Orestes (Präfekt)
Orestes (um 415 n. Chr.) war der Praefectus augustalis der Diözese Ägyptens. Damit war er ein Praefectus Aegypti der römische Provinz Aegyptus. Mit dem amtierenden Bischof von Alexandria Kyrill stand er in Opposition und hatte mit ihm einen dauerhaften Konflikt. Orestes war ein Schüler der spätantiken Mathematikerin, Astronomin und Philosophin Hypatia, die in Alexandria lehrte.
Leben und Wirken
Über seine genaue Biografie ist nur wenig bekannt. Während seines Amtes als Präfekt geriet er im Jahre 415 mit dem Bischof von Alexandria, Kyrill, dem Nachfolger und Neffen von Theophilos von Alexandria, in einen massiven Konflikt. Orestes widersetzte sich Kyrills verstärkten Absichten des kirchlichen Eingriffs in weltliche Vorrechte und politische Ordnung.
Andererseits war Alexandria unter den Patriarchen Theophilus und Kyrill ein besonderer Unruheherd auf Grund des religiösen Konflikts zwischen den extremen Vertretern beider religiöser Systeme, dem Polytheismus und dem frühen Christentum. Von der zweifelsohne größten Eskalation in dieser Zeit, dem Konflikt um das Serapeion, berichtet etwa Rufinus.[1] Kyrill kam zunehmend in Konflikt mit Orestus, der zum römischen Präfekten der Stadt und damit deren weltlichem Herrscher ernannt worden war. Dabei war Orestus zum Christentum übergetreten, vertrat aber einen eher gemäßigten oder pragmatischen Ansatz. Er wehrte sich gegen die Machtspiele des Bischofs Kyrill, indem er sich sogar an den christlichen römischen Kaiser Theodosius II. wandte. Doch seine Beschwerde wurde von diesem zurückgewiesen.[2]
Der Präfekt Orestes genoss die politische Unterstützung von Hypatia, einer bekannten Philosophin, die in der Stadt Alexandria eine beträchtliche moralische Autorität besaß und weitreichenden Einfluss hatte. Eine Ursache für die spätere Ermordung der Hypatia lag möglicherweise auch darin, dass der Präfekt Orestes von einer Gruppe gewalttätiger Mönche (Parabolani) am Kopf verletzt wurde. Der Mönch, der ihn verletzte, konnte gefasst werden. Es war ein gewisser Ammonios (altgriechisch Ἀμμώνιος), den der Präfekt daraufhin festnehmen und hinrichten ließ.
Genauer waren es Nitrianische Mönche, die aus der Wüste Nitria kamen und unter der Bevölkerung von Alexandria einen Aufstand gegen Orestes auslösen wollten. Die Gewalttätigkeit dieser Mönche war gemeinhin bekannt. Namentlich sind Ammonius, Dioscorus, Eusebius und Euthymius erwähnt.[3] Außerdem soll Kyrill fünf Jahre unter ihren Anleitungen in asketischer Ausbildung verbracht haben.
Die Mönche griffen Orestes an und beschuldigten ihn, ein Heide zu sein. Als Orestes durch die Straßen fuhr, wurde er in seinem Wagen von einem Haufen von fünfhundert nitrischen Mönchen angefallen und seine Leibwachen flohen. Orestes wies die Anschuldigungen, ein Heide zu sein, zurück und erklärte, dass er vom Erzbischof von Konstantinopel getauft worden war. Die Mönche ignorierten diesen Sachverhalt und einer von ihnen, Ammonius warf einen Stein, der Orestes am Kopf traf. Der Getroffene blutete stark, doch kamen ihm Bewohner von Alexandria zu Hilfe, nahmen Ammonius gefangen und trieben die übrigen Mönche in die Flucht. Orestes wurde wieder gesund, Ammonius wurde an einem öffentlichen Ort gefoltert und letztlich hingerichtet. Doch Kyrill nahm die Leiche des Ammonius und legte sie in eine Kirche, um ihm den Titel „Thaumasius“ (altgriechisch Θαυμασίου ‚der Wundervolle‘) zu verleihen und seinen Namen in die Liste der Märtyrer aufzunehmen.[4] Die christliche Bevölkerung von Alexandria wusste jedoch, dass Ammonius für seinen Angriff und nicht für seinen Glauben getötet worden war.[5] Der Präfekt informierte Kaiser Theodosius II. und berichtete ihm von den Ereignissen. Kyrill seinserseits schrieb ebenfalls dem Kaiser und stellte seine Version der Ereignisse dar.
