Organisationsaufstellung
Organisationsaufstellung ist eine Anwendungsform der systemischen Aufstellung, diese nutzt die räumliche Veranschaulichung von (inneren) Beziehungsbildern personaler System-Einheiten. Fokussiert werden dabei bedeutsame Konstellationen (von Organisationseinheiten untereinander, von Mitarbeitern zueinander, von Mitarbeitern zur jeweiligen Leitung wie auch von Mitarbeitern zu Externen – „Customer-Relations“) sowie die Funktionalität, bzw. Dysfunktionalität jeweiliger Bezüge.
Ausgehend von der gruppendynamischen Annahme, dass innerhalb einer sozialen Gruppe (wie Familie, Team etc.) unterschiedliche rangdynamische Positionen zur Verfügung stehen, die einzelnen Positionen aufeinander abgestimmt und auf eine gemeinsame Aufgabe ausgerichtet agieren möchten, wurde dieses Konzept vorerst zur Arbeit mit Familien übernommen, entsprechend modifiziert (Ordnung) und weiter entwickelt (Ausgleich, Zugehörigkeit). Später übertrugen Gunthard Weber und Klaus Grochowiak (1998/1999) wesentliche Erkenntnisse aus diesem systemischen Ansatz auf Organisationen und prägten damit die Klasse der Organisationsaufstellung.
Sofern eine relevante System-Einheit der jeweiligen Organisation nicht ausgerichtet wirkt: Vielmehr diese mit sich selbst, als mit Ziel und Erreichung beschäftigt zu sein scheint, nicht rund läuft, das Team sich also selbst im Wege steht, so können bei „Organisationsaufstellung“ seine (offensichtlich verdeckten) Anordnungen und Ausrichtungen, welche das interne Zusammenspiel, bedingende Prozesse, wie auch extern-orientierte Abläufe, beeinflussen bis unterbinden, distanziert, also von einem Übergeordneten von außen betrachtet und (aus einer anderen Perspektive) nachvollzogen werden. Daraus kann (zunächst auf jeweiliger Leitungsebene) ein Paradigmenwechsel resultieren.[1]
Ablauf
Bei einer Organisationsaufstellung werden (aus einer systemfremden Seminargruppe) Stellvertreter für zu repräsentierende Mitarbeiter einer Organisationseinheit vom jeweiligen Teamverantwortlichen ausgewählt und anschließend im vorhandenen Raum in Relation zueinander aufgestellt (nach seinem subjektiven Empfinden). Aus der dann subjektiven Anordnung der jeweiligen Mitarbeiter-Positionen werden Beziehungsrelationen über Winkel, Entfernungen und andere Parameter räumlich nachempfunden. So wird auf bildliche Art und Weise die Dynamik des Teams – aus der Position des Verantwortlichen – dargestellt. Diese konstellative Darstellung[2] jener Organisationseinheit wird Erstbild genannt.
Erstbild
Nachdem die einzelnen Positionen (inkl. Leader) einer System-Einheit räumlich abgebildet (aufgestellt) im Raum stehen, scheinen vorerst und primär folgende Überlegungen wesentlich:
- Wer steht mit wem und inwiefern in Beziehung?
- Wie wirken die einzelnen Positionen (der Stellvertreter) und jene abgebildeten Beziehungen auf den Fokus (Stellvertreter des Anliegenträgers - Auftraggebers, bzw. Teamleaders)?
- Inwieweit kann der reale Auftraggeber aus den konstellativen Verhältnissen innerhalb des Erstbildes, bzw. aus verbalen wie nonverbalen Reaktionen seines Fokus sinnvollen Hinweis beziehen, Anregung gewinnen?
