Nina Gladitz
Nina Gladitz (* 1946 in Kirchzarten;[1] † April 2021[2][3] in Schwäbisch Gmünd) war eine deutsche Dokumentarfilm-Regisseurin und Autorin.
Leben und Werk
Nina Gladitz studierte an der Hochschule für Fernsehen und Film München.[4] Sie nahm um 1975 aktiv am Kampf gegen das Kernkraftwerk Wyhl in Baden-Württemberg teil und drehte darüber 1976 den Dokumentarfilm Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv, der erst 1980 in Dänemark uraufgeführt wurde.[5][6] „Das war bester Agitprop, und ausnahmsweise mit durchschlagender Wirkung: Das geplante Kernkraftwerk wurde nicht gebaut, „weil es politisch nicht durchsetzbar“ war,“ schrieb die Süddeutsche Zeitung in einem Nachruf auf Gladitz.[7]
1982 dokumentierte sie in ihrem Film Zeit des Schweigens und der Dunkelheit für den Westdeutschen Rundfunk (WDR) die Entstehungsgeschichte des Spielfilms Tiefland von Leni Riefenstahl, mit dem Fokus auf das Schicksal der dort als Komparsen eingesetzten rund 100 Sinti und Roma. Gladitz wies nach, dass die Menschen aus dem Zwangslager Salzburg-Maxglan als Statisten für den Film geholt und anschließend in Auschwitz ermordet wurden. 1985 wurde sie deshalb von Leni Riefenstahl verklagt, die mehrere Streichungen von Filmpassagen durchsetzen wollte. 1987 wies das Oberlandesgericht Karlsruhe die Klage in mehreren Punkten ab, in zwei Punkten gab es der Klage statt und verhängte ein Aufführungsverbot.[8][9][10][11][12] Man könne nicht nachweisen, dass Riefenstahl etwas über die Ermordung der Komparsen gewusst habe, befand das Gericht. Erhalten blieb jedoch die These, Riefenstahl habe die Zwangsarbeiter persönlich ausgewählt.[13] Nach dem Prozess bekam Gladitz weder vom WDR noch von anderen Anstalten der ARD weitere Aufträge.[14]
Das 2020 von Gladitz veröffentlichte Buch Leni Riefenstahl – Karriere einer Täterin vertieft die Vorwürfe gegen Riefenstahl unter anderem wegen der Ausnutzung des Regisseurs Willy Zielke.[15][16][17][18][19][20][21] Zielke wurde von der NS-Medizin wegen psychischer Probleme entmündigt und zwangssterilisiert, laut Gladitz ging das auf einen „Plan“ von Riefenstahl zurück. Leni Riefenstahl habe sich Hitler, Goebbels, Himmler und Streicher virtuos gefügig gemacht und „bis zum Ende ganz in dessen Sinn, auch in ihrer Unterstützung der „Endlösung““ gehandelt, schrieb Gladitz laut der Frankfurter Allgemeinen in ihrem Buch.[22]
In einem offenen Brief an den WDR-Intendanten Tom Buhrow forderte 2021 der Autor und Journalist Gerhard Beckmann, Gladitz‘ Film über Riefenstahl der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Riefenstahls Argument, Gladitz habe sich mit den Sinti und Roma „gemein“ gemacht, sei nicht mehr justiziabel. Es sei inakzeptabel, widerrechtlich und politisch nicht zu vertreten, den Film im „Giftschrank“ zu belassen.[23]
Filme (Auszug)
Buchveröffentlichung
- Leni Riefenstahl – Karriere einer Täterin. Orell Füssli, Zürich 2020, ISBN 978-3-280-05730-8
Auszeichnungen
- 1974: »Best Documentary of the Year«, Chicago International Film Festival
- 1986: »Reinhold-Schneider-Preis« der Stadt Freiburg im Breisgau[27]
Weblinks
- Literatur von und über Nina Gladitz im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Nina Gladitz in der Internet Movie Database (englisch)
- Kurzbiografie und Rezensionen zu Werken von Nina Gladitz bei perlentaucher.de
- Albrecht Götz von Olenhusen: Schonungslose Recherchen zur NS-Vergangenheit einer legendären Regisseurin. Nachwort zur neuen Studie von Nina Gladitz über Leni Riefenstahl, literaturkritik.de 11/2020
- Kate Connolly: Burying Leni Riefenstahl: one woman’s lifelong crusade against Hitler’s favourite film-maker, The Guardian, 9. Dezember 2021
Einzelnachweise
- Nina Gladitz selbst hat 2018 hier in der Wikipedia als ihren Geburtsort „Schwäbisch Gmünd“ angegeben.
