Ostseesturmhochwasser 1872
Das Ostseesturmhochwasser 1872 ist das schwerste bekannte Ostseesturmhochwasser. Es suchte die Ostseeküste von Dänemark bis Pommern in der Nacht vom 12. auf den 13. November 1872 heim. Der höchste gemessene Scheitelwasserstand betrug etwa 3,3 m über Normalnull.
Verlauf
In den Tagen vor dem Sturmhochwasser blies ein Sturm aus Südwest über die Ostsee, der das Wasser in Richtung Finnland und Baltikum trieb. Das Ergebnis war Hochwasser dort und extremes Niedrigwasser an den dänisch-deutschen Küsten. Aus der Nordsee konnten dadurch große Wassermengen in die westliche Ostsee einströmen. Plötzlich drehte der inzwischen zum Orkan verstärkte Sturm auf Nordost und trieb die Wassermassen zurück Richtung Südwesten. Da das Wasser nur langsam in die Nordsee zurückfließen konnte, überraschten am Morgen des 13. November 1872 hohe Wogen die Küstenbewohner und führten zu meterhohem Hochwasser in den Küstenorten.
Kurzfristige Auswirkungen
Von allen deutschen Küstenorten trug Eckernförde aufgrund seiner Lage an der weit nach Nordosten geöffneten Eckernförder Bucht die schwersten Schäden davon. Das gesamte Stadtgebiet war überflutet, 78 Häuser wurden zerstört, 138 beschädigt und 112 Familien wurden obdachlos. In Mecklenburg und Vorpommern kamen an Land 32 Menschen durch das Sturmhochwasser ums Leben. Die dänische Insel Lolland, die heute noch eingedeichte Gebiete hat, die unterhalb des Meeresspiegels liegen, wurde schwer getroffen, 28 Menschen starben. Auf Falster starben 52 Menschen. Die Insel Vilm wurde in ihrem mittleren Teil an zwei Stellen durchbrochen.[1] Die Halbinsel Habernis wurde kurzzeitig zu einer Insel.[2][3] Im Greifswalder Ortsteil Wieck wurden fast alle Gebäude zerstört und neun Menschen ertranken. Die Trümmer der Häuser trieben bis in die Innenstadt von Greifswald. Peenemünde wurde komplett überschwemmt. Der an der Ostseeküste liegende slawische Burgwall Schmiedeberg bei Alt Gaarz wurde weitgehend abgetragen.
Insgesamt hat das Sturmhochwasser an der gesamten Ostseeküste mindestens 271 Menschen das Leben gekostet, 2.850 Häuser wurden zerstört oder zumindest stark beschädigt und dadurch 15.160 Personen obdachlos.
Langfristige Auswirkungen
Bei diesem Sturmhochwasser, das auch Prerow auf dem Darß weit überflutete, versandete der Prerower Strom, der bis dahin die damalige Insel Zingst vom Darß trennte. 1874 wurde der Prerow-Strom dann endgültig zugeschüttet und mit einem Deich gesichert; Zingst wurde dadurch zu einer Halbinsel.
Das Koserower Vorwerk Damerow wurde zerstört und die Insel Usedom bei Koserow in zwei Teile geteilt. Nachdem ein weiteres Sturmhochwasser im Februar 1874 die Reste der Gebäude zerstörte und eine bis zu 60 cm starke Sandschicht hinterließ, wurde Damerow aufgegeben.
Einordnung
Dieses Sturmhochwasser ist statistisch als Jahrtausendereignis zu werten. Ein Sturmhochwasser ähnlichen Ausmaßes würde heute wesentlich größere Schäden anrichten, da die Küstengebiete damals noch nicht so dicht besiedelt waren wie heute.
Da das Sturmhochwasser von 1872 den mit Abstand höchsten jemals gemessenen Wasserstand in der deutschen Ostsee mit sich brachte, wird dieser Wasserstand, abgesehen von einigen Boddengebieten, als Bemessungsgrundlage für Küstenschutzbauwerke verwendet.[4]
Einzelne Hochwassermarken
In Lübeck-Schlutup wurde erst im Jahr 2013 im Vorgarten des Hauses Küterstraße 4 in knapp 200 Meter Entfernung von der Trave ein kleiner Gedenkstein an das Hochwasser von 1872 mit Wasserstandsmarkierung aufgestellt.[5] An vielen anderen Orten erinnern derartige Steine schon länger an den damaligen Wasserstand. Im Folgenden findet sich eine Auswahl:
- Hochwassermarke
in Dahme/Ostsee - Hochwassermarke
Maasholm (Schlei) Hafen - Hochwassermarke am Hafenamt Wieck
- Hochwassermarken
von 1625 und 1872
Travemünde
Alte Vogtei - Hochwassermarke am Gebäude des Hafenamts Wieck (Greifswald) (rechts der Tür)
- Gedenkstein und Wasserstandseiche im Kellenhusener Forst
Literatur
- »Trutz Blanke Hans«. Die Ostseesturmflut, 1872. In: Volker Griese: Schleswig-Holstein. Denkwürdigkeiten der Geschichte. Historische Miniaturen. Norderstedt 2012, ISBN 978-3-8448-1283-1.
- Heinz Kiecksee, P. Thran, H. Kruhl: Die Ostseesturmflut 1872. Boyens, Heide 1984, ISBN 3-8042-0116-4 (Schriften des Deutschen Schiffahrtsmuseums; 2).
- Marcus Petersen, Hans Rohde: Sturmflut. Die großen Fluten an den Küsten Schleswig-Holsteins und in der Elbe. 3. Auflage. Wachholtz, Neumünster 1981, ISBN 3-529-06163-8.
- Baensch: Die Sturmfluth vom 12./13. November 1872 an den Ostseeküsten des Preußischen Staates. (PDF) In: Zeitschrift für Bauwesen 1875, Verlag Ernst und Sohn, Berlin, S. 155 ff. Mit ausführlichen Tabellen, Diagrammen und Zusammenhängen.
- Vom Ostsee-Jammer. In: Die Gartenlaube. Heft 52, 1872, S. 858–860 (Volltext [Wikisource]).
Weblinks
- Literatur über Ostseesturmhochwasser 1872 in der Landesbibliographie MV
- Sturmflut 1872 bei Naturgewalten.de
- Das Rätsel einer Jahrtausendflut – nach 136 Jahren gelöst. In: Hamburger Abendblatt
- Die Sturmflut im Jahre 1872. Abgerufen am 20. Oktober 2015 (dänisch).
Einzelnachweise
- Norbert Buske, Vilm – Die Geschichte einer Insel, thomasius verlag 1994, Seite 13
- Flensburger Tageblatt: Habernis: Von der Huk in die Grüfft, vom: 12. August 2011; abgerufen am: 9. August 2018
- Habernis, Anfahrtsbeschreibung, abgerufen am: 14. März 2015
- Empfehlungen für die Ausführung von Küstenschutzwerken (EAK), 1993
- Gedenkstein für die Ostsee-Sturmflut von 1872. In: Lübecker Nachrichten vom 16. November 2013, S. 12.