Anliegen
Seitens des Auftraggebers ist ein klares Anliegen zur Aufstellungsarbeit erforderlich. Und weil in Organisationseinheiten Dynamiken aus dem Familiensystem[3] eines Vorgesetzten auf die ihm Untergeordneten und deren Produktivität wirken können,[4] ist es zielführend vorab zu klären, ob der Strukturebenenwechsel[5] vom Business-Kontext zum privaten Kontext[6] des jeweiligen Auftraggebers von diesem bei Bedarf gewünscht wird.[7]
Rezeption
Wirtschaftspsychologe Uwe P. Kanning kann der Methode der Organisationsaufstellung nichts abgewinnen. Er hält die aufgestellten Relationen und die diesbezügliche Deutung jeweiligen Erstbildes für willkürlich und glaubt nicht an eine repräsentative Wahrnehmung der Stellvertreter, bezweifelt das Phänomen[8][9] eines sogenannten wissenden Feldes, hält vielmehr ein „gerütteltes Maß an Suggestibilität“ der Teilnehmer für maßgeblich. Ebenso bezweifelt er die innere (visuelle) Repräsentation hierarchischer Ordnung bzw. diesbezüglicher Parameter innerhalb eines (unbewusst organisierten) inneren Bildes[10][11]
Die Organisationsaufstellung wird auch von der systemischen Beratung (als „Tool“) genutzt. Stefan Kühl thematisiert den blinden Fleck der systemischen Beratung hinsichtlich Macht in sozialen Systemen,[12] konkret erläutert sein Politisierungsdilemma jene zunehmend (strukturelle) Hierarchieproblematik in Organisationen.[13] Im Rahmen des (teilweise ausgeblendeten) Parameters Ordnung (innerhalb systemischer Aufstellungsarbeit)[14] lässt sich Kühls Kritik entsprechend einordnen[15] und wurde 2006 aufgegriffen.[16]
Literatur
- Gunthard Weber: Praxis der Organisationsaufstellungen – Grundlagen, Prinzipien, Anwendungsbereiche. Heidelberg 1998.
- Klaus Grochowiak, Joachim Castella: Systemdynamische Organisationsberatung. Heidelberg 1999.
- Klaus Peter Horn, Regine Brick: Organisationsaufstellungen und systemisches Coaching. Offenbach 2001.
- Franz Ruppert: Berufliche Beziehungswelten. Das Aufstellen von Arbeitsbeziehungen in Theorie und Praxis. Heidelberg 2003.
- Martin Kohlhauser, Friedrich Assländer: Organisationsaufstellungen evaluiert. Studie zur Wirksamkeit von Systemaufstellungen in Management und Beratung. Heidelberg 2005.
- Michael Gleich: Organisationsaufstellungen als Beratungsinstrument für Führungskräfte. Eine empirische Analyse. Heidelberg 2008.
- Claude Rosselet, Georg Senoner: Management Macht Sinn. Organisationsaufstellungen in Managementkontexten. Heidelberg 2010.
- Bert Hellinger: Erfolgsgeschichten in Unternehmen und Beruf. Berchtesgaden 2010.
- Bert Hellinger: Themenbezogene Unternehmensberatung. Berchtesgaden 2010.
Weblinks
- Gunthard Weber, 1998/2002: Neun Leiterbilder in Organisationsaufstellungen (PDF).
- Gunthard Weber, 2003: Der kalte Wind der Unternehmen und rekursive Herausforderungen für die Organisationsaufstellungen (PDF; 103 kB).
Einzelnachweise
- Katharina Stresius (DGfS): Studien, Ansätze, Ergebnisse zur Aufstellungsarbeit:
„Organisationsaufstellungen führen weniger zu direkten Anschlusshandlugen, sondern vielmehr zu Haltungs- und Einstellungsänderungen in Bezug auf die bearbeiteten Themen.“ - Gunthard Weber, Fritz B. Simon, Gunther Schmidt: Aufstellungsarbeit revisited. Heidelberg 2013, S. 27: „Sprache als Kommunikationsmedium ist offenbar viel störrischer als der Raum, um Beziehungen darzustellen.“
- Klaus Grochowiak, 2002: Ordnungen der Macht (Memento des Originals vom 23. September 2015 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (PDF), S. 4 f: „Bei Organisations-Aufstellungen, so wie sie heute häufig praktiziert werden, findet oftmals eine Fokussierung auf die Reinszenierung von Konflikten aus der Herkunftsfamilie statt.“
- Rainer Adamaszek: Familien-Biografik. Therapeutische Entschlüsselung und Wandlung von Schicksalsbindungen. Berlin 2011, S. 246: „Üblicherweise kommt es bei den Organisationsaufstellungen darauf an, die dargestellten Konflikte in Betrieben sozusagen von den Eierschalen familialer Verstrickungen zu reinigen.“
- Gunthard Weber, 2003: Der kalte Wind der Unternehmen und rekursive Herausforderungen für die Organisationsaufstellungen (PDF; 103 kB), S. 3.
