Johannes Hakenmüller
Johannes Hakenmüller (* 10. September 1857 in Tailfingen; † 19. April 1917 ebenda) war ein deutscher Unternehmer in der Textilindustrie.[1]
Leben
Hakenmüller wuchs als Sohn des Schusters und Krämers Jakob Hakenmüller (1820–1877) und dessen erster Ehefrau Henrike Hakenmüller geb. Wizemann (1821–1870) mit vier Geschwistern im unteren Abschnitt der heutigen Friedhofstraße im Süden und am Rande des Zentrums von Tailfingen auf. Sein Großvater Konrad (1791–1865), ´Schäferle` (ursprünglich Schäfer von Beruf), hatte einen Gemischtwarenladen in der heutigen Marktstraße in Tailfingen unterhalten. Seine weiteren Vorväter waren entweder als Weber oder Schulmeister tätig (nachweislich ab 1630) und zogen um das Jahr 1700 von Ebingen nach Tailfingen.
Nach seinem Besuch der Fröbel-Schule und anschließend der Gewerbeschule in Ebingen machte er vom 1. Juli 1873 bis 7. Februar 1876 in Balingen eine kaufmännische Lehre und war vom 10. Mai 1876 bis 15. September 1877 bei einer Eisenwarenhandlung in Winnenden tätig. Vom 6. November 1877 bis 3. Oktober 1879 wurde er bei der 8. Kompagnie des 7. Württembergischen Infanterie-Regiments No.125 in Stuttgart zum Unteroffizier ausgebildet.
Im Anschluss verdiente er bis August 1880 zunächst sein Geld bei der Firma Wilhelm Kauffmann in Aalen und danach im Außendienst als Reisender.[2] Am 3. Mai 1884 heiratete er Luise Maria Krauß (1855–1927), Witwe des Seifensieders Wilhelm Rieger und Tochter des Schreiners und Wirts der Gaststätte Waldhorn, Johannes Krauß (1803–1878) in Aalen, heutige Möbel-Firma abitare & Krauss.
Entgegen seinem ursprünglichen Vorhaben, mit Eisenwaren zu handeln, gründete er im Jahr 1884 gemeinsam mit Johannes Conzelmann und Jakob Bitzer die Firma J. Conzelmann & Compagnie mit einem Neubau an der Moltkestraße in Tailfingen.[3] Die Produktion wurde zumeist aus Aufträgen der Textilunternehmer im nahe gelegenen Hohenzollern-Hechingen gespeist, die wegen Überkapazitäten vor allem Garn und Faden an die zumeist noch in Heimarbeit tätigen Textilhandwerker als Subunternehmer in Tailfingen weitergaben.[4] Diese hatten für sich nach und nach mit Hilfe zinsfreundlicher Kredite der königlich württembergischen Zentralstelle für Handel und Gewerbe in Stuttgart die erstmals durch Jakob Gonser im Jahr 1853 nach Tailfingen gebrachten Rundstühle erworben, welche vor allem die mechanischen Webstühle abgelöst und nun in weit schnellerem Tempo die Produktion einer nahtlosen, damit für den menschlichen Körper hygienisch besseren und anschmiegsameren Schlauchware aus Baumwolle ermöglichten.
Zum 1. Dezember 1887 trennte sich Johannes Hakenmüller von seinen beiden Kompagnons, nachdem er laut Grundbuch-Eintrag am 10. Dezember 1887 als Wohn- und Produktionsstätte das Haus Nr. 501 an der damaligen Ebinger Straße des Jakob Conzelmann Ölmüller-Sohns auf dem ehemaligen Gelände einer Ölmühle am Rande und im Nordosten von Tailfingen erworben hatte, auf dem sich auch ein vom Gewann Neuweiler herabfließender Bach befand.
Der Kampf ums Wasser war entschieden – und damit um die direkte Waschung, Bleichung und Färbung von Textilien in der später sog. ´Trikotstadt` Deutschlands. Nachdem Hakenmüller mit seiner ersten Compagnie und beiden Kollegen sich ganz bewusst an der Schmiecha zwischen der Oberen und Unteren Mühle angesiedelt hatte, und auch die im Zentrum des Orts einlaufenden Kiemenbach (Martin Ammann KG) und Heutalbach (Martin Conzelmann) durch die unmittelbare Konkurrenz besetzt waren, mussten fortan weitere Textilbetriebe Wasser für ihre Ausrüstung teuer aus dem kommunalen Netz ankaufen oder gaben diese extern in Auftrag. Eigenes Wasser führte zu erheblichen wirtschaftlichen Vorteilen im Ort. Doch nicht nur dies war ausschlaggebend für den nach 1900 beginnenden Exodus der Konkurrenz in umliegende Dörfer auf oder am Rande der Schwäbischen Alb, sondern der zunehmende Mangel an Arbeitskräften. Dazu blieben Ebinger in Ebingen, Tailfingen in Tailfingen, Onstmettinger in Onstmettingen. Indem jetzt nicht mehr im Auftrag Hechinger Textilfabrikanten produziert wurde, sondern selbständig und vollstufig, wurden nicht mehr nur Näherinnen gebraucht, sondern auch Heizer, Färber, Maschinenführer, Lageristen wie Chauffeure.
