Onesikritos
Onesikritos (altgriechisch Ὀνησίκριτος Onēsíkritos, latinisiert Onesicritus; * im 4. Jahrhundert v. Chr.; † im 4. oder 3. Jahrhundert v. Chr.) aus Astypalea war ein griechischer Geschichtsschreiber. Er verfasste eine nur in Fragmenten überlieferte Biographie Alexanders des Großen. Als Philosoph war er Kyniker.
Leben
Onesikritos war ein Schüler des Diogenes von Sinope und nahm in fortgeschrittenem Alter im Gefolge Alexanders des Großen am Alexanderzug teil.[1] Alexander soll ihn 326 v. Chr. in Indien ausgewählt haben, um eine Besprechung mit den Gymnosophisten zu halten.
Als die am Fluss Hydaspes erbaute Flotte die Rückreise antrat, diente Onesikritos (der wohl als Inselgrieche über seemännische Erfahrungen verfügte) zunächst für die Schifffahrt am Hydaspes und Indus als Steuermann des königlichen Schiffs Alexanders.[2] Anschließend fungierte er während der Rückfahrt der Flotte von der Indusmündung zum Persischen Golf als Obersteuermann unter dem Kommando des Nearchos, wobei es zwischen beiden zu einigen Spannungen kam. Als nämlich die Flotte bei Kap Maketa die Einfahrt in den Persischen Golf erreicht hatte, machte Onesikritos die verwegene Empfehlung, nicht den Weg durch den Golf zu nehmen, sondern westlich längs der arabischen Küste weiterzusegeln und Arabien zu umschiffen. Onesikritos behauptete, dass dies die leichtere Route sei. Sein Vorschlag widersprach Alexanders Anweisung, keine Entdeckungsreise zu unternehmen, sondern die unterworfenen Gebiete geopolitisch zu erschließen. Nearchos sprach sich strikt dagegen aus und sagte Onesikritos deutlich seine Meinung. Er führte aus, dass eine Reise längs der arabischen Küste noch mehr unbekannte Gefahren bergen könne und deshalb für alle sehr riskant wäre. Mit diesen Argumenten konnte er sich durchsetzen, sodass die Route durch den Persischen Golf gewählt wurde.[3] Dennoch wurde Onesikritos ebenso wie Nearchos nach der Rückkehr in Susa mit einem Goldkranz ausgezeichnet.[4]
Nach seinem eigenen Zeugnis war Onesikritos Anfang 324 v. Chr. bei der Selbstverbrennung des indischen Gymnosophisten Kalanos anwesend.[5] Laut einer von Plutarch erzählten Anekdote soll Onesikritos dem Diadochen Lysimachos, als dieser bereits König von Thrakien war, also nach 305 v. Chr., aus dem vierten Buch seiner Alexandergeschichte die unhistorische Episode von dem angeblichen Treffen Alexanders mit einer Amazonenkönigin (s. u.) vorgelesen haben. Lysimachos, der zum Zeitpunkt dieser vermeintlichen Begegnung in der Nähe Alexanders gewesen war, habe Onesikritos nur angelächelt und gefragt, wo er sich denn damals aufgehalten habe.[6] Ansonsten sind Details aus Onesikritos’ Leben nach dem Tod Alexanders und das Jahr seines Ablebens unbekannt.
Werk
Onesikritos schrieb eine Biografie Alexanders (πῶς Ἀλέξανδρος ἤχθη, Wie Alexander aufwuchs),[7] die zusätzlich zu den geschichtlichen Details auch Beschreibungen der besuchten Länder enthielt, vor allem über Indien. Nach dem Tod Alexanders vollendete Onesikritos sein Werk am Hofe des Lysimachos, König von Thrakien. Die Zuverlässigkeit des Werks, das nur fragmentarisch erhalten ist, gilt als gering. Besonders Strabon tadelte Onesikritos für seine Lobhymnen, Übertreibungen und wegen seines Hangs zum Fantastischen. Durch Kleitarchos wissen wir, dass Onesikritos auch den Mythos einer Begegnung Alexanders mit Thalestris, Königin der Amazonen, begründet hat. Das Werk ist im strengen Sinne wohl nicht als Geschichtswerk, sondern eher als eine Art historischer Roman zu betrachten. Sein Periplus (Beschreibung der Küsten Indiens) war vermutlich Teil seines Werkes und wurde auch von Plinius dem Älteren verwendet.