Der spätere Mord an seiner Lehrerin zeigt die frühchristliche Gewaltbereitschaft, wobei es zuvor in Alexandria auch zu Übergriffen von Paganen an Christen gekommen war.[6] Im März 415 oder 416 ergriff ein christlicher Mob, Parabolani[7], Hypatia an ihrem Wagen und ermordete sie auf brutalste Weise. Hypatia, wurde in eine Kirche in Alexandria gezerrt, dort auszogen und ihr Körper „lebendig“ mit Scherben zerbrochener Keramik zerteilt.[8] Die Teile ihres Leichnams wurden außerhalb der Stadtmauern verbrannt.[9]
Edward Watts hat allerdings bezweifelt, dass der Tod Hypatias geplant war. Watts weist darauf hin, dass es in der Spätantike des Öfteren zu Konfrontationen zwischen prominenten Persönlichkeiten und einem aufgebrachten Mob kam, dieser aber selten eine Tötungsabsicht verfolgte. Selbst in Alexandria, wo es öfters zu Unruhen kam, waren gezielte Tötungen eher selten; im 4. und 5. Jahrhundert war es zweimal dazu gekommen, und beide Male (361 und 457) waren die Opfer unbeliebte Bischöfe. Es ist auch möglich, dass der Anführer des Mobs, ein gewisser Petros, die Philosophin einschüchtern wollte, damit sie sich von ihrer beratenden Rolle Orestes gegenüber zurückzog, die Situation dann jedoch außer Kontrolle geriet.[10]
Rezeption
In dem 2008 gedrehten Film Agora – Die Säulen des Himmels von Alejandro Amenábar wird Orestes von Oscar Isaac verkörpert.
Literatur
- Arnold Hugh Martin Jones, John Robert Martindale, John Morris: "Orestes 1", The Prosopography of the Later Roman Empire. Cambridge University Press, Cambridge 1971, ISBN 0-521-20159-4, S. 810–811.
- Susan Wessel: Cyril of Alexandria and the Nestorian controversy: the making of a saint and of a heretic. Oxford University Press, Oxford 2004, ISBN 0-19-926846-0.
- Sokrates Scholastikos: Historia ecclesiastica. von Günther Christian Hansen (Hrsg.): Sokrates: Kirchengeschichte. (= Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten Jahrhunderte. Neue Folge, Band 1). Akademie-Verlag, Berlin 1995, ISBN 3-05-002546-8 (kritische Edition mit ausführlicher Einleitung ohne Übersetzung).
- Johannes Hahn: Gewalt und religiöser Konflikt. Studien zu den Auseinandersetzungen zwischen Christen, Heiden und Juden im Osten des Römischen Reiches (von Konstantin bis Theodosius II.). In: Klio. Neue Folge, Beiheft 8, Akademie-Verlag, Berlin 2004, ISBN 3-05-003760-1, S. 78–121
Weblinks
- Britta Weidner: Eine Philosophin im antiken Alexandria. Auf: wissenschaft.de vom 4. März 2010, zuöetzt abgerufen am 22. Januar 2021.
- Sokrates Papasimos: Hypatia: Die Sonne als Zentrum der Planetenbahnen. In: Deutsches Ärzteblstt. – Kultur; vom 23. Mai 2014; Jahrgang 11, Heft 21: A-960 / B-816 / C-773 Auf: aerzteblatt.de.
Einzelnachweise
- Rufinus: Historia ecclesiastica. 11, 22
- Susan Wessel: Cyril of Alexandria and the Nestorian controversy: the making of a saint and of a heretic. Oxford University Press, Oxford 2004, ISBN 0-19-926846-0, S. 34.
- François Zenon Collombet: Geschichte des Kirchenvaters Hieronymus: sein Leben, seine Zeit, seine Schriften und seine Lehre. Band 2, Setzer, Rottweil am Neckar 1848, S. 160.
- Eduard Gibbon: Der Sieg des Islams. Zweites Kapitel: Die Spaltung der orientalischen Sekten. (online Auf: projekt-gutenberg.org).
- Catherine Nixey: Heiliger Zorn. Wie die frühen Christen die Antike zerstörten. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2017, ISBN 978-3-421-04775-5, S. 187–202.
- Hartmut Leppin: Theodosius der Große. Auf dem Weg zum christlichen Imperium (= Gestalten der Antike.). Primus, Darmstadt 2003, ISBN 3-89678-471-4, S. 169 ff.
- Sokrates Scholastikos: Historia ecclesiastica 7,15.
- Fußnote 31 aus Catherine Nixey: Heiliger Zorn. Wie die frühen Christen die Antike zerstörten. München 2017, S. 202–203, hiernach variieren die Berichte über die Angriffe; Sokrates Scholastikus: Historia ecclesiastica gäbe über die Ereignisse die verlässlichsten Informationen; ferner berichteten noch Johannes von Nikiu: Chronica 84.87, Damaskios, Hesychios von Alexandria.
- Christopher Haas: Alexandria in Late Antiquity: Topography and Social Conflict. Johns Hopkins University Press, Baltimore 2006, ISBN 0-8018-8541-8, S. 312.
- Edward Jay Watts: Hypatia: the life and legend of an ancient philosopher (= Women in antiquity.). Oxford University Press, Oxford/ New York 2017, ISBN 978-0-19-007370-1, S. 115 f.