Kinsauer Zahnradbahn
Die Kinsauer Zahnradbahn war eine normalspurige Werksbahn in der oberbayerischen Gemeinde Kinsau. Sie führte vom an der Bahnstrecke Landsberg am Lech–Schongau gelegenen Bahnhof Kinsau zur Holzstofffabrik der Papierfabrik Hegge. Die 3,5 Kilometer lange Strecke wurde 1907 als erste Zahnradbahn im Königreich Bayern eröffnet. Aufgrund der starken Steigung am Steilhang des Lechs wurde die Strecke auf einem Teilabschnitt mit einer Zahnstange des Systems Riggenbach ausgestattet. 1929 wurde die Zahnradbahn aufgrund der Einstellung der Holzstoffproduktion stillgelegt.
Kinsauer Zahnradbahn | |||||||||||||||||||||||||
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Lok 3379 mit Güterwagen auf dem Zahnstangenabschnitt | |||||||||||||||||||||||||
Streckenlänge: | 3,5 km | ||||||||||||||||||||||||
Spurweite: | 1435 mm (Normalspur) | ||||||||||||||||||||||||
Maximale Neigung: | 150 ‰ | ||||||||||||||||||||||||
Zahnstangensystem: | Riggenbach | ||||||||||||||||||||||||
Höchstgeschwindigkeit: | bis 1913: 10 km/h ab 1913: 20 km/h | ||||||||||||||||||||||||
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Geschichte
Planung und Bau
Anfang 1898 erwarb die Kemptener Papierfabrik Hegge eine südlich des Ortes Kinsau am Lech gelegene Sägemühle und beantragte 1901 den Bau einer Holzstofffabrik an dieser Stelle. 1902 wurde die Baugenehmigung erteilt, sodass die Philipp Holzmann & Cie GmbH 1905 mit dem Bau beginnen konnte. Ein Problem stellte der Transport des Materials von der Fabrik zur Papierherstellung in Kempten dar. Etwa zwei Kilometer entfernt befand sich der 1886 eröffnete Bahnhof Kinsau an der Strecke Landsberg am Lech–Schongau, der jedoch 75 Höhenmeter über der Holzstofffabrik lag.
Zur Verbindung zwischen Bahnhof und Fabrik wurde eine Eisenbahnstrecke vorgesehen. Da für eine Adhäsionsbahn die Steigung entlang des Lechsteilhangs zu stark war, plante die Papierfabrik eine Zahnradbahn. Die Strecke sollte in Normalspur errichtet werden, um die Eisenbahnwagen ohne Umladen im Bahnhof Kinsau direkt von der Fuchstalbahn zur Holzstofffabrik fahren zu können. Am 7. Februar 1906 stellte die Papierfabrik Hegge den Bauantrag für die Bahnstrecke, der am 15. Juli 1906 genehmigt wurde.
Die Bauarbeiten begannen direkt nach der Erteilung der Baugenehmigung im Juli 1906. Mit dem Bau der Gleise und einer Zahnradlokomotive wurde die Maschinenfabrik Esslingen beauftragt. Die Strecke wurde mit einer Zahnstange der Bauart Riggenbach ausgerüstet. Neben den beiden Endbahnhöfen entstand in der Streckenmitte ein Abstellgleis, das als Rangierbahnhof bezeichnet wurde.
