Lucienne Lanaz
Lucienne Lanaz (* 1937 in Zürich) ist eine schweizerische Dokumentarfilmerin.[1] Ihr Schaffen wurde mit dem Preis der Künste, der Literatur und der Wissenschaften 2017 des Berner Jura Rates (Conseil du Jura bernois – CJB) gewürdigt.[2][3]
Werdegang
Lucienne Lanaz ist in Zürich aufgewachsen, lebt und arbeitet in einem Bauernhaus in Grandval im Berner Jura. Ihre verschiedenen Ausbildungen als kaufmännische Angestellte und Sportlehrerin ihre Arbeit als Sekretärin beim Internationalen Komitee des roten Kreuzes (IKRK) und als Simultanübersetzerin auf Filmfestivals hielten sie in Bewegung. Ab 1972 arbeitete sie als Assistentin in Schweizer Filmproduktionen. 1974 arbeitete sie mit Marcel Leiser am Dokumentarfilm Le Bonheur à Septante (Spätes Glück) und mit ihrem ersten Dokumentarfilm Fire, Smoke, Sausages (Die Räucherküche, 1976) wurde sie unabhängige Regisseurin und Produzentin. Sie gründete als Autorenfilmerin ihre eigene Produktionsfirma die Jura-Films, um ihre Filme selbst herauszubringen. Weil die Lage für Filmerinnen katastrophal war, taten sich einige Filmemacherinnen unter anderem Isa Hesse, Greti Kläy, Isolde Marxer, Tula Roy zusammen und gründeten 1975 Verein CH-Filmfrauen der bis Ende der Achtzigerjahre aktiv war. Ein Text von Lucienne Lanaz über das Frauenfilmfestival in Sorrento ca. 1977 beschreibt die Situation in den 80er und 90er Jahren:
„«Die Frauengruppe ‹Nemesis›, selbstbewusste, junge, schöne Italienerinnen, hatte das Festival organisiert und unter anderem liefen auch Filme von Isa und mir. Eines Abends schlugen die ‹Nemesis›-Frauen vor, in eine Diskothek zu gehen. Was passiert in Süditalien, wenn etwa zwanzig Frauen in ein solches Lokal kommen und miteinander tanzen, ohne die Männer zu beachten? Krach! Es fing an mit dem Entleeren von Champagnergläsern in die Dekolletés der Frauen und andere körperliche Aggressionen und wurde fortgesetzt mit Kampf Mann gegen Frau, Frau gegen Mann, kaum glaubhaft, aber wahr. Das Lokal wurde kurzerhand vom Besitzer geschlossen und Männlein und Weiblein fanden sich am grossen Platz wieder, wo die Schlacht weiterging: mit Blumentöpfen, in Anwesenheit von Journalisten und Polizisten. Die Männer rührten keinen Finger, um den Frauen zu helfen, selbst dann nicht, als die Ambulanz kommen musste, um eine von den Frauen, die von einem Blumentopf getroffen war, ins Spital zu bringen. Das zweite Erlebnis hat nichts mit Italien, sondern mit der Schweiz zu tun. In der selben Woche fand in Sorrento eine ‹Schweizer Filmwoche› statt, die von Herrn Boissonas, Pro Helvetia, organisiert war. Eingeladene Gäste waren unter anderem Robert Boner, Freddy Buache, Rolf Lyssy, Georg Radanowicz, Francis Reusser und Alain Tanner. Isa und ich waren überrascht, dass wir nicht zum Schweizer Empfang eingeladen wurden – und so sind wir, als Filmfrauen-Schweizer Delegation, ungefragt einfach am Empfang erschienen und haben uns öffentlich über das ‹Vergessen› beklagt. Peinliches Schweigen. Ich frage mich noch heute, ob man uns diesen ‹faux pas› jemals verziehen hat. Einige wenige Jahre gelang es, eine Frauengruppe zu losen Treffen zu animieren, zu Diskussionen, Ideenaustausch über Filme und Mitarbeit. In Cugnasco bei Isa trafen sich z. B. 1986 Dorothy Cox, Dagmar Heinrich, Isolde Marxer, Su Meili, Verena Moser, Marianne Pletscher, Ingrid Städelin und Maya Wegmüller. Isa, Tula Roy und ich gehörten schon zu den älteren Semestern …»“