Onesikritos war ein Schüler des kynischen Philosophen Diogenes von Sinope und wird von dem antiken Philosophiehistoriker Diogenes Laertios zu den Kynikern gezählt. Auch die erhaltenen Fragmente seiner Biographie Alexanders zeigen seine Beeinflussung durch kynisches Gedankengut. So trägt etwa die Lebensweise der Gymnosophisten sowie der Menschen im Land des Musikanos am unteren Indus – wie Onesikritos sie beschreibt – deutliche Züge der von den Kynikern propagierten Lebensweise. Etwa sollen sie auf Luxus verzichtet und in Askese gelebt haben.[8]
Textausgaben, Quellensammlungen, Übersetzungen
Originaltexte (Fragmente und Testimonien)
- Gabriele Giannantoni: Socratis et Socraticorum Reliquiae, Band 2, Bibliopolis, Neapel 1990, Abschnitt V-C (online).
- Felix Jacoby: Die Fragmente der griechischen Historiker, Teil 2,B, Weidmann, Berlin 1926–1930, Nr. 134 (enthält alle antiken Zeugnisse).
Übersetzung
- Georg Luck (Hrsg.): Die Weisheit der Hunde. Texte der antiken Kyniker in deutscher Übersetzung mit Erläuterungen (= Kröners Taschenausgabe. Band 484). Kröner, Stuttgart 1997, ISBN 3-520-48401-3, S. 227–231.
Literatur
- Truesdell S. Brown: Onesicritus. A study in Hellenistic historiography. University of California Press, Berkeley 1949; Nachdruck Kraus Reprint, Millwood (N.Y.) 1974.
- Marie-Odile Goulet-Cazé: Onésicrite d'Astypalaea. In: Richard Goulet (Hrsg.): Dictionnaire des philosophes antiques. Band 4, CNRS Éditions, Paris 2005, ISBN 2-271-06386-8, S. 776–780.
- Klaus Meister: Die griechische Geschichtsschreibung. Stuttgart 1990, S. 108–110.
- Marek Winiarczyk: Die hellenistischen Utopien (= Beiträge zur Altertumskunde. Band 293). De Gruyter, Berlin/Boston 2011, ISBN 978-3-11-026381-7, S. 73–115.
Anmerkungen
- Diogenes Laertios, Leben und Lehren berühmter Philosophen 6,84; Strabon, Geographie 15,1,65; Plutarch, De Alexandri Magni fortuna aut virtute oratio 331e.
- Arrian, Anabasis 6,2,3 und Indika 18,9–10.
- Arrian, Indike 32,7–13; dazu Siegfried Lauffer: Alexander der Große. dtv, 3. Auflage, München 1993, ISBN 3-423-04298-2, S. 163 und Hermann Strasburger: Onesikritos. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band XVIII,1, Stuttgart 1939, Sp. 460–467 (hier: Sp. 463).
- Arrian, Anabasis 7,5,6.
- Onesikritos, in: Felix Jacoby: Die Fragmente der griechischen Historiker (FGrH), Nr. 134, F 18.
- Plutarch, Alexander 46,4 f.
- Diogenes Laertios, Leben und Lehren berühmter Philosophen 6,84.
- Klaus Döring: Onesikritos. In: Hellmut Flashar (Hrsg.): Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike, Band 2/1, Schwabe, Basel 1998, S. 295–296.