeinen Lügner und Verleumder".[15] Nationalsozialistische Leitbegriffe wie Rasse, Blut und Boden sowie die Überbetonung des Nationalen waren ihm fremd. Mit der Frechener jüdischen Gemeinde arbeitete er vertrauensvoll zusammen. 27.6.1930 schrieb die nationalsozialistische Tageszeitung, der Westdeutsche Beobachter: „Wir Nationalsozialisten werden, wenn wir die politische Macht errungen haben, alle Beamten persönlich verantwortlich für ihre Taten machen. Dr. Toll ist und bleibt unser politischer Feind und daraus ergibt sich unsere Einstellung ihm gegenüber.“ So schien Toll ein Mann zu sein, von dem man sich weder vorstellen konnte, dass die Nationalsozialisten mit ihm, noch dass er mit ihnen auskommen würde.
Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung
Nach Hitlers Wahlsieg bei der Reichstagswahl vom 5. März 1933 wechselte Toll jedoch die Seiten. Am 14. Februar 1933 hatte er vor der Zentrumspartei Köln-Land noch erklärt, die Entwicklung, die die deutsche Innenpolitik in den letzten Tagen genommen habe, ließe im Volk ernsthafte Zweifel darüber aufkommen, ob der Weg des Rechtes und des Gesetzes noch in jedem Falle beschritten sei.[16] Aber am 15. März 1933 feierte er bei der Vereidigung der Ende Februar von Göring geschaffenen Hilfspolizei in „beredten Worten das nationale Erwachen des deutschen Volkes unter Führung des verehrten Reichskanzlers Hitler“[17]. Am 18. März 1933 sagte er auf einer Parteiveranstaltung der NSDAP, dass es das heilig verpflichtende Gebot der Stunde für jeden deutschen Mann sei, „sich in begeisterter Gefolgschaftstreue hinter den Herrn Reichskanzler Adolf Hitler und seine Regierung zu stellen“.[18] Am 1. Mai 1933 trat er der NSDAP bei. Er hoffte wohl, durch diese Kehrtwende das Bürgermeisteramt behalten zu dürfen; nach dem Krieg sagte der Frechener Pfarrer Franz Hennes aus, er habe Toll zu diesem Schritt geraten, um ihn "unserer Gemeinde zu erhalten und so manches nationalsozialistische Unheil von der Bürgerschaft abwenden zu können".[19] Eine Zeitlang schien Tolls Taktik auch aufzugehen. Während andere Zentrumsbürgermeister der Region wie Konrad Adenauer in Köln und Werner Disse in Hürth sehr schnell aus ihrem Amt entfernt wurden, behielt Toll erst einmal seine Stelle. Aber am 21.6.1933 wurde er durch ein abgekartetes Spiel abgelöst. In Köln versammelten sich am Vormittag angeführt von NSDAP-Kreisleiter Loevenich zahlreiche Parteigenossen vor dem Landratsamt, angeblich äußerst empört darüber, dass Landrat Heimann die Gemeindesteuern um 100 % erhöhen wolle. Heimann wurde um 11 Uhr gezwungen, seinen Rücktritt zu erklären, und Loevenich ließ sich vom Regierungspräsidenten Rudolf zur Bonsen zum kommissarischen Landrat ernennen.[20] Um 14 Uhr kam es dann auch in Frechen „zu einer spontanen Zusammenballung der Volksmassen“, die - wie der Westdeutsche Beobachter schrieb - den Ortsgruppenleiter Stumpf zum sofortigen Einschreiten verpflichtet habe. Loevenich machte daraufhin mit den Machtbefugnissen seiner selbst gerade erst erworbenen Position Stumpf zum kommissarischen Bürgermeister.[21] Toll wurde ohne jede öffentliche Begründung und anscheinend ohne jedes Wort des Dankes entlassen und erhielt ein Aufenthaltsverbot für Frechen.[22] Die Frechener Bevölkerung behielt ihn jedoch in guter Erinnerung. Bei der Feier zur Stadtwerdung Frechens am 2.9.1951 wurde er mit anhaltendem Beifall begrüßt, und auch der SPD-Bürgermeister lobte die während seiner Zeit erbrachten Leistungen.[23]
Als Bürgermeister in Andernach