Drei Tage nach dem Produktionsbeginn in der Holzstofffabrik wurde am 15. Februar 1907 die Lokomotive von der Maschinenfabrik Esslingen geliefert. Aufgrund technischer Mängel wie fehlender Schienenräumer wurde die Lok jedoch nicht abgenommen. Dadurch verzögerte sich die Inbetriebnahme und der am 12. Februar 1907 begonnene Holzstofftransport zum Bahnhof Kinsau musste zunächst mit Pferdefuhrwerken durchgeführt werden. Am 26. Juli 1907 nahm die Fabrik nach Beseitigung der Mängel den Betrieb auf der Zahnradbahn auf.[1][2]
Betrieb und Stilllegung
Krauss Nr. 6749[3] | |
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Anzahl: | 1 |
Hersteller: | Krauß & Comp. |
Baujahr(e): | 1913 |
Spurweite: | 1435 mm (Normalspur) |
Gesamtradstand: | 2800 mm |
Leermasse: | 24000 kg |
Dienstmasse: | 30000 kg |
Höchstgeschwindigkeit: | 20 km/h |
Treibraddurchmesser: | 962 mm |
Zahnradsystem: | Riggenbach |
Anzahl Antriebszahnräder: | 1 |
Größe Zahnräder: | 955 mm |
Zylinderanzahl: | 2 |
Zylinderdurchmesser: | 440 mm |
Kolbenhub: | 540 mm |
Kesselüberdruck: | 12 atm |
Rostfläche: | 1,2 m² |
Verdampfungsheizfläche: | 65 m² |
Wasservorrat: | 2500 kg |
Brennstoffvorrat: | 700 kg Kohle |
Nach der Betriebsaufnahme brachte die zweiachsige Tenderlokomotive der Bauart B/a-n2t mit der Nummer 3379 täglich drei bis vier Wagen von der Holzstofffabrik zum Bahnhof Kinsau. Die Geschwindigkeit der Bahn war relativ gering; auf dem Zahnstangenabschnitt war eine Höchstgeschwindigkeit von 6 km/h erlaubt, während auf dem Reibungsabschnitt 10 km/h zugelassen wurden. Ein Zug war mit drei Personen besetzt, einem Lokführer, einem Heizer und einem Bremser. Bergauf konnte die Lok einen Wagen transportieren, während talwärts zwei Wagen gezogen werden durften.
Im Mai 1908 rollten nach einem Kupplungsriss zwei Wagen die Strecke zum Lech hinunter und wurden am Streckenende bei der Holzstofffabrik zertrümmert. Nach diesem Unfall war es nur noch erlaubt, die Lokomotive talseitig des Zuges einzusetzen, sodass die Wagen bergauf geschoben werden mussten. Dafür wurden die Gleisanlagen des Rangierbahnhofs umgebaut. Auf dem Steigungsabschnitt wurden Sperrschwellen installiert, um das unbeabsichtigte Hinunterrollen von Wagen zukünftig zu verhindern.
Da die Lokomotive zunehmend überlastet war, verschlechterte sich ihr Zustand und es wurden mehrmonatige Revisionen notwendig. Da der Fahrbetrieb nicht unterbrochen werden sollte, beschloss die Fabrik Hegge den Erwerb einer zweiten Lokomotive. 1913 lieferte die Lokomotivfabrik Krauß & Comp. die zweite zweiachsige Tenderlok der Bauart B/a-n2t mit der Nummer 6749. Sie war leistungsfähiger als die erste Lok und erreichte eine Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h auf dem Reibungsabschnitt und 10 km/h auf der Zahnradstrecke. Die erste Lokomotive diente seitdem als Reservelok. Für die beiden Lokomotiven entstand bei der Holzstofffabrik ein einständiger Lokschuppen.
