Natürliche Sprache
Als natürliche Sprache bezeichnet man in der Sprachwissenschaft eine von Menschen gesprochene Sprache oder eine Gebärdensprache, die aus einer ungesteuerten historischen Entwicklung entstanden ist.
Davon unterschieden werden Plansprachen, bei denen alle grammatischen Eigenschaften bewusst festgesetzt und beibehalten werden (zum Beispiel Esperanto).
In einer anderen Blickrichtung stehen natürliche Sprachen im Gegensatz zu formalen Sprachen, z. B. Programmiersprachen oder Logikformalismen. Diese dienen nicht als allgemeine Kommunikationsmittel und zeigen auch nicht die Einbettung in parasprachliches Verhalten, das den Gebrauch natürlicher Sprachen zusätzlich kennzeichnet – also Gestik, Mimik und Tonfall zur Modulation der Kommunikation. Formale Sprachen versuchen vor allem, für einen definierten Zweck strukturelle und lexikalische Unschärfen und Uneindeutigkeiten natürlicher Sprachen zu vermeiden.
Zur Abgrenzung des Begriffs
Natürliche Sprachen können in begrenzter Weise von Prozessen der Festschreibung und Planung beeinflusst werden, ohne ihren Status als natürliche Sprache zu verlieren.
So werden natürliche Sprachen manchmal zum Gegenstand von Sprachplanung, jedoch erfolgen sprachplanerische Eingriffe in der Regel für begrenzte Zeit auf der Basis bestehender natürlicher Entwicklungen. Sie betreffen dann nur wenige, oft eher äußerliche und soziale Aspekte einer Sprache (z. B. eher die Bevorzugung oder Verschmelzung von Varietäten als ihre Entstehung) und greifen kaum in die Grundlagen des grammatischen Systems ein.
Einen Grenzfall bilden ferner „tote Sprachen“, also Sprachen, die in einer historisch erstarrten Form weiter tradiert werden, aber nicht mehr durch Kinder in einem ungesteuerten Prozess als Muttersprache erworben werden. Aufgrund der ursprünglich natürlichen Entstehung fallen auch sie noch unter natürliche Sprache.
Rolle des Begriffs in der Allgemeinen Sprachwissenschaft
Die Eigenschaften, die natürliche Sprachen in ihrem grammatischen Bau und Vokabular haben, sind aufgrund der ungesteuerten Entwicklung durch die Bedingungen geprägt, die im frühkindlichen Mutterspracherwerb herrschen, ferner durch die Anforderungen von Kommunikationssituationen und letztlich auch durch die genetische Ausstattung bzw. körperliche und mentale Konstitution des Menschen. Diese Zusammenhänge zwischen äußeren Bedingungen und der Entwicklung sprachlicher Formen zu erforschen, sowie möglicherweise hieraus erklärbare Sprachuniversalien, ist ein Gegenstand der Allgemeinen Sprachwissenschaft.
Die scharfe Abgrenzung gegen Plansprachen, die in der sprachwissenschaftlichen Forschung teilweise geschieht, erklärt sich daraus, dass Plansprachen, eben aufgrund ihrer willkürlichen Schaffung, über die genannten Zusammenhänge keine Aufschlüsse geben. Sie können auch bekannten Entwicklungstendenzen und Sprachuniversalien zuwiderlaufen.
Computerlinguistik
In der Computerlinguistik (Natural Language Understanding, NLU) bezeichnet das Attribut „natürlichsprachig“ die Fähigkeit eines Sprachdialogsystems (Interactive Voice Response, IVR), Äußerungen, die aus ganzen Sätzen bestehen, zu verarbeiten sowie mehrere Informationen aus einem einzigen Satz zu extrahieren. „Natürlichsprachig“ steht hier also vor allem im Gegensatz zu einer formalsprachlichen Repräsentation.
Dabei wird unterschieden zwischen Computerlinguistik, also dem Verstehen natürlicher Sprache, und Sprachdialogsystem, die auf die Erkennung einer sprachlichen Eingabe die durch eine Grammatik, wie etwa die Speech Recognition Grammar Specification, oder Tastentönen (Mehrfrequenzwahlverfahren, MFV) beschränkt ist.
Literatur
- Theodor Lewandowski: Linguistisches Wörterbuch. 4., neu bearbeitete Auflage. Quelle & Meyer, Heidelberg 1985, ISBN 3-494-02050-7, Stichwort: „natürliche Sprache“.