- Die Wahrheit über Riefenstahl, junge Welt, 3. Mai 2021
- Hier wurde der Tod bereits am 20. April eingetragen und von der Gmünder Tagespost schon am 21. April gemeldet.
- Willi Winkler: Nachruf auf Nina Gladitz: Aktiv statt radioaktiv. In: Süddeutsche Zeitung. 29. April 2021, abgerufen am 31. Mai 2021.
- Gut Freund. In: Der Spiegel, 48/1976, 22. November 1976, S. 220
- Philipp Osten, Gabriele Moser, Christian Bonah, Alexandre Sumpf, Tricia Close-Koenig und Joël Danet (Hrsg.): Das Vorprogramm – Lehrfilm, Gebrauchsfilm, Propagandafilm, unveröffentlichter Film in Kinos und Archiven am Oberrhein, 1900–1970 (PDF-Datei; 25,0 Megabyte), auf: uni-heidelberg.de. A25 Rhinfilm, Heidelberg / Strasbourg 2015, ISBN 978-3-00-049852-7, S. 60
- Willi Winkler: Nina Gladitz: Zum Tod der Filmemacherin. In: Süddeutsche Zeitung. 29. April 2021, abgerufen am 3. August 2021.
- Leni Riefenstahl und ihr Film »Tiefland«, auf: derfunke.at
- Hanno Kühnert: Recht für Unrecht. In: Die Zeit, 32 (1985), 2. August 1985, auf: zeit.de
- Hanno Kühnert: Wenn Juristen Vergangenheit klären. In: Die Zeit, 14 (1987), 27. März 1987
- Petra Sorge: Die Sklavenhalterin (PDF-Datei; 916 Kilobyte), auf: petra-sorge.de
- Nina Gladitz: Ich stelle gern meine Körpermasse zur Verfügung, Offener Brief an Leni Riefenstahl. In: Die Tageszeitung, 31. Oktober 2000, auf: taz.de
- DER SPIEGEL: Regisseurin Nina Gladitz ist tot: Bekannt wurde die Dokumentarfilmerin mit ihrer Kritik an Leni Riefenstahl. Abgerufen am 3. August 2021.
- Nina Gladitz: “Leni Riefenstahl. Karriere einer Täterin” - Abrechnung mit Hitlers Lieblingsregisseurin. In: Deutschlandfunk Kultur. 4. Mai 2021, abgerufen am 3. August 2021.
- Leni Riefenstahl – Das Ende eines Mythos Arte 22. Oktober 2020 : auf arte.tv/de, auf youtube, auf facebook
- |Nina Gladitz: Leni Riefenstahl – Karriere einer Täterin. , von Anne Kohlick, Deutschlandfunk Kultur 30. Oktober 2020 Audio-Version
- Martin Doerry, DER SPIEGEL: So skrupellos war Leni Riefenstahl wirklich: Neue Studie zur Regisseurin und Hitler-Vertrauten - DER SPIEGEL - Kultur. Abgerufen am 18. Oktober 2020.
- Leni Riefenstahl: Mit Hitler befreundet, von Goebbels gelobt, von Susan Vahabzadeh, Süddeutsche Zeitung 10. Dezember 2020
- Leni Riefenstahl: Das Ende eines Mythos Filmdienst.de 15. November 2020
- Gnadenlose Abrechnung mit Regie-Diva von Oliver Schulz, 18. November 2020, Nordwest-Zeitung
- Schonungslose Recherchen zur NS-Vergangenheit einer legendären Regisseurin von Albrecht Götz von Olenhusen, Literaturkritik.de
- Bert Rebhandl: Buch über Leni Riefenstahl: Unter der Protektion des Führers. In: FAZ.NET. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 3. August 2021]).
- Doku über Riefenstahl weiterhin im Giftschrank - "Inakzeptabel, widerrechtlich, politisch unvertretbar". In: Deutschlandfunk Kultur. Abgerufen am 7. September 2021.
- Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv, auf: filmportal.de
- Zeit des Schweigens und der Dunkelheit, auf: filmportal.de
- Perlasca – Die Wasser des Lebens, auf: filmportal.de
- Reinhold-Schneider-Preis – Preisträger, auf: freiburg.de