Oberer Riedhof
Der Obere Riedhof war eine Pflegeeinrichtung in Grimmelfingen, heute ein Stadtteil von Ulm.
Geschichte
Der Obere Riedhof war ein städtisches Hofgut mit einem schlossartigen Hauptgebäude.[1]
Die Einrichtung wurde 1892 als „Armenbeschäftigungs- und Bewahranstalt“ vom Württembergischen Landesarmenverband gegründet, in der obdachlose, alte, kranke und behinderte Menschen untergebracht wurden. Die Anstalt kooperierte mit der Brüderanstalt Karlshöhe in Ludwigsburg, von der auch die Krankenpfleger und die Gärtner kamen. Die Anstalt war von einer strengen, religiös ausgerichteten Hausordnung geprägt. Die Insassen mussten arbeiten, soweit sie irgendwie arbeitsfähig waren.[2]
Als die Einrichtung 1924 in den Landesfürsorgeverband überging, wurde sie in „Landesfürsorgeanstalt“ umbenannt.[3]
Zeit des Nationalsozialismus
1937 zählte die Einrichtung 360 Plätze.[4]
Der Amtsarzt Eduard Schefold[5] besuchte jedes Jahr die Anstalt. Er untersuchte die Pfleglinge des Riedhofs erbbiologisch und empfahl als Gutachter gegebenenfalls die Unfruchtbarmachung.[2] Leiter des Riedhofs war Robert Herschlein. Vor dem Hintergrund von drei Schwangerschaften unter den Insassen forderte Herschlein 1936 die anderen Heil- und Pflegeanstalten dazu auf, die Patienten vor der Verlegung in den Riedhof unfruchtbar zu machen.[2] Insassen mit geistigen Behinderungen hatten kaum eine Chance, der Zwangssterilisation zu entgehen.
Im Riedhof wurden vor der Aktion T4 121 geistesschwache Menschen gezählt. Am 23. August 1940 wurden 40 Bewohner in die Tötungsanstalt Grafeneck verlegt und dort ermordet; zu den Bewohnern zählte beispielhaft Bertha Rabausch. Am 19. November wurden weitere 15 Heimbewohner nach Grafeneck gebracht und dort ermordet.[2] Drei Bewohner, die an Typhus erkrankt waren, wurden in die Heilanstalt Weißenau zwischenverlegt und später in Grafeneck vergast.[2]
Weitere 27 Menschen wurden ab Juli 1941 nach Zwiefalten verlegt.[2]
Nachdem die „unnützen Esser“ entfernt worden waren, wurde die Anstalt zum Altersheim.[2]
Nachkriegszeit
Zum Oberen Riedhof gehörte ein eigener Friedhof, auf dem Hunderte verstorbene Bewohner begraben wurden.[3]
1974 wurde der Riedhof geschlossen und durch den Tannenhof Ulm ersetzt. Die Bürger von Grimmelfingen bemühen sich, den Friedhof des Oberen Riedhofs, der sich auf einem Grundstück der Stadt Ulm befindet, als Denkmal zu erhalten.[3]
2004 wurde am einstigen Standort des Riedhofs beim Ratiopharm-Logistikzentrum eine Stele zur Erinnerung an die Ermordeten errichtet.[3][6] Die Tabuisierung des Ortes und des Themas wirkt aber bis heute nach.[7]
Einzelnachweise
- Oberer Riedhof - Aufgegangen - Detailseite - LEO-BW. In: leo-bw.de. Abgerufen am 12. November 2017.
- Walter Wuttke: Die Innere Mission und ihre Rolle bei der Zwangssterilisation und den nationalsozialistischen Krankenmorden. Das Beispiel „Oberer Riedhof“ in Ulm. Vortrag vom 19. Oktober 1999 in der Volkshochschule Ulm.
- Jakob Resch: Grimmelfinger wollen Erinnerung an die Fürsorgeanstalt wachhalten. SWP, 22. September 2016.
- Hans Laehr: Die Anstalten für Geisteskranke, Nervenkranke, Schwachsinnige, Epileptische, Trunksüchtige usw. in Deutschland, Österreich und der Schweiz einschließlich der psychiatrischen und neurologischen wissenschaftlichen Institute. Walter de Gruyter GmbH & Co KG, 1937, ISBN 978-3-111-64860-6, S. 94 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Walter Wuttke: Amtsarzt Dr. Eduard Schefold. In: Wolfgang Proske (Hrsg.): Täter Helfer Trittbrettfahrer. NS-Belastete aus Baden-Württemberg, Band 2: NS-Belastete aus dem Raum Ulm/Neu-Ulm. Ulm : Klemm + Oelschläger, 2013 ISBN 978-3-86281-008-6, S. 163–169
- Rudi Kübler: Namen für die Opfer. SWP, 30. Dezember 2015
- Südwest Presse Online-Dienste: Vergast in Grafeneck. In: swp.de. 24. November 2015, abgerufen am 12. November 2017.