Menzerathsches Gesetz
Das Menzerathsche Gesetz (oft auch Menzerath-Altmann-Gesetz, englisch Menzerath's law) ist eines der Ergebnisse der Quantitativen Linguistik. Es bedeutet, dass die Komplexität der direkten Bestandteile einer sprachlichen Einheit abhängig ist von der Komplexität der Einheit selbst.
Am Beispiel des Verhältnisses der Silben zu den Wörtern, deren Bestandteile sie sind: Die Länge der Silben eines Wortes ist abhängig von der Zahl der Silben, die das Wort hat. Das heißt: Untersucht man eine große Zahl von Wörtern, dann lässt sich zeigen, dass die Länge der Silben dieser Wörter sich mit der Länge der Wörter ändert. Dieses Gesetz gilt jedoch nicht nur für das Verhältnis von Wort und Silbe, sondern ganz allgemein auch bei kleineren und größeren sprachlichen Einheiten.
Zur Entwicklung des Menzerath-Gesetzes
Bereits im 19. Jahrhundert wurde die Hypothese aufgestellt, dass die Dauer der Laute eines Wortes mit seiner Länge abnimmt.[1] Menzerath & de Oleza (1928) erweiterten diese Hypothese um die Aussage, dass bei zunehmender Silbenzahl der Wörter die Silben selbst durchschnittlich kürzer werden.
Hieraus entwickelte sich folgende Hypothese:
Je größer das Ganze, desto kleiner die Teile.
Auf den Bereich der Linguistik spezifiziert:
Je größer ein sprachliches Konstrukt, desto kleiner seine Konstituenten.
Altmann, Heups und Köhler zeigten Anfang der 80er Jahre mit quantitativen Methoden, dass dieses Postulat auch auf größere Konstrukte der natürlichen Sprache angewandt werden kann: Je größer der Satz, desto kleiner die einzelnen Teilsätze (Clauses) etc. Voraussetzung für derartige Zusammenhänge ist, dass eine Beziehung zwischen Einheiten (hier: Satz) und ihren direkten Konstituenten (hier: Teilsatz) untersucht wird.[2] Betrachtet man die Beziehung zwischen Einheiten, die über eine Zwischenebene miteinander verbunden sind (also: indirekte Konstituenten), ändert sich ihre Relation: Je komplexer der Satz, desto komplexer/größer die Wörter (Zwischenebene: Teilsatz/Clause). Diese Relation ist als Arenssches Gesetz bekannt, benannt nach Hans Arens, der eine entsprechende Untersuchung angestellt hat.[3]
Aus der Hypothese, dass die Veränderung der Konstituentenlänge proportional zur Änderung der Konstruktlänge erfolgt, und der zusätzlichen Annahme einer Störgröße lässt sich nach Altmann & Schwibbe (1989: 6-7) folgendes mathematische Modell ableiten: mit den Spezialfällen (für ) und für .
Beispiel: Morphlängen in Abhängigkeit von der Wortlänge
Um die Gültigkeit des Menzerathschen Gesetzes zu überprüfen, hat Gerlach (1982)[4] ein Wörterbuch des Deutschen[5] mit rund 15000 Stichwörtern komplett ausgewertet. Die Anpassung des Modells ergab folgendes:
1 | 2391 | 4,53 | 4,33 |
2 | 6343 | 3,25 | 3,37 |
3 | 4989 | 2,93 | 2,91 |
4 | 1159 | 2,78 | 2,62 |
5 | 112 | 2,65 | 2,42 |
6 | 13 | 2,58 | 2,26 |
Dabei ist : Zahl der Morphe pro Wort, die Zahl der Wörter im Wörterbuch mit der Länge ; die beobachtete durchschnittliche Länge der Morphe (Zahl der Phoneme pro Morph); die Länge der Morphe, die berechnet wird, wenn man die angegebene Form des Menzerathschen Gesetzes an die beobachteten Daten anpasst; der F-Test ergab mit ein sehr gutes Ergebnis. Man sieht sehr deutlich, dass die Morphlänge abnimmt, wenn die Wortlänge zunimmt. Ergebnis: das Menzerathsche Gesetz ist für diesen Text ein gutes Modell. Für ausführlichere Erläuterungen sei auf die angegebene Literatur verwiesen.
Der Länge von Silben in Abhängigkeit von der Wortlänge widmen sich Asleh & Best (2004/5) für deutsche und italienische Beispiele; eine neue Untersuchung behandelt das Thema am Beispiel des Griechischen.[6]
Zur Benennung und Leistung des Gesetzes
Das Menzerathsche Gesetz wird seit seiner mathematischen Formulierung und Verallgemeinerung durch Altmann (1980) auch als Menzerath-Altmann-Gesetz oder Menzerath-Altmannsches Gesetz bezeichnet. Es strukturiert die Sprache von den sogenannten "Satzaggregaten" (Hřebíček: Gruppen von Sätzen mit gleichen Lexemen) als größten Einheiten bis hinunter zu den Lauten/Phonemen.[7] Zumindest bei einer Teilklasse der japanischen Kanji-Schriftzeichen scheint sich dieses Gesetz ebenfalls zu bewähren.[8]
Zur Geltung des Gesetzes
Das Menzerath-Gesetz hat sich in vielen Untersuchungen zu verschiedensten sprachlichen Phänomenen in etlichen Sprachen bewährt. Darüber hinaus kann es jedoch auch in anderen Bereichen als der Sprachwissenschaft angewendet werden. So ergaben Untersuchungen, dass das soziale Verhalten von Pavian-Gruppen ebenfalls dem Menzerathschen Gesetz entspricht: Je größer die gesamte Gruppe, desto kleiner sind die untergeordneten sozialen Gruppen.[9]
Siehe auch
Literatur
- Gabriel Altmann: Prolegomena to Menzerath's Law. In: R. Grotjahn (ed.): Glottometrika 2, Brockmeyer, Bochum 1980, S. 1–10. ISBN 3-88339-104-2.