Allerdings konnten die von den Nationalsozialisten entlassenen Beamten nicht einfach auf die Straße gesetzt werden, vielmehr hatten sie nach dem Berufsbeamtengesetz einen Pensionsanspruch. Da es eine große Zahl solcher Abberufungen gab, kamen auf die Behörden beträchtliche Kosten zu, die in der schwierigen wirtschaftlichen Situation kaum zu tragen waren. Man bemühte sich also nach Möglichkeit um eine „Wiederverwendung“. Für Toll fand man eine Stelle als Bürgermeister in Andernach, wo sein Vorgänger, der Zentrumsmann Mettlich, am 11.5.1933 beurlaubt worden war. Einen Monat nach seinem Abschied aus Frechen, nämlich am 22.7.1933, wurde Toll hier mit der „widerruflichen kommissarischen Verwaltung“ der Bürgermeisterstelle betraut und am 28.11.1933 mit Wirkung vom 1.12.1933 offiziell ernannt.[24] Auch in Andernach wurde er dank seines hohen Sachverstandes und seines enormen Einsatzes schnell sehr beliebt.[25] Dennoch wurde am 1.11.1934 (also im letzten Moment vor Ablauf der Ende 1933 beginnenden einjährigen Probezeit) seine Berufung vom Regierungspräsidenten in Koblenz zurückgezogen. Anders als in Frechen gibt es in Andernach das Tagebuch eines Zeitzeugen, des Stadtarchivars Weidenbach, der von „allgemeinem Erstaunen und Murren der meisten Leute“ sprach und Toll einen „freundlichen, guten, zuvorkommenden, echt katholischen Mann“ nannte.[26] Belegt ist, dass am 4. und 5.11.1934 über 1000 Bürger und zahlreiche Firmen in einer einen Tag später beschlagnahmten Eingabe gegen die Entlassung protestierten. In der Eingabe der Andernacher Industrie heißt es, man könne es nicht begreifen, dass man "diesen Bürgermeister, der in den 5/4 Jahren seiner hiesigen Tätigkeit mit so außergewöhnlichem sichtbaren Erfolg zu wirken und sich in der Achtung und Liebe der Bürgerschaft derart festzusetzen verstand, ... nicht belassen will."[27] In seinem Antwortschreiben bestätigte der Regierungspräsident Tolls „Gewandtheit, seinen Fleiß und seine dienstlichen Fähigkeiten“; seine Abberufung sei auf den Wunsch des Gauleiters erfolgt.[28] Zu Tolls Nachfolger als Bürgermeister von Andernach ernannte man dann den sehr linientreuen Nationalsozialisten Alois Spaniol.
Warum verlor Peter Toll auch diese Stelle? Er selbst gibt als Hauptvorwürfe gegen ihn seine Kirchentreue und seine Reden an, die erkennen ließen, dass er den nationalsozialistischen Geist nicht erfasst habe. Die Kirchentreue zeigte sich z.B. an seiner offiziellen Teilnahme an der Fronleichnamsprozession 1934, ein Verhalten, das für Parteigenossen in hervorgehobener Position überall riskant war, in Andernach aber zusätzlich dadurch, dass der dortige Pastor Adolf Rosch offen gegen die Nationalsozialisten agierte. Kritisiert wurde auch seine Mitarbeit an führender Stelle in der "Erzbruderschaft vom hl. Sebastianus", einem Dachverband, in dem sich alte katholische Schützenbruderschaften zusammenschlossen. Seinen Reden fehlte der nationalsozialistische "Stallgeruch", da er weitgehend das übliche nationalsozialistische Vokabular vermied.
Nach seiner Zeit als Politiker
Das war Tolls endgültiger Abschied von Politik und Verwaltung. Mitte 1935 fand er eine Stelle bei „Kaiser’s Kaffee“ in Berlin. Den Sohn des Firmengründers kannte er aus seiner Schulzeit in Viersen. Als er nach vielen Verzögerungen endlich auch seine Bürgermeisterpension erhielt, verdiente er insgesamt die damals sehr hohe Summe von ca. 20.000 Mark im Jahr (1938). Laut Aussage des Viersener Kommunisten Hugo Meier gehörte Toll in Berlin der Widerstandsgruppe um den 1944 hingerichteten Arzt Georg Groscurth an[29]; wie eng diese Beziehung war, ist allerdings unklar. In den Nachkriegsjahren wurde Toll (wie etwa 75 % der Beschuldigten) bei der Entnazifizierung in die Kategorie V (=entlastet) eingestuft.