Die am 16. Januar 1888 ausgefertigte Urkunde für die Hakenmüllers Hausrats-Versicherung Johannes Hakenmüllers benennt an „Waarenvorrath, bestehend in allen zu einem Textilfabrications-Geschäfte gehörenden Gegenständen“ einen Wert von 20.000 Mark, für „Betten, Überzüge und Zubehör“ 1400 Mark, für „Kleider und Leibweißzeug“ 1500 Mark, für „Bücher“ hingegen nur 100 Mark und für „Gemälde, Kupferstiche u. ä.“ 30 Mark.[5]
Die Fabrikgebäude wurden von ihm nach Plänen des Tailfinger Werkmeisters Carl Ammann erweitert und das Wohnhaus durch den Oberamts-Werkmeister Carl Heinz aus Balingen grundlegend erneuert sowie mit einer neuklassizistischen Fassade versehen. Hierzu nahm Hakenmüller von Gottlieb Kern aus Onstmettingen im Juli 1889 einen Privatkredit von 4000 Mark und im April 1891 von weiteren 500 Mark auf, den er zusammen mit seiner Ehefrau Luise bis 4. Februar 1893 zurückgezahlt hatte.[6]
„Die Notwendigkeit eines eigenen Bankinstituts am Platze war von vielen bisher schon erkannt worden. Der unmittelbare Anstoß für die Gründung der ‚Gewerbebank Thailfingen‘ ging indes vom Kaufmann Johannes Hakenmüller aus, der während seiner Lehr- und Wanderjahre Erfahrungen mit Kreditgenossenschaften gesammelt hatte. Er wurde in der Gründungsversammlung am 23. März 1885 zum Vorsitzenden des Aufsichtsrats gewählt.“[7]
Hakenmüller war nach Salome Blickle, Inhaberin der Tailfinger Textilfabrik Balthasar Blickles Witwe, der zweite, der sich nicht mehr als Lohnunternehmer sah, sondern als eigenständiger Textilfabrikant.[8] Daher begann er spätestens im Jahr 1887 im Erdgeschoss seines bis 1900 grundlegend umgebauten Hauses an der damaligen Staatsstraße (der heutigen Goethestraße) gemeinsam mit seiner Ehefrau Luise per Hand Stoff an den noch mechanisch in Drehung zu setzenden Maschinen herzustellen.
Die Anzahl der Rundstühle stieg binnen weniger Monate auf zehn Stück. Dabei griff der Gründer vor allem auf die maschinelle Wirktechnik von Honoré Fouquet zurück. Zuerst auf einen 1861 hergestellten Rundstuhl von Nopper & Fouquet (14 Zoll, 24 Feinheit), später von Fouquet & Frautz, wie einem von Charles Terrot & Söhne aus dem Jahr 1886 (15 Zoll, 26 Feinheit).[9] Um das Jahr 1900 konnte Hakenmüller sein Elternhaus als erstes um eine viermal so große Produktionsstätte an der Langen Straße in Tailfingen erweitern.
Zusammen mit zwei anderen Textilfabrikanten, Martin Conzelmann und Johannes Conzelmann zur Rose, betrieb er vor allem für den Abschnitt von Truchtelfingen bis nach Tailfingen den Ausbau der 1899 begonnenen Talgang-Eisenbahn-Strecke von Ebingen nach Onstmettingen (Einweihung am 19. Juli 1901), um den Transport der Waren zu beschleunigen und auf die Schiene zu verlagern.
Ehefrau Luise stieg als Kommanditistin bei Hakenmüller ein. Sie bekam mit ihm von 1885 bis 1896 sieben Kinder, fünf Jungen und zwei Mädchen, von denen zwei bereits im frühen Kindesalter starben. Julius (* 1888), Paul (* 1890), Alfred (* 1892) und Karl (* 1895) betätigten sich später selbst als Textilfabrikanten. Luise (* 1893) heiratete im Jahr 1920 Carl Ammann, ältester Sohn und Erbe des Tailfinger Textilfabrikanten Martin Ammann.