- Gunthard Weber, 2003: Der kalte Wind der Unternehmen und rekursive Herausforderungen für die Organisationsaufstellungen (PDF; 103 kB), S. 8: „Für die Aufstellungsanleitenden ist es entscheidend wichtig, sich in jedem einzelnen Fall Hypothesen darüber zu bilden, ob sichtbar werdende Beziehungsschwierigkeiten Reinszenierungen von Mustern aus Herkunftssystemen [persönlicher Kontext des Herkunftssystems des Auftraggebers, Anm.] sein können, ob sie sich in der Organisation ausgebildet haben und dort aufrechterhalten werden oder ob die sichtbar werdenden Beziehungskonflikte wie Symptome oder Hinweise für eine dysfunktional gebaute Organisationsstruktur sind.“
- Gunthard Weber, 2003: Der kalte Wind der Unternehmen und rekursive Herausforderungen für die Organisationsaufstellungen (PDF; 103 kB), S. 7.
- Video zum Forschungsprojekt zur Aufstellungsarbeit von Peter Schlötter: Vertraute Sprache und ihre Entdeckung.
- Video zum Forschungsprojekt zur Aufstellungsarbeit von Peter Schlötter: Epilog - Vertraute Sprache und ihre Entdeckung.
- Carola Kleinschmidt, 2005: Organisationsaufstellung als Methode. Effiziente Analyse oder Triumph der Alltagspsychologie? (PDF), S. 36.
- Uwe P. Kanning: Skurriles aus der Welt der Organisationsaufstellung
- Stefan Kühl, 2009: Die blinden Flecken der systemischen Beratung (Memento des Originals vom 8. Dezember 2015 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (PDF), S. 2.
- Stefan Kühl: Wenn die Affen den Zoo regieren. Die Tücken der flachen Hierarchien. Frankfurt a. M./New York 1998.
- Vgl. Marco de Carvalho, Jörgen Klußmann: Konfliktbearbeitung in Afghanistan. Die Systemische Konflikttransformation im praktischen Einsatz bei einem Großgruppenkonflikt (PDF; 791 kB), S. 43 ff.
- Klaus Grochowiak, 2002: Ordnungen der Macht (Memento des Originals vom 23. September 2015 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (PDF), S. 25 ff: „Dass dies durch andere Strukturen, wie informelle Macht, Gewerkschaften, Unkündbarkeit usw. häufig in nicht unerheblichen Maße unterlaufen wird, macht schon deutlich, dass die Macht in Organisationen nicht eindeutig verteilt ist. Dies hat nicht unerhebliche Auswirkungen für die Aufstellungsarbeit.“
- Siegfried Rosner: Systeme in Szene gesetzt. Organisations- und Strukturaufstellungen als Managementinstrument und Simulationsverfahren. Leonberg 2006 (Nachdruck 2015), S. 117: „Wie Stefan Kühl an der exemplarischen Analyse einiger besonders fortgeschrittener ‚postbürokratischer‘ Organisationen gezeigt hat, geraten diese in ein ‚Politisierungsdilemma‘, d. h. die Auflösung von starren Hierarchien und genau abgegrenzten Zuständigkeitsrevieren schafft neue Unsicherheitszonen, eine Art Machtvakuum. ‚Die verflüssigten Strukturen begünstigen die inneren Konkurrenzen und sind manchmal Nährboden für heftige Machtkämpfe.‘ (Kühl 1994, 104).“