Mudschaddid
Als Mudschaddid (arabisch مجدد, DMG muǧaddid ‚Erneuerer‘) wird eine Person bezeichnet, die gemäß einem angeblichen Prophetenspruch[1] zu Beginn eines jeden muslimischen Jahrhunderts die Religion des Islams erneuert. Im Laufe der Jahrhunderte gab es unter maßgeblichen Experten heftige Auseinandersetzungen, wer als Erneuerer des Islam anerkannt werden soll. Genannt werden unter anderen Herrscher, Juristen, Philosophen und Theologen.
In der frühen Neuzeit wurden die Erneuerer der früheren Jahrhunderte mehrfach in Listen zusammengestellt. So nennt zum Beispiel Muhammad Qāsim al-Qassār, der wichtigste Religionsgelehrte am Hofe des marokkanischen Herrschers Ahmad al-Mansur (1578–1603), in einem Gedicht die folgenden Persönlichkeiten als Erneuerer: ʿUmar ibn ʿAbd al-ʿAzīz (Ende des 1. Jhs), asch-Schāfiʿī (2. Jh.), Abū l-Hasan al-Aschʿarī (3. Jh.), al-Bāqillānī und al-Isfarāyinī (4. Jh.), al-Ghazali (5. Jh.), Fachr ad-Din ar-Razi (6. Jh.), Ibn Daqīq al-ʿĪd (7. Jh.), al-Bulqīnī und Abū l-Fadl al-ʿIrāqī (8. Jh.), as-Suyūtī (9. Jh.).[2]
Über die Frage, wer der Erneuerer der Religion am Ende des 10. islamischen Jahrhunderts war (das Jahr 1000 der Hidschra entspricht dem Jahr 1591/92 u. Z.), gab es in der islamischen Welt sehr unterschiedliche Vorstellungen. Während al-Qassār in einem anderen Gedicht seinen eigenen Herrscher Ahmad al-Mansūr als den Erneuerer seiner Zeit präsentierte und dabei dessen prophetische Abkunft betonte,[3] meinte man in sufischen Kreisen Marokkos, dass Abū l-Mahāsin al-Fāsī (gest. 1604), der Gründer der bekannten Zawiya der Fāsīyūn in Fès,[4] "der Erneuerer am Ende des Jahrtausends" (al-mudschaddid ʿalā raʾs al-alf) sei.[5] In Mekka nahm der produktive hanafitische Gelehrte ʿAlī al-Qārī den Mudschaddid-Rang für sich selbst in Anspruch,[6] und in indischen Naqschbandi-Kreisen war man um die Mitte des 17. Jahrhunderts überzeugt, dass dieser Rang allein dem Gelehrten Ahmad as-Sirhindī (gest. 1624) gebühre. Der Ausdruck Mudschaddid-i alf-i thānī ("Erneuerer des zweiten Jahrtausends") wurde zu einem festen Titel as-Sirhindīs.[7]
Zu denjenigen, die im 20. Jahrhundert als Erneuerer im Sinne der Mudschaddid-Tradition angesehen wurden, gehörte Said Nursî, der Begründer der Nurculuk-Bewegung.
Literatur
- Arabische Quellen
- ʿAbdallāh ibn Muḥammad al-Fāsī: al-Iʿlām bi-man ġabara min ahl al-qarn al-ḥādī ʿašar. Ed. Fāṭima Nāfiʿ. Beirut 2008.
- Sekundärliteratur
- Hamid Algar: "The Centennial Renewer: Bediuzzaman Said Nursi and the Tradition of Tajdid" in Journal of Islamic Studies 12 (2001) 291–311.
- E. van Donzel: "Mudjaddid" in The Encyclopaedia of Islam. New Edition Bd. VII, S. 290.
- Ignaz Goldziher: Zur Charakteristik Gelal ud-Din us-Suyuti's und seiner literarischen Thätigkeit. In: J.Desomogyi (Hrsg.): Gesammelte Schriften. Bd. I. 52ff. G.Olms, Hildesheim 1967
- Ella Landau-Tasseron: "The 'Cyclical Reform': A Study of the mujaddid Tradition" in Studia Islamica 70 (1989) 79–117.
- H. Lazarus-Yafeh: "„Tajdid al-din“: a reconsideration of its meaning, root and influence in Islam" in W. Brinner and S.Ricks (eds): Studies in Islamic and Judaic Tradition. Institute of Judaic and Islamic Studies. Denver University Scholars Press. Atlanta 1986. S. 99–108.
Belege
- Abū Dāwūd: Sunan, Kitāb al-Malāḥim, Bāb mā yuḏkar fī qarn al-mīʾa, Nr. 4291
- Das Gedicht wird zitiert in al-Fāsī: al-Iʿlām bi-man ġabara. 2008, S. 48.
- Vgl. al-Fāsī: al-Iʿlām bi-man ġabara. 2008, S. 49.
- Vgl. dazu Ch. Pellat: Art. "al-Fāsī" in The Encyclopaedia of Islam. New Edition Bd. XII, S. 302–303.
- Vgl. al-Fāsī: al-Iʿlām bi-man ġabara. 2008, S. 61.
- Vgl. Patrick Franke: "Querverweis als Selbstzeugnis - Individualität und Intertextualität in den Schriften des mekkanischen Gelehrten Mulla ‘Ali al-Qari (gest. 1014/1606)" in St. Reichmuth u. Fl. Schwarz (Hg.): Zwischen Alltag und Schriftkultur: Horizonte des Individuellen in der arabischen Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts. Beirut-Würzburg 2008. S. 131–163. S. 158.
- Vgl. dazu Yohanan Friedmann: Shaykh Aḥmad Sirhindī. An outline of his thought and a study of his image in the eyes of posterity. Montreal-London 1971. S. 13–21.