Paul Hakenmüller, nach Ausbildung zum Leutnant an der königlichen Militärakademie in Ludwigsburg, im Ersten Weltkrieg Leutnant der Reserve vor Reims und einjährigem Studium an der Handelshochschule München, heiratete im Jahr 1919 die Tochter des Fleischfabrikanten und königlichen & herzoglichen Hofmetzgers Wilhelm Pfähler in Stuttgart.
Karl heiratete die in Saulgau geborene Gastwirtsfrau Lina, die ihre Lehre im Schloßgartenhotel in Stuttgart absolviert hatte und in Tailfingen Inhaberin der ´Rose Ratsstube` wurde. Alfred vermählte sich mit der Tailfinger Unternehmertochter Lisa Müller.
Im Jahr 1916 verlieh der Unternehmensgründer seinen beiden ältesten Söhnen Julius und Paul Prokura. Wegen einer unheilbaren Diphtherie ordnete Johannes Hakenmüller sein Vermögen und gründete am 1. Dezember 1916 eine auf seinen Namen lautende Stiftung mit einem Stammkapital von 50.000 Gold-Mark (950.000 Euro nach heutigem Geldwert; vgl. u. a. Stadtrats-Protokoll, Tailfingen, 16. Mai 1917; Stadtarchiv Albstadt-Ebingen) und bewarb sich um den Ehrentitel eines Kommerzienrats. 30.000 Mark waren für soziale Belange von Mitarbeitern seiner Fabrik bestimmt, 10.000 Mark für die kirchliche Armenpflege in Tailfingen und weitere 10.000 Mark – wie es in der Stiftungsurkunde heißt – „für allgemeine Wohlfahrtszwecke der Gemeinde Tailfingen und ihrer Angehörigen und zur Förderung gemeinnütziger Unternehmungen“. Die Aufsicht über diese Stiftung wurde dem Tailfinger Gemeinderat übertragen. Stadtschultheiß Hufnagel schrieb dem Stifter am 28. Januar 1917: „Es freut mich besonders auch, dass Sie als Erster sich bereit gefunden haben, eine derartige Stiftung zu machen & damit Ihren Namen für immer der unauslöschlichen Dankbarkeit der Gemeinde & ihrer Glieder in die Geschichte der Gemeinde eingefügt zu haben“.[10]
Tatsächlich wurden Mitarbeiter sogar mit echter 10-Euro-Goldmark (Lohn für 14 Tage Arbeit, heutiger Wert ca. 163 Euro) ausbezahlt, wie die 1915 mit 14 Jahren als Näherin zur Ausbildung eingestellte Martha Hipp aus Tailfingen[11]
Wenig später bekam Johannes Hakenmüller am 25. Februar 1917 „in Anerkennung seiner hohen Verdienste um die Allgemeinheit“ durch den württembergischen König Wilhelm II. das Wilhelmskreuz verliehen. Besonderes Anliegen des Stiftungsgründers war, dass der soziale Standard seiner in den Krieg abgezogenen Mitarbeiter wie auch der Tailfinger Bevölkerung bewahrt blieb, was dann zuerst den aus dem Ersten Weltkrieg heimkehrenden Bürgern und dem Roten Kreuz zugutekam.[12] 20 Männer seiner Firma waren an der Front im 1.Weltkrieg zum Opfer gefallen[13].
Der Tailfinger Bürgermeister Hufnagel betonte bei Johannes Hakenmüllers Begräbnis am 2. Mai 1917: „Wenn von großen Fragen gesprochen wird, die in der Vergangenheit die Gemeinde bewegten, genannt seien nur die Wasserversorgung, Bachkorrektion und der Eisenbahnbau (...), so müssen wir in Anerkennung der Männer gedenken, die in der Zeit des stürmischen Aufblühens unseres Gemeinwesens sich von großen, weitblickenden, lauteren Gedanken leiten ließen und, die Zeichen der Zeit richtig verstehend, die Industrie und die Gemeinde in neue, notwendige Bahnen gelenkt haben, oder wenn wir heute mit Freude und Stolz auf die Entwicklung unserer Gemeinde und den schönen Stand der Gemeindeeinrichtungen blicken (...), so stand unter diesen vortrefflichen Männern, Wohltätern, Bürgerschaftsvertretern und Bürgerschaftsführern der Verstorbene in vorderster Reihe.“[14]
Angesichts der Tatsache, dass sich in dem knapp 10.000 Einwohner großen Ort Tailfingen selbst bei bald an die 50 textilen Produktionsstätten keine weiteren Arbeitskräfte mehr fanden, baute Hakenmüller im Jahr 1910 an der Bodelschwingstraße im drei Kilometer entfernten Onstmettingen nach Abbruch des geschichtsträchtigen Bauernhauses im Ried ein weiteres Fabrikgebäude (1924 an Johannes Drescher verkauft), in dem er vor allem Unterwäsche nähen ließ.