- Gabriel Altmann, Michael Schwibbe: Das Menzerathsche Gesetz in informationsverarbeitenden Systemen. Olms, Hildesheim, Zürich, New York 1989, ISBN 3-487-09144-5.
- Laila Asleh, Karl-Heinz Best: Zur Überprüfung des Menzerath-Altmann-Gesetzes am Beispiel deutscher (und italienischer) Wörter. In: Göttinger Beiträge zur Sprachwissenschaft. 10/11, 2004/05, S. 9–19.
- Irene M. Cramer: Das Menzerathsche Gesetz. In: Reinhard Köhler, Gabriel Altmann, Rajmund G. Piotrowski (Hrsg.), Quantitative Linguistik – Quantitative Linguistics. Ein internationales Handbuch. de Gruyter, Berlin/ New York 2005, ISBN 3-11-015578-8, S. 659–688.
- Peter Grzybek & Gabriel Altmann, Gabriel: Oscillation in the frequency-length relationship. In: Glottometrics 5, 2002, S. 97–107 (PDF Volltext).
- Peter Grzybek, Emmerich Kelih & Ernst Stadlober: The relation between word length and sentence length: an intra-systemic perspective in the core data structure. In: Glottometrics 16, 2008, S. 111–121 (PDF Volltext).
- Luděk Hřebíček: Lectures on Text Theory. Academy of Sciences of the Czech Republic, Oriental Institute, Prague 1997, ISBN 80-85425-26-2.
- Luděk Hřebíček: Variation in Sequences. Academy of Sciences of the Czech Republic, Oriental Institute, Prague 2000, ISBN 80-85425-37-8.
- Paul Menzerath: Die Architektonik des deutschen Wortschatzes. Dümmler, Bonn/ Hannover/ Stuttgart 1954.
- Paul Menzerath, J. M. de Oleza: Spanische Lautdauer. Eine experimentelle Untersuchung. de Gruyter, Berlin/ Leipzig 1928.
Weblinks
Einzelnachweise
- Karl-Heinz Best: Eduard Sievers (1850–1932). In: Glottometrics 18, 2009, ISSN 1617-8351, S. 87–91. (PDF Volltext).
- Siehe dazu die Übersichten in Altmann & Schwibbe 1989.
- Gabriel Altmann: H. Arens' „Verborgene Ordnung“ und das Menzerathsche Gesetz. In: Manfred Faust, Roland Harweg, Werner Lehfeldt, Götz Wienold (Hrsg.): Allgemeine Sprachwissenschaft, Sprachtypologie und Textlinguistik. Festschrift für Peter Hartmann. Narr, Tübingen 1983, ISBN 3-87808-215-0, S. 31–39.
- Rainer Gerlach: Zur Überprüfung des Menzerath'schen Gesetzes im Bereich der Morphologie. In: Werner Lehfeldt, Udo Strauss (eds.): Glottometrika 4. Brockmeyer, Bochum 1982, ISBN 3-88339-250-2, S. 95–102. Gerlach hatte die Form des Menzerath-Gesetzes erfolgreich verwendet. Die mit neu berechneten Daten sind auf Seite 49 zu finden bei: Gabriel Altmann, Michael H. Schwibbe: Das Menzerathsche Gesetz in informationsverarbeitenden Systemen. Olms, Hildesheim/Zürich/New York 1989, ISBN 3-487-09144-5.
- Es handelt sich um: Gerhard Wahrig (Hrsg.): dtv-Wörterbuch der deutschen Sprache. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1978, ISBN 3-423-03136-0.
- Georgios Mikros, Jiří Milička: Distribution of the Menzerath's law on the syllable level in Greek texts. In: Gabriel Altmann, Radek Čech, Ján Mačutek, Ludmila Uhlířová (eds.): Empirical Approaches to Text and Language Analysis dedicated to Luděk Hřebíček on the occasion of his 80th birthday. RAM-Verlag, Lüdenscheid 2014, ISBN 978-3-942303-24-8, S. 180–189.
- lql.uni-trier.de (Memento des Originals vom 29. Dezember 2015 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Claudia Prün: Validity of Menzerath-Altmann's Law: Graphic Representation of Language, Information Processing Systems and Synergetic Linguistics. In: Journal of Quantitative Linguistics 1, 1994, S. 148–155.
- Altmann & Schwibbe 1989, S. 99 ff.