1979/80 veröffentlicht sie in gemeinsamer Regie mit Anne Cuneo, Erich Liebi und Urs Bolliger die 75' minütige humorvollen Dokumentation zur Schweizer Filmwochenschau Ciné-journal au feminin, (Das Bild der Frau in der Schweizer Filmwochenschau) eine Recherche um dieses Medium auf Repräsentationen von Frauen abzuklopfen. Von 9000 Beiträgen ging es in 300 davon auch um Frauen, in 12 nur um Frauen. Die Schweizer Filmwochenschau strahlte in den 1940er-Jahren bis 1975 im Kino vor dem Hauptfilm aktuelle Informationen aus die objektiv informieren und unabhängigen Geist stärken sollten.[5]
Ehrenmitglied der Schweizerischen Vereinigung der Filmregisseure. Seit 5 Jahren Mitglied des Komitees der Schweizerischen Kinogesellschaft; seit 8 Jahren Mitglied der Foto-, Kino- und Videokommission des Kantons Bern; seit 15 Jahren aktives Mitglied der Arbeitsgruppe für den Film des Alpinale-Vorarlberg, Österreich.
Lanaz war Mitarbeiterin bei verschiedenen internationalen Festivals. So war sie Präsidentin, Europabeauftragte, in der Festivalkoordination. und Mitglied der Internationalen Jury der Bludenzer Festspiele (1990, 1993, 1997) und Mitglied der Internationalen Jury der Festivals Bilbao (1978), Imola (1996), San Giovanni Lupatoto (1997), Oberhausen (2001) Leeds (2001). Im Jahr 2008 hielt sie im Rahmen des Internationalen Filmfestivals Freiburg Filmlesungen an der Hochschule für Soziale Arbeit Freiburg.[6]
Preise und Auszeichnungen
- 1995: Grand Prix des San Gio' Video Festivals für ihr Gesamtwerk
- 2017: Kunst-, Literatur- und Wissenschaftspreis des Conseil du Jura Bernois CJB für ihr Lebenswerk
Preise für Filme
- 1989: Internationaler Jury-Preis beim Visual Anthropology Festival in Pärnu, Estland für Feu, fumée, saucisse
- 2003: Silberner Bär des Festival of Nations in Ebensee, Österreich für Nous déclinons toute responsabilité...
- 2009: Preis für den besten Dokumentarfilm beim Festival de Cine in Granada, Spanien für Nous déclinons toute responsabilité...
- 2016: Einer der 12 Preise der Fondation Créativité au Troisième Age für L'enfance retrouvée
Filmografie
- 1974: Spätes Glück (Le Bonheur à septante ans), in KoRegie mit Marcel Leiser, Genf und Bern, 24'
- 1976: Feu, fumée, saucisse (Die Räucherküche), Grandval, Schweiz, 22'
- 1978: Menschen im Alltag – Porträt einer Verkäuferin (Portrait d'une vendeuse), für das Fernsehen DRS, Brig, Schweiz, 25'
- 1979: La forge (Die Schmiede), Corcelles, Schweiz, 34'
- 1979: La composition (Der Aufsatz), La Chaux-de-Fonds, Schweiz, 17'
- 1980: Das Bild der Frau in der Schweizer Filmwochenschau / Ciné-Journal au Féminin, in Ko-Regie mit Anne Cunéo, Lausanne, 75'
- 1980/81 J'ai un droit sur mon corps (Ich habe ein Recht auf meinen Körper...), Zurich, Schweiz, 25'
- 1987: Queen of Elastic, Deutschland, in Ko-Regie mit Grety Kläy, 30‘
- 1989: Pour un son de cloche (Glocken Gestaltung Guss und Klang), Aarau, Schweiz, 23'
- 1992: Setu Lauluema, Estland, 14'
- 1989/90: Meine Freunde in der DDR[7] (La demande en voyage), Deutsche Demokratische Republik, 100'
- 1995: Cauchemars… De derrière les barreaux (Alpträume... Hinter Gittern), Schweiz, 12'
- 1996: Trois gouttes pour le futur (Drei Tropfen für die Zukunft), Burkina Faso, 73' 30"
- 1997: Una brecha en el bloqueo (Eine Bresche durch die Blockade), Kuba, 54'
- 1998: Salvador, Kuba, 15' 31"
- 1999: La Lupa – Grazie alla vita,[8] Schweiz, 90'
- 2002: Nous déclinons toute responsabilité... (jede Haftung wird abgelehnt...), Grandval, Schweiz, 13’
- 2003: Douleur et révolte[9] (Schmerz und Revolte), Ägypten und Israel, 42'
- 2003: Donna Anna,[10] Anne-Loïse Raboud, Krankenschwester, Brasilien, 60'
- 2006: Vous avez dit Soroptimist?Vous avez dit Soroptimist?[11] (Haben Sie Soroptimist gesagt?), Genf, Schweiz, 30'
- 2007: Une maison pas comme les autres[12] (Ein Haus wie kein anderes), Grandval, Schweiz, 70'
- 2009: Super cow,, La vache, die Kuh, fermer la porte, die Türe zu, Experimentalfilm, 3‘
- 2010: Une descente de bois avec Max et Maurice, (Eine Holzfuhre mit Max und Maurice), Crémines, Schweiz, 33’
- 2014: L'enfance retrouvée – Les petites familles[13] (Kindheit – Ein neues Leben in «Les petites familles»), Schweiz, 93'
- 2020: GIANERICA – Das Künstlerpaar Erica und Gian Pedretti[14] La Neuveville und Graubünden, Schweiz, 55'
Weiterführende Literatur
- 2007: Histoire du Cinéma Suisse 1966 – 2000, unter der Leitung von Hervé Dumont und Maria Torajada, Kinemathek der Schweiz, Lausanne, Verlag Gilles Attinger, Hauterive.
- 2004: Pionnières et Créatrices en Suisse romande XIXème et XXème siècles, Dienststelle für die Gleichstellung von Mann und Frau, Verlag Slatkine, CH-Genf.
- 2002: Clé d’art, elektronisches Kultur-Jahrbuch des frankophonen Kanton Bern (CH),
- 2001: doc vision ch, dokumentarfilmschaffende aus der Schweiz, Verlag clandestin, CH-2542 Pieterlen.
Weblinks
- Lucienne Lanaz bei swissfilms.ch
- Emanzipation und Wahlrecht der Frauen: Wie die Filmwochenschau berichtete. 50 Jahre #Frauenstimmrecht Memoriav – Verein zur Erhaltung des audiovisuellen Kulturgutes der Schweiz, 21. Januar 2021
- Lucienne Lanaz in der Internet Movie Database (englisch)
Einzelnachweise
- Lucienne Lanaz. Abgerufen am 26. Januar 2021.
- Galerie numérique. Abgerufen am 26. Januar 2021 (französisch).
- Lucienne Lanaz primée par le CJB. Abgerufen am 26. Januar 2021 (französisch).
- Erich Langjahr Root (Switzerland): Langjahr-Film Distribution: Isa Hesse: Biografie und Filme. Abgerufen am 26. Januar 2021.
- Anne Cuneo auf der Suche nach der Frau in der Wochenschau. SRF, 13. März 2015, abgerufen am 29. Januar 2021.
- DIJU - Dictionnaire du Jura – Lanaz, Lucienne (1937-). Abgerufen am 26. Januar 2021.
- Meine Freunde in der DDR. In: Lexikon des internationalen Films. Filmdienst, abgerufen am 12. November 2021.
- La Lupa – Grazie alla vita auf swissfilms.ch
- Douleur et révolte auf swissfilms.ch
- Dona Anna auf artfilm.ch
- Vous avez dit Soroptimist? auf swissfilms.ch
- Une maison pas comme les autres auf swissfilms.ch
- L'enfance retrouvée – Les petites familles auf swissfilms.ch
- GIANERICA - Das Künstlerpaar Erica und Gian Pedretti auf swissfilms.ch