Liebespaar (Gemälde)
Liebespaar, auch Gothaer Liebespaar, ist die Bezeichnung für ein Doppelbildnis, das im Spätmittelalter um 1480 entstand und dem Hausbuchmeister (Zeichnerhand II) zugeschrieben wird. Es handelt sich um das erste großformatige Doppelbildnis in der deutschen Tafelmalerei, das eine weltliche, nicht-liturgische Szene darstellt.
Bildbeschreibung
Das Bild hat ein Format von 118 cm × 82,5 cm[1] und ist farblich in einem kühlen, fast herben Grundton gehalten. Es ist sehr kontrast- und detailreich gestaltet. In diesen Details strahlt es eine natürliche Frische und Anmut aus, die die strenge Stilisierung des kühlen Grundtons durchbricht.
Das Bild zeigt zwei sich liebevoll zuneigende Personen unter zwei Spruchbändern sowie dem gräflichen Hanauischen Wappen. Der Mann trägt als Zeichen der Liebe einen Kranz wilder Rosen auf dem Kopfe. Die weibliche Person hält ein kunstfertig geformtes „Schnürlein“ (vgl. Text im Spruchband) und eine kleine Rose als Liebessymbole in Händen. Das „Schnürlein“ war ein Merkzeichen, das an der Kleidung befestigt wurde und auf das Alte Testament zurückgeht. In der entsprechenden Bibelstelle (Mose 4,15,38) heißt es:
„Und der HERR sprach zu Mose: Rede mit den Kindern Israel und sprich zu ihnen, daß sie ihnen Läpplein machen an den Fittichen ihrer Kleider unter allen euren Nachkommen und gelbe Schnürlein auf die Läpplein an die Fittiche tun.“[2]
Das Hanauische Wappen stand zur Zeit der Entstehung des Bildes um 1480 für die Grafschaft Hanau-Münzenberg. Als dargestellte Personen werden deshalb Graf Philipp I. von Hanau-Münzenberg (1449–1500) und Margarete Weißkircher angenommen, mit der dieser nach dem Tod seiner Gattin Adriana von Nassau (1449–1477) zusammenlebte. Das Bild wäre dann vielleicht anlässlich seiner ersten Pilgerreise ins Heilige Land (1484–1485) entstanden. Gegen diese Identifizierung wurden in jüngerer Zeit gewichtige Einwände von historischer Seite erhoben.[3] So kämen bei dem Wappen auch die Herren von Eppstein in Frage.[4]
Inhalt und Interpretation des Spruchbandes
Über dem Paar schwebt ein zweigeteiltes Spruchband. Neben der Initiale (dem schmückenden „S“) des rechten Spruches gegenüber dem schmucklosen „U“ der linken Seite zeigt auch der Inhalt der Zwiesprache an, dass die Aussage der Frau in der rechten Bildhälfte am Anfang steht und der Mann die Aussage erwidert.[5] Der in alemannischer Mundart verfasste Text lautet:
- Frau (Spruchband der rechten Bildseite): Sye hat uch nyt gantz veracht Dye uch daß schnurlin hat gemacht.
- Mann (Spruchband der linken Bildseite): vn byllich het Sye eß gedan want Ich han eß sye genissē lan.
Ins heutige Deutsch übertragen lautet das Spruchband in etwa wie folgt:
- Frau: Sie hat Euch nicht ganz verachtet, die Euch das Schnürlein hat gemacht.
- (frei übersetzt: Sie, die Euch das Schnürlein hat gemacht, hat Euch sehr gern.)
- Mann: Und billig hätt´ sie es getan, weshalb ich habe es sie genießen lassen.
- (frei übersetzt: Und mit Recht hat sie es getan, weshalb ich habe es ihr wohl ergehen lassen.)
Ähnlich Gertrud Rudloff-Hille in einer gereimten Übertragung:
- Sie hat euch nicht ganz veracht, die euch dies Schnürlein hat gemacht!