Im Gegensatz zu vielen seiner ehemaligen Zentrumskollegen, die sich nicht der NSDAP angeschlossen und für diese Entscheidung auch persönliche Opfer gebracht hatten, durfte oder wollte er sich nicht an der Gründung der CDU im Rheinland beteiligen und verzichtete auf eine erneute Karriere in Politik oder öffentlichem Dienst. Vielmehr setzte er seine Talente und seine Beziehungen ab 1948 erfolgreich am Regierungssitz Bonn als Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der Lebensmittel-Filialbetriebe (ALF) ein, also als Lobbyist. Seinen 65. Geburtstag im Jahre 1956 feierte man mit einem Empfang im Bonner Bundespressehaus, bei dem zwei Bundesminister anwesend waren.
Peter Toll starb am 1. Mai 1966 und wurde in seinem Geburtsort Süchteln begraben. Kurz nach seinem Tod beschloss der Frechener Stadtrat, eine Straße nach ihm zu benennen.
Literatur
- Franz-Josef Heyen (Hrsg.): Andernach. Geschichte einer rheinischen Stadt. 2. Auflage. Andernach 1994.
- Egon Heeg: Die Levys oder Die Vernichtung des Altfrechener Judentums. Band 3, Düren 2009, ISBN 978-3-927312-97-5.
- Egon Heeg: Frechener Straßen. Spiegel der Frechener Geschichte. Köln 1984, ISBN 3-7927-0889-2.
- Jochen Menge: Bürgermeister Dr. Toll, Teil 1. In: Jahrbuch des Frechener Geschichtsvereins. 8, 2012, ISBN 978-3-943235-05-0, S. 95–147.
- Jochen Menge: Bürgermeister Dr. Toll, Teil 2. In: Jahrbuch des Frechener Geschichtsvereins. 9, 2013, ISBN 978-3-943235-08-1, S. 107–164.
Einzelnachweise
- Ehrenvolle Kandidatur unseres Bürgermeisters. In: Frechener Tageblatt, 4.6.1930.
- Parteitag Zentrum Köln-Land. In: Frechener Tageblatt, 28.4.1931.
- Jochen Menge: Bürgermeister Dr. Toll, Teil 1. S. 98 f.
- Neubesetzung Bürgermeisterstelle. In: Frechener Tageblatt, 3.6.1925.
- Erste Sitzung des Rates der Großgemeinde. In: Frechener Tageblatt, 9.4,1927.
- Peter Toll: Fünf Jahre Kommunalarbeit in Frechen. In: Heimatkalender für den Landkreis Köln. Band 5, 1930, S. 47.
- Alexander Kierdorf: Köln. Ein Architekturführer. Berlin 1999, S. 102.
- Protokollbuch Haushaltsausschuss Frechen. Stadtarchiv Frechen I,8, S. 176.
- Protokolle Finanzausschuss Frechen 1927 - 1930. Stadtarchiv Frechen I,8, S. 92.
- Frechener Tageblatt. 23.1.1930
- Verfassungstag. In: Frechener Tageblatt. 14. August 1926.
- Priesterjubiläum Franz Hennes. In: Frechener Tageblatt. 23. März 1931.
- Egon Heeg: Frechener Straßen. S. 64.
- Gemeinderatssitzung. In: Frechener Tageblatt. 4. Dezember 1926.
- Gemeinderatsprotokolle Frechen 13.7.1930. Stadtarchiv Frechen II,29, S. 355 ff.
- Kölner Lokalanzeiger. 15.2.1955.
- Feierliche Verpflichtung von Hilfspolizeibeamten in Frechen. In: Frechener Tageblatt, 16.3.1933.
- Fahnenweihe der Ortsgruppe der NSDAP. In: Frechener Tageblatt. 20. März 1933.
- Entnazifizierungsakte Dr. Peter Toll. Landesarchiv NRW Duisburg 1021/1077
- Landrat Heimann beurlaubt. In: Frechener Tageblatt. 22. Juni 1933.
- Dr. Toll beurlaubt. In: Westdeutscher Beobachter. 24. Juni 1933.
- Egon Heeg: Die Levys. Band 3, S. 214 f.
- Stadtarchiv Frechen, Mappe zur Feier der Stadtwerdung
- Bürgermeister Dr. Toll. In: Kreisarchiv Bergheim A 2855, S. 13.
- Bürgermeister Dr. Toll. In: Andernacher Zeitung, 7.12.1934.
- Tagebuch Stephan Weidenbach. In: Landeshauptarchiv Koblenz, Bestand 700, 023; 4. und 11.11.1934.
- Abschrift in Anlage 1 eines Schreibens Tolls an den NRW Innenminister vom 21.8.1950 (Sammlung Menge)
- Handelsblatt. 14. Mai 1956.
- Entnazifizierungsakte Peter Toll. In: Landesarchiv NRW Duisburg, 1021/1077.