Kantonierter Pfeiler

Ein Kantonierter Pfeiler i​st ein Pfeiler, dessen runder, polygonaler o​der rechteckiger Kern m​it (runden o​der eckigen) Vorlagen, m​eist Halb- o​der Dreiviertelsäulen, besetzt ist. Im engeren Sinne bezeichnet d​er Begriff e​inen Pfeiler m​it rundem o​der polygonalem Kern u​nd vier Vorlagen. Der Begriff i​st abzuleiten a​us der französischen Wappenkunde, i​n der a​ls „cantonné“ e​ine Figur bezeichnet wird, d​ie von v​ier Nebenfiguren i​n den Vierteln d​es Wappenschilds umgeben ist.[1]

„Kantonierter Pfeiler“ (nach Jantzen) in der Kathedrale von Chartres. Hier als runder Pfeilerkern mit polygonalen Diensten. Diese Pfeiler wechseln sich in Chartres mit polygonalen Kernen ab, die wiederum mit runden Diensten besetzt sind.
Rundpfeiler mit Kantonierung

Wie viele Termini der Architekturgeschichte wird der Begriff nicht einheitlich verwendet: Der Kunsthistoriker Hans Jantzen bezeichnet im Zusammenhang mit seinen Untersuchungen der Kathedralen der Gotik diejenigen Pfeiler als „kantoniert“, die mit (vier) Diensten umstellt sind.[2] Kantonierte Pfeiler in seiner Definition traten zuerst in der Kathedrale von Chartres (Baubeginn 1194) auf. Sie lösen die in der Frühgotik verbreiteten vorlagenlosen Rundpfeiler ab und ermöglichen es, die Linien der Arkaden- und Gewölbebögen am Pfeiler aufzunehmen. Frühere Lösungen im Seitenschiff von Notre Dame de Paris und in der Kathedrale von Laon betrachtet Jantzen in diesem Zusammenhang als Vorstufen der Frühgotik. In der Kathedrale von Reims (begonnen 1211) und der Kathedrale von Amiens (ab 1220) wurde die in Chartres gefundene Form aufgegriffen. In diesem Sinne wird in der deutschen Kunstgeschichte allgemein mit „kantonierter Pfeiler“ nur der Pfeiler Chartreser Typs und seine europaweite Nachfolge bezeichnet. Andere Autoren halten die Bezeichnung Kantonierter Pfeiler bezogen auf „gotischer gegliederte Pfeiler“ für „fälschlich“ und verwenden den Begriff Gotischer Gliederpfeiler, um zu verdeutlichen, dass der Chartreser Pfeiler nichts grundsätzlich Neues bringt, sondern in der Tradition ähnlicher Gliederpfeiler steht.[3] Der Kantonierte Pfeiler wird im Laufe der Zeit überwiegend durch den Bündelpfeiler abgelöst.

Einzelnachweise und Fußnoten

  1. Viollet-le-Duc: Dictionnaire raisonné de l’architecture française du XIe au XVIe siècle, Paris 1854–1868. Bd. II, S. 259, leitet die Bedeutung aus der Heraldik ab, vgl. zum heraldischen Begriff http://www.blason-armoiries.org/heraldique/c/cantonne.htm. In diesem Sinne kann man im Französischen von einer „tour cantonnée de quatre tourelles“, einem „von vier kleinen Türmchen kantonierten Turm“ sprechen. Die Herleitung von dem deutschen Wort „Kante“ wie in Wasmuths Lexikon der Baukunst, Berlin, 1929–1932 (4 Bände), Lemma Kantoniert, wo es heißt, kantoniert sei ein Pfeiler, bei dem die Kanten (Ecken) scheinbar gefast und mit Halb- oder Dreiviertelsäulen besetzt sind, ist irrig, zumal ein Rundpfeiler (Chartres) keine Ecken hat
  2. vgl. Hans Jantzen: Kunst der Gotik. Klassische Kathedralen Frankreichs Chartres, Reims, Amiens, Abschnitt 1.1 Das Langhaus, Rowohlt, 1957/1968, S. 24 ff.
  3. So Hans Koepf, Günther Binding: Bildwörterbuch der Architektur (= Kröners Taschenausgabe. Band 194). 4., überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2005, ISBN 3-520-19404-X, Lemma Kantoniert + Gliederpfeiler. Ansonsten deckt sich deren allgemeine Definition mit der von Wasmuth. Ausführlich dazu Günther Binding: Der gotische Gliederpfeiler. In: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 59, 1998, S. 29–58. Online: binding.ws/GuentherBinding/gliederpfeiler.pdf
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