- Und mit Recht hat sie's getan, hat sie doch ihren Anteil dran.[6]
Es handelt sich um ein Treueversprechen des Paares, das – durch Kleidung und das Geschenk des golddurchwirkten Schnürleins – in standesgemäßer und damit ebenbürtiger Art und Weise dargestellt ist.[5] Der Mann versichert, für das Wohl der Frau gesorgt zu haben (und damit auch in der Zukunft zu sorgen). Vorausgesetzt, es handelt sich um den genannten Philipp I. von Hanau-Münzenberg, würde dies mit der Tatsache konform gehen, dass eine Heirat bei bürgerlicher Herkunft der Margarete Weißkircher für einen Grafen nicht standesgemäß und damit nicht erlaubt war. Das Treueversprechen hätte aber auch dann einen logischen historischen Bezug, wenn es sich bei der Abbildung um eine idealisierte Darstellung der spätmittelalterlichen Liebe handelt und keine optische Ähnlichkeit mit den gemeinten Personen hergestellt wurde.
Die in den 1990er Jahren publizierte Sichtweise, es handele sich beim Inhalt der Spruchbänder um die Thematisierung einer „unbilligen“ im Sinne von „unrechtmäßigen“ Mesalliance,[7] wurde in neuerer Zeit zurückgewiesen.[5][8] Einer Lesart von Un byllich als Unbillig steht allein schon aus technischer Sicht entgegen, dass zwischen allen Wörtern des Spruchbandes grafische Trennzeichen stehen, so auch zwischen diesen beiden.[5] Die Intention des Bildes wird gleichwohl bis in die Gegenwart kontrovers diskutiert, was sowohl an der Bildsprache als auch der nicht vollständig erschließbaren Lesart des Spruchbandes liegt, das mehrdeutige Auslegungen ermöglicht. So wird weibliche Eifersucht als Liebesbeweis im Sinne der Liebeslehre des Andreas Capellanus in den Attributen vermutet, und mit dem Bild eine zeitübergreifende Apotheose auf die Geheimnisse der Liebe dargestellt. Dies setzt aber eine völlig andere Lesart des Spruchbandes voraus: Eine von der Frau angesprochene, andere weibliche Person hätte demnach schon vor der hier dargestellten Liebesbeziehung das Schnürlein des Mannes angefertigt.[9]
Ausstellung
Das Bild befindet sich seit mindestens 1854 in Gotha und ist heute Teil der Gemäldesammlung der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha. Nach einer Restaurierung war es ab 1997 im Schlossmuseum auf Schloss Friedenstein ausgestellt. Eine Ausstellung von 1998 unter dem Titel „Jahreszeiten der Gefühle. Das Gothaer Liebespaar und die Minne im Spätmittelalter“ übernahm weitgehend die Sichtweise von Daniel Hess, nach der die Identität der dargestellten Personen mit Philipp I. von Hanau-Münzenberg eindeutig geklärt und das Bild anlässlich der Pilgerreise im Jahre 1484 entstanden sei.[10]
Seit Oktober 2013 ist es ein Glanzpunkt der im wiedereröffneten Herzoglichen Museum Gotha zu besichtigenden Gemäldesammlung.
Ein ähnlich aufgebautes Bild mit entsprechendem Textbezug aus Mainz ist nur kopial im Stammbuch der Familie Eisenberger erhalten, dieses stammt jedoch aus dem späten 16. Jahrhundert.
Literatur
- Martin Büchsel: Die höfische Kunst der Distanzierung und die Entwicklung des selbstbewussten Künstlertums. Das mittelalterliche Hausbuch, ehemals im Besitz der Familie zu Waldburg Wolfegg, und das Gothaer Liebespaar. In: Martin Büchsel, Hilja Droste und Berit Wagner (Hrsg.): Kunsttransfer und Formgenese in der Kunst am Mittelrhein 1400–1500. Berlin 2019, S. 299–341.