Im Nachruf zu dem mit 59 Jahren Verstorbenen schrieb die Tailfinger Zeitung bzw. ihr Herausgeber Heinrich Weidle am 3. Mai 1917: „(...) sein Hinscheiden hat auch in der Industrie unserer Gemeinde und des ganzen Landes eine schmerzliche Lücke gerissen. Er war einer der edelsten und tüchtigsten Bürger der Gemeinde, vom Scheitel bis zur Sohle ein Ehrenmann, einer der Pioniere, die die Trikotindustrie und durch diese unsere Gmeinde zu dem heutigen großen Ansehen verholfen haben und unserer Einwohnerschaft zu verdienstvoller Arbeit und Wohlergehen die Wege ebneten. (...) Das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer war stets das denkbar beste, ein recht patriarchalisches, was sich während der langen Kriegszeit noch ganz besonders zeigt. Unaufhörlich war der Heimgegangene und seine Familie bemüht, das Los der ausmarschierten Fabrikangehörigen und deren Familien zu lindern und um sich seinen Angestellten und Arbeitern gegenüber auch in ferneren Zeiten anerkenntlich und helfend zu zeigen. (...) Als begeisterter Patriot nahm er an den Geschicken des Weltkrieges innigen Anteil und freudig, wenn auch mit sorgendem Vaterherzen ließ er seine Söhne an die Front oder zum Vaterlandsdienst in die heimatlichen Garnisonen ziehen. Gerne hätten wir ihm es vergönnt, daß er die Lösung des blutigen Weltstreites miterlebte. (...) Ein aufrichtiger Charakter, ein grundgütiger Gatte und Vater, der unablässig für das Wohl der Seinen sorgte, ein Mann, den auch das Glück nicht übermütig machen konnte, der bescheiden blieb bis ans Ende.“
Einzelnachweise
- Mitteilung der Fachuntergruppe Trikotagenindustrie der Fachgruppe Wirkerei und Strickerei, Hauptgruppe VI der deutschen Wirtschaft vom 1. Dezember 1937 an J. Hakenmüller in Tailfingen,; Hasana-Archiv, Hechingen.
- laut Angabe seines ältesten Sohnes Julius vom 7. September 1945 in dem von der französischen Militärregierung, Außenstelle Balingen, verteilten Fragebogen über allgemeine Auskünfte der Textilindustrie
- Hermann Bitzer: Tailfinger Heimatbuch 1953, S. 339–340.
- Doris Astrid Muth: Die jüdische Textilindustrie in Hechingen und Hohenzollern. In: Karl-Hermann Blickle, Heinz Högerle (Hrsg.): Juden in der Textilindustrie. Horb 2013, S. 47–55.
- Urkunde im Hasana-Archiv, 72379 Hechingen
- vgl. Briefe mit Briefkopf der Mechanischen Tricotwaaren-Fabrik J. Hakenmüller mit Schuldschein vom 9. Juli 1889 und 15. April 1891; Hasana-Archiv, Hechingen.
- vgl. Volksbank Tailfingen eG (Hrsg.): Mit Menschen - für Menschen. 100 Jahre Volksbank Tailfingen. Albstadt-Tailfingen 1985, S. 53.
- vgl. Brief des Textilfabrikanten Karl Bitzer zur Rose, Tailfingen, vom 3. Dezember 1937 an Julius und Paul Hakenmüller zum 50. Betriebsjubiläum von J. Hakenmüller; Hasana-Archiv, Hechingen
- Siehe Maschinenverzeichnis zum Fragebogen des Bürgermeisteramtes Tailfingen im Auftrag der Regierung der französischem Militärzone, Tübingen, 9. August 1945; Hasana-Archiv.
- Brief des Stadtschultheißenamts Tailfingen vom 26. Januar 1917 im Hasana-Archiv, Hechingen
- Ein Wildfang mit heiterem Wesen, der sein ganzes Leben lang nie krank gewesen ist.... Ihr erster Arbeitslohn war noch ein Zehn-Mark-Goldstück; In Zollernalbkurier, Tailfingen, 7. Januar 1992.
- Tailfinger Zeitung (Schmiecha-Bote), Nr. 70 vom 3. Mai 1917.
- vgl. Bericht ´Zum 50igsten Jahrestage der Gründung der Firma J.Hakenmüller`, in: Tailfinger Zeitung, Nr. 280, 1. Dezember 1937
- Worte am Grabe von Johannes Hakenmüller, Fabrikant. Druck von J. Hornikel Nachf., o. O., o. J. (Exemplar im Hasana-Archiv, Hechingen)