Aufgrund der geringen Transportleistung und der hohen Unterhaltskosten wurde der aufwändige Betrieb nach dem Ersten Weltkrieg zunehmend unwirtschaftlich. Ab 1922 wurde die Holzstofffabrik zusätzlich als Elektrizitätswerk genutzt. 1929 stellte die Papierfabrik Hegge die Holzstoffproduktion vollständig ein und ersetzte die Holzschleifer durch Generatoren für die Stromerzeugung. In der Folge wurde der Betrieb auf der Zahnradbahn eingestellt. Im Mai 1929 fand die letzte Transportfahrt statt und die letzten vier Güterwagen wurden abtransportiert. Am 20. August 1929 legte die Deutsche Reichsbahn die Anbindung der Zahnradbahn in Kinsau still. Die beiden Zahnradlokomotiven wurden an die Papierfabrik Albbruck verkauft.[4] 1932 wurden die Gleise demontiert und wenig später die einzige Brücke bei einer Militärübung gesprengt.[5] Einige Relikte der Strecke sind noch vorhanden, so zum Beispiel Betonfundamente am Lechsteilhang und der ehemalige Lokschuppen.[6][2]
Streckenbeschreibung
Die Kinsauer Zahnradbahn begann am Bahnhof Kinsau auf einem Stumpfgleis südlich des Empfangsgebäudes. Bei Streckenkilometer 0,1 war die Strecke über eine Weiche mit den Gleisen der Bahnstrecke Landsberg–Schongau verbunden. Über die Weichenverbindung wurden die mit Holzstoff beladenen Güterwagen zu den Hauptgleisen des Bahnhofs Kinsau überstellt, um in die Güterzüge nach Kempten zur Papierfabrik Hegge eingereiht zu werden. Hinter dem Bahnhof bog die Strecke nach Osten ab und lief auf den Ort Kinsau zu. Am südlichen Ortsrand von Kinsau schwenkte sie wieder direkt nach Süden ab. In dieser Kurve bei Kilometer 1,7 befand sich ein beidseitig angebundenes Abstellgleis, das der Abstellung von Güterwagen sowie der Zerlegung und Zusammenstellung der Züge diente. Diese Anlage wurde als Rangierbahnhof bezeichnet. Nach dem Unfall 1908 wurden die Gleisanlagen des Rangierbahnhofs umgebaut. Da die Lokomotive nur noch talseitig des Zuges fahren durfte, entstanden anstelle des beidseitig angebundenen Gleises zwei einseitig aus Richtung Holzstofffabrik angebundene Stumpfgleise.
Etwa 500 Meter weiter bog die bisher nach Süden führende Strecke in einem Geländeeinschnitt nach Nordosten ab und erreichte den Lechsteilhang. Hinter einer kleinen Brücke eines Feldwegs begann der 383,45 Meter lange Zahnstangenabschnitt, auf dem die Strecke mit einer Steigung von bis zu 150 ‰ zum Lech hinunterführte.[4] Am Ende des Zahnstangenabschnitts befand sich der zweigleisige Bahnhof der Holzstofffabrik. Neben dem Hauptgleis gab es ein beidseitig angebundenes Ausweichgleis, das mit einer Gleiswaage und einer Laderampe ausgestattet war. Nördlich der beiden Gleise endete die Strecke ab 1913 in einem einständigen gemauerten Lokschuppen.[7]
Siehe auch
Literatur
- Peter Rasch: Die Nebenbahnen zwischen Ammersee, Lech und Wertach. Mit Ammerseebahn, Pfaffenwinkelbahn & Co rund um den Bayerischen Rigi. EOS Verlag, St. Ottilien 2011, ISBN 978-3-8306-7455-9.
Weblinks
- Peter Rasch: Die Geschichte der Kinsauer Zahnradbahn auf radler-paradies.de.
- Jens Merte: Holzstofffabrik und Zahnradbahn Kinsau auf werkbahn.de.
Einzelnachweise
- Rasch: Die Nebenbahnen zwischen Ammersee, Lech und Wertach. 2011, S. 244–246.
- Augsburger Allgemeine: Eine Zahnradbahn quälte sich den Lechhang hinauf auf augsburger-allgemeine.de, vom 3. Januar 2008, Autor: Thomas Wunder, abgerufen am 31. Juli 2017.
- Krauss & Comp.: Legende der 2/2 gekuppelten Lokomotive Nr. 6749.
- Jens Merte: Holzstofffabrik und Zahnradbahn Kinsau auf werkbahn.de, abgerufen am 31. Juli 2017.
- Initiative Fuchstalbahn: Bahnhof Kinsau auf fuchstalbahn.com, abgerufen am 31. Juli 2017.
- Rasch: Die Nebenbahnen zwischen Ammersee, Lech und Wertach. 2011, S. 246–247.
- Rasch: Die Nebenbahnen zwischen Ammersee, Lech und Wertach. 2011, S. 247–248.