- Eberhard Nellmann: Das ‘Gothaer Liebespaar’. Dokument einer Mesalliance? Hinweis auf eine andere Geliebte? Zu den Spruchbandversen des Gothaer Bildes. In: Zeitschrift für Deutsches Altertum und Deutsche Literatur 138, Nr. 2 (2009), S. 214–220.
- Josef Heinzelmann: Das „Gothaer Liebespaar“ ist ein Liebespaar, in: Archiv für Hessische Geschichte und Altertumskunde 57 (1999), S. 209–236.
- Allmuth Schuttwolf: Jahreszeiten der Gefühle. Das Gothaer Liebespaar und die Minne im Spätmittelalter. Hatje Cantz Verlag, 1998. ISBN 3-7757-0733-6
- Reinhard Dietrich: Die Landesverfassung in dem Hanauischen = Hanauer Geschichtsblätter 34, Hanau 1996. ISBN 3-9801933-6-5
- Gertrud Rudolff-Hille: Das Doppelbildnis eines Liebespaars unter dem Hanauischen Wappen im Schlossmuseum Gotha, in: Bildende Kunst (1968), S. 19.
- Hans Martin Schmidt: Das Liebespaar des Hausbuchmeisters, in: 675 Jahre Hanau, Katalog-Nr. 89, Abb. 135.
- Ernst Julius Zimmermann: Hanau Stadt und Land, 3. Auflage, Hanau 1919, ND 1978.
Weblinks
- Meister des Amsterdamer Kabinetts: Das Gothaer Liebespaar: Um 1480/1485 museum-digital.de (abgerufen am 2. Februar 2012)
Einzelnachweise
- Website thue.museum-digital.de
- Bibeltext (Luther-Bibel)
- Karl-Heinz Spieß: Dynastie und Herrschaft der Grafen von Hanau im Spätmittelalter. In: Allmuth Schuttwolf (Hg.): Das Gothaer Liebespaar und die hohe Minne im Spätmittelalter. Jahreszeiten der Gefühle, Ostfildern-Ruit 1998, S. 34–42. Josef Heinzelmann: Das „Gothaer Liebespaar“ ist ein Liebespaar. In: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde NF 57 (1999), S. 209 ff.
- Hartmut Bock: Die Verlobung Eppstein-Eppstein 1494 und das "Gothaer Liebespaar". In: Mainzer Zeitschrift 87/88, 1992/93 (1995), S. 157–182.
- Eberhard Nellmann: Das ‘Gothaer Liebespaar’. Dokument einer Mesalliance? Hinweis auf eine andere Geliebte? Zu den Spruchbandversen des Gothaer Bildes. In: Zeitschrift für Deutsches Altertum und Deutsche Literatur 138, Nr. 2 (2009), S. 214–220. (PDF-Download)
- Gertrud Rudloff-Hille, Das Doppelbildnis eines Liebespaares unter dem Hanauischen Wappen im Schloßmuseum in Gotha. In: Bildende Kunst (Berlin) Band 16, 1968, S. 19–23.
- Daniel Hess: Das Gothaer Liebespaar. Ein ungleiches Paar im Gewand höfischer Minne. Frankfurt am Main, 1996. ISBN 3-596-13090-5
- Bernd Kratz: “‘Vnbyllich Het Sye Eß Gedan’. Die Inschrift Des ‘Gothaer Liebespaar’-Gemäldes.” Zeitschrift Für Kunstgeschichte 63, Nr. 1, 2000, S. 120–132. https://doi.org/10.2307/1587428.
- Matthias Kirchhoff: Eifersucht im Herzen. Zu Aufbau und Inhalt des ‘Gothaer Liebespaares.’ Zeitschrift Für Deutsches Altertum Und Deutsche Literatur, Bd. 142(3), 2013, S. 329–343
- Allmuth Schuttwolf: Jahreszeiten der Gefühle. Das Gothaer Liebespaar und die Minne im Spätmittelalter. Hatje Cantz Verlag, 1998. ISBN 3-